
Eskalation in Nahost "Ich öffnete die Tür und hatte kein Zuhause mehr"
Einige iranische Raketen durchbrechen den israelischen Schutzschirm - und wenn die Menschen aus den Bunkern kommen, finden sie ihr Zuhause in Trümmern vor. Trotzdem unterstützen viele die harte Linie der Regierung Netanjahu.
Die Szenen am Morgen sind schockierend. In dem etwa 20-stöckigen Wohnhaus in der Tel Aviver Vorstadt Petach Tikva klaffen Löcher in der Hauswand. Ganze Stockwerke sind ausgebrannt. Um kurz nach vier Uhr morgens hat eine ballistische Rakete aus dem Iran das Haus mit voller Wucht getroffen.
Einer Anwohnerin sitzt der Schreck noch in den Knochen:
Wir waren im Schutzraum. Erst wollte ich nicht aus meinem Bett. Meine Mutter hat mich gezwungen. Wir sind in den Schutzraum gegangen. Plötzlich hörten wir einen gigantischen Knall. Das Haus hat gewackelt. Ich sah, wie Dinge im Schutzraum umfielen. Als wir herauskamen, sahen wir, dass alles in Trümmern lag. Ich öffnete die Tür und hatte kein Zuhause mehr."
Dass sie lebt, sei ein Glück, sagt die junge Frau. Andere Hausbewohner starben bei der Explosion. Darunter Anwohner, die in einem Bunker waren. Das Geschoss hat Sicherheitskräften zufolge einen Schutzraum direkt getroffen. Erst gestern hatte Israels Premier Benjamin Netanjahu bei einem Besuch eines getroffenen Wohnhauses gesagt: Wer im Bunker sei, sei sicher.
"Wir dürfen nicht aufhören"
Yoram Suki überlebte die Nacht in Petach Tikva mit seiner Frau und Tochter. Auch er war im Bunker. Er habe einen Überschallknall gehört, die Explosion in seiner Wohnung gespürt, erzählt der 60-Jährige, der jetzt obdachlos ist.
Suki will eine Botschaft direkt an Netanjahu loswerden: "Bibi, mach weiter. Hör nicht auf. Du musst sie vernichten. Ganz Israel steht hinter Dir." Das sei es wert für die Sicherheit ihrer Kinder und Enkel, so Suki weiter. "Wir haben jetzt eine schwierige Zeit vor uns, aber ich sage, wir dürfen nicht aufhören."
Auch in der Nacht flog Israel weiter Angriffe im Iran, unter anderem auf eine Ölraffinerie im Land und auf ein Waffendepot bei Fordo, berichten israelische Medien. Umgekehrt zielte der Iran auch auf eine Ölraffinerie in Haifa. Direkte Treffer gab es auch dort im Stadtgebiet sowie in weiteren Vororten von Tel Aviv und im Stadtzentrum.
Mindestens acht Tote hatte es in der Nacht gegeben. Nur einige wenige Raketen aus dem Iran, die nicht von der Luftabwehr abgefangen werden, verursachen solche Schäden.
Der Bürgermeister der Stadt Petach Tikva, Rami Greenberg, erklärt den Grund: Es sei eine ballistische Rakete mit Hunderten Kilo Sprengstoff gewesen. "Wenn sie direkt auf einen Schutzraum trifft, wie hier, hilft das nicht viel. Aber die Leben aller anderen Menschen, die sich in der Nähe in ihren Schutzräumen befunden haben, sind gerettet."

Wie lange hält Israels Raketenabwehr?
In zwei Klassenzimmer passt eine sogenannte Kheibar-Shekan-Rakete aus dem Iran, die so viel Sprengstoff tragen kann. Mehrere tausend soll der Iran im Arsenal haben, warnt der ehemalige Generalmajor und nationale Sicherheitsberater Yaakov Amidror. "Die Iraner sind davon überzeugt, dass sie uns abnutzen können, dass wir unsere Reserve der Raketenabwehr aufbrauchen, bevor ihnen die Angriffsreserve ausgeht."
Der Iran wolle eine Situation erreichen, in der es in Israel jede Nacht viele Tote gebe und das Land keine andere Wahl habe, als Kompromisse einzugehen, so Amidror.
Doch davon ist Israel weit entfernt. Auf X schrieb Israels Verteidigungsminister Israel Katz: "Der arrogante Diktator aus Teheran ist zu einem feigen Mörder geworden, der gezielt auf die zivile Heimatfront in Israel zielt. Die Einwohner Teherans werden den Preis dafür bezahlen und zwar bald."
Auch wenn viele in Israel sich ein Ende des Krieges wünschen, so sind sie gleichzeitig froh, dass ihr Land etwas gegen die atomare Bedrohung aus Teheran unternimmt.
Und manche so wie Bäcker Moran Gil aus Tel Aviv wollen einfach weitermachen und jeden Tag so gut wie möglich überstehen. Bei einer Explosion wurde am Morgen die Scheibe seines Ladens zerstört. "Das Leben ist Mist. Aber wir haben keine Wahl. Wir sind im Krieg." Er werde alles wieder aufbauen und hoffen, dass der Blitz nicht zweimal an derselben Stelle einschlage.