
Debatte über abgeschottete Völker Ein tragischer Tod und seine Folgen
Der Tod eines selbsternannten Missionars auf den Andamanen-Inseln hat eine heftige Debatte ausgelöst: Wie soll man mit abgeschotteten Völkern umgehen? Und wer trägt welche Schuld an Chaus Tod?
Die Bergung der Leiche gestaltet sich schwierig: Vor zwei Wochen wagte sich ein 27-jähriger US-Amerikaner auf eine von Ureinwohnern bevölkerte Insel, die offiziell zu Indien gehört, um die Menschen dort vom christlichen Glauben zu überzeugen. Bei diesem Versuch war er mit Pfeilen beschossen und getötet worden.
Das alles klingt wie eine Geschichte aus einer längst vergangenen Zeit, hat sich aber im 21. Jahrhundert zugetragen. Während es auch den indischen Behörden auf den Andamanen-Inseln zu gefährlich erscheint, zu den Bewohnern vorzudringen, ist nun - gerade in sozialen Medien - eine heftige Debatte darüber entflammt, wen in dieser unglaublich klingenden Geschichte welche Schuld trifft. Und wie wir mit den rund 170 abgeschottet lebenden Völkern auf der Erde eigentlich umgehen sollten.
War John Allen Chau ein Besessener, ein Vertreter westlichen Hochmuts, eine Art tragischer Kreuzritter? Oder ist er ein Mann, der heldenhaft für seine Überzeugungen eintrat und dafür sogar zu sterben bereit war? Das hängt gänzlich vom Blickwinkel ab.
"Es war wirklich grob leichtsinnig"
Ulrich Delius, Direktor der in Göttingen angesiedelten "Gesellschaft für Bedrohte Völker", hat dazu eine klare Meinung: "Es war wirklich grob leichtsinnig, was er getan hat", sagt er. "Es war schon ein ganz gezieltes Vorgehen. Er war mehrmals zuvor auf den Andamanen gewesen und hat sich immer wieder vorgenommen: Er will diese Gruppe bekehren."
Dass der junge US-Amerikaner, der das Inselreich der indischen Andamanen bestens kannte, nicht um das Risiko wusste, wird niemand behaupten können - hatte John Chau doch am Tag vor seinem Tod schon einmal mit einem Floß auf die sagenumwobene Insel überzusetzen versucht. Was dazu führte, dass die ansonsten völlig von der Außenwelt abgeschotteten Bewohner ihn und seine wasserdichte Bibel mit Pfeilen beschossen.
VK Singh vom indischen Außenministerium nennt die Sache einen "traurigen Vorfall". Aber er sagt: "Ein junger Mann, ein selbsternannter 'Missionar', entschied sich, auf diese Insel zu fahren, was wir niemandem erlauben."

John Allen Chau (R.) mit Casey Prince, dem Gründer der Ubuntu Football Academy. Wenige Tage nach dieser Aufnahme in Südafrika reiste Chau auf die Nord-Sentinel-Insel.
Annäherung verboten - zu beiderseitigem Schutz
John Chaus zweiter Annäherungsversuch endete tödlich. Tatsächlich ist es unter Strafe verboten, sich dem vom Stamm der Sentinelesen bewohnten Eiland bis auf fünf Kilometer zu nähern. Was beiderseitigem Schutz dienen soll: Die Ureinwohner könnten beim Kontakt mit der Außenwelt mit Krankheiten infiziert werden, gegen die sie nicht immun sind. Und wie aggressiv-allergisch wiederum die Sentinelesen reagieren können, hatten sie bereits demonstriert: 2006 töteten sie zwei Fischer, die sich beim Krabben-Suchen auf die Insel verirrt hatten. Nach dem Tsunami 2004 beschossen sie einen Regierungshubschrauber mit Pfeilen.
Der Regionalleiter der US-Organisation "International Christian Concern", William Stark, erklärte auf Nachfrage, John Chau habe den Sentinelesen Gottes Botschaft überbringen wollen: "Als jemand, der sich jahrelang mit dem Stamm beschäftigt hat, war Chau bereit, wissentlich sein Leben auf’s Spiel zu setzen für das ewige Seelenheil der Sentinelesen. Für diejenigen, die nicht Chaus Glauben teilen, wird das wie ein Fehler oder eine Dummheit wirken. Von denen aber, die seine religiösen Überzeugungen teilen, wird das als edles Anliegen gesehen."
Schlechte Erfahrungen mit der Außenwelt
Die Organisation versucht gleichzeitig, den Tod des Amerikaners als Beleg für die angeblich "zunehmende Verfolgung" von Christen in Indien zu deuten. Bei der "Gesellschaft für Bedrohte Völker" sieht man das etwas anders. Direktor Delius erklärt, mit seinem Missions-Versuch habe Chau den Christen keinen guten Dienst erwiesen. Und wirbt in der nun tobenden Debatte darüber, wie man mit dem in steinzeitlichen Verhältnissen lebenden Volk umgehen soll, dafür, sie einfach in Ruhe zu lassen. Schließlich hätten die Sentinelesen auf den Andamanen vermutlich schon genug schreckliche Erfahrungen mit der Außenwelt gemacht.
"Das war früher mal die größte Strafkolonie des britischen Empires", erklärt Delius. "87.000 Leute hat man auf diese Inseln geschafft aus allen möglichen Regionen des Kolonialreiches, um sie loszuwerden. Das fanden die indigenen Bewohner nicht so angenehm."
Mittlerweile suchen selbst Einwanderungsgegner Kapital aus dem Fall zu schlagen. Eine australische Senatorin befand im Streit darüber, ob man mehr Mitgefühl mit den Sentinelesen oder mit dem jungen Missionar haben sollte: Die Ureinwohner würden erfolgreich vormachen, wie man eine "Null-Einwanderungs-Politik" durchsetze. Mit dieser Haltung allerdings nimmt sie eher eine Außenseiter-Position ein.