
Massenabschiebungen aus Pakistan "Ich habe Afghanistan noch nie gesehen"
Millionen Afghanen suchen in Pakistan Schutz, viele seit Jahrzehnten. Nun hat Islamabad erneut mit Massenabschiebungen begonnen. Doch in Afghanistan droht ihnen Armut und Verfolgung - vor allem Mädchen und Frauen.
Sie sitzen auf überfüllten Lastwagen, mit allem, was sie noch besitzen: Kanister, Säcke, Habseligkeiten, gestapelt auf den Dächern der Trucks. Viele haben kaum mehr als das, was sie am Körper tragen, als sie den Grenzübergang Torcham im Nordwesten Pakistans erreichen.
Anfang März teilten ihnen die pakistanischen Behörden mit, dass sie innerhalb von drei Wochen das Land verlassen müssen. Familien, die seit Jahren oder sogar Jahrzehnten in Pakistan leben, mussten auf einmal aufbrechen.
So auch Sher Baz Khan. Der 50-Jährige musste alles zurücklassen, wie er der Nachrichtenagentur AFP erzählt.
Diese Leute haben unsere Häuser durchsucht und uns hierher gebracht. Wir haben unser Vieh und unsere Traktoren verkauft, aber das Geld ist dort geblieben. Ich habe Afghanistan noch nie gesehen, dies ist mein erstes Mal. Ich mache mir Sorgen, wie meine Kinder dort leben werden. Pakistan hat uns sehr viel Unrecht angetan.
800.000 Afghanen plötzlich illegal
Seit Anfang April haben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks mehr als 120.000 Afghaninnen und Afghanen Pakistan verlassen. Die meisten sind aus Angst einer Abschiebung zuvorgekommen. Zehntausende sollen allein in den vergangenen zwei Wochen abgeschoben worden sein.
Es ist eine weitere Phase einer groß angelegten Abschiebekampagne. Seit 2023 haben die pakistanischen Behörden mehrere Wellen von Ausweisungen und Abschiebungen gestartet.
Betroffen sind rund 800.000 Menschen, die zuvor jahrelang mit der sogenannten "Afghan Citizen Card" in Pakistan lebten - einem speziellen Ausweis für Bürger des Nachbarlandes. Nun jedoch gelten auch diese offiziell registrierten Afghanen plötzlich als illegal. Seit Ablauf der Frist haben die Behörden damit begonnen, Menschen festzunehmen und in Abschiebezentren zu bringen.
Pakistanisch-afghanisches Verhältnis deutlich verschlechtert
Die Taliban in Afghanistan forderten Pakistan auf, den Menschen keinen Schaden zuzufügen. Ihr Hab und Gut müsse geschützt werden, sagte Abdul Salam Hanafi, ein ranghoher Taliban: "Unsere einzige Bitte an unsere pakistanischen Brüder ist, unsere langjährigen Beziehungen zu berücksichtigen."
"Das afghanische und das pakistanische Volk sind Brüder. Unsere Beziehung ist historisch gewachsen, keine Eintagsfliege", so Hanafi. "Wir kommen nach Pakistan, sie kommen zu uns. Diese brüderliche, islamische Nachbarschaftsbeziehung muss bewahrt werden."
Doch das Verhältnis der beiden Länder hat sich deutlich verschlechtert. Die pakistanische Regierung macht afghanische Staatsangehörige für einen Anstieg der Terroranschläge im eigenen Land verantwortlich. Immer wieder heißt es, sie seien zunehmend an Angriffen auf Sicherheitskräfte beteiligt.
Beobachter vermuten, Islamabad wolle mit den Abschiebungen den Druck auf die Taliban erhöhen. Gleichzeitig fühlt sich Pakistan seit Langem von der internationalen Gemeinschaft im Stich gelassen, insbesondere bei der Versorgung von Millionen Geflüchteten. Gerade nach der erneuten Machtübernahme der Taliban vor vier Jahren waren Zehntausende ins Nachbarland geflohen.
Frauen und Mädchen drohen Armut und Verfolgung
Auf den Straßen der Hauptstadt Islamabad sind die Meinungen gespalten. Das Land habe eine sehr gute Entscheidung getroffen, meint etwa ein Mann namens Muhammad: "Man sollte sie komplett rausschmeißen, denn die Bevölkerung Pakistans ist so groß, dass wir das nicht bewältigen können. Wir haben keinen Plan für die Zukunft. Pakistan ertrinkt in Krediten. Wenn in einer solchen Situation Menschen aus anderen Ländern kommen und hier leben, werden sie uns zur Last fallen."
Eine junge Studentin mit dem Namen Rubab hingegen kritisiert die Abschiebungen scharf: "Sie tun nicht das Richtige, denn die Afghanen leben schon lange hier, und ihre Heimat ist jetzt hier, ihre Kinder studieren hier, es ist also auch ihr Land. Sie sollten die gleichen Rechte haben wie wir."
Seit Jahrzehnten suchen Millionen Afghanen Schutz vor Krieg und Konflikten in Pakistan. Langfristig plant die Regierung in Islamabad, bis zu drei Millionen Afghaninnen und Afghanen zurückzuschicken.
In ihrer Heimat drohen den Geflüchteten Armut, Hunger und im schlimmsten Fall Verfolgung. Dies gilt besonders für Mädchen und Frauen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten.