
Russland und die Taliban Von Terroristen zu Partnern
Russlands Oberstes Gericht hat angeordnet, die Taliban von Moskaus Terrorliste zu streichen. Gespräche zwischen beiden Seiten gibt es schon länger. Wo liegen die gemeinsamen Interessen?
Bereits vergangenes Jahr im Mai sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow, man müsse die Realitäten in Afghanistan anerkennen: Die Taliban seien diejenigen, die die reale Macht hätten. Afghanistan sei weder Russland noch seinen Verbündeten gleichgültig.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und der darauffolgenden NATO-Operation in Afghanistan hatte auch Russland die Taliban als Terroristen eingestuft und sie im Februar 2003 verboten.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern hatte Russland seine Botschaft in Kabul nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 aber nicht verlassen.
In den vergangenen Jahren hätten sich die Kontakte zwischen Moskau und Kabul nun deutlich intensiviert, sagte der russische Botschafter Dmitri Schirnow gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti Anfang des Jahres: "Afghanistan ist für uns eine wichtige Richtung. Die Beziehungen entwickeln sich gut. Es gibt spürbar mehr Kontakte."

Russland hat die diplomatischen Kontakte zu den Taliban nie abreißen lassen.
Miteinander geredet wird schon länger
Tatsächlich besuchten Vertreter der afghanischen Machthaber Russland, Delegationen der Taliban waren zu Gast auf russischen Wirtschaftsforen - obwohl die Taliban als terroristisch eingestuft waren. Dabei habe es sich um Personen gehandelt, für die keine personenbezogenen internationalen Sanktionen gelten.
Und auch umgekehrt seien russische Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Industrie und Handel sowie Hochschul- und Bildungswesen nach Kabul gereist. Laut Botschafter Schirnow hat es auch Gespräche zwischen den Außenministern gegeben.
Die Taliban von der Terrorliste in Russland zu streichen, könnte ein Schritt dahin sein, die Herrschaft der Taliban in Afghanistan als Islamisches Emirat anzuerkennen. Für die Taliban ist das extrem wichtig, weltweit hat bislang noch kein einziger Staat ihre Herrschaft als legitime Staatsmacht in Afghanistan offiziell anerkannt.
"Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus"
Die russische Regierung könnte ein Interesse der Zusammenarbeit mit Kabul anstreben, um gegen Terroristen des "Islamischen Staats Provinz Khorasan" (ISPK) vorzugehen. Im März 2024 hatte es in Moskau einen großen Anschlag in einer Konzerthalle gegeben - mehr als 140 Menschen waren dabei getötet worden, der ISPK hatte sich dazu bekannt.
Auch die Taliban kämpfen in Afghanistan gegen die Terroristen des ISPK und betonen, dass sie Kämpfer, die Angriffe im Ausland planten, vertreiben würden. Russlands Botschafter Schirnow erklärte im Juli 2024, die Taliban seien "unsere Verbündeten im Kampf gegen den Terrorismus".
Beidseitige Wirtschaftsinteressen
Afghanistan könnte für Russland zu einem vielversprechenden Handels- und Logistikknotenpunkt werden. Nachdem die westlichen Truppen und diplomatischen Vertretungen das Land verlassen haben, könnte Russland wichtige Öl- und Gaspipelines nutzen, die bis nach Pakistan, Indien und darüber hinaus verlaufen könnten, schreibt die unabhängige russische Zeitung Nesawissimaja Gaseta.
So habe man sich vor einigen Tagen zum Beispiel auch über den Beginn eines transafghanischen Eisenbahnprojekts verständigt, das die russische Wirtschaft mit den Seehäfen im Becken des Indischen Ozeans verbinden soll.
Die Taliban, die von vielen Ländern noch isoliert werden, haben großes Interesse an jeglichen Wirtschaftsbeziehungen. Allerdings: Auch wenn die russischen wirtschaftlichen Beziehungen zu den Taliban nun mit der Streichung von der Terrorliste vereinfacht werden, eine Anerkennung ihrer Staatsmacht in Afghanistan geht damit noch nicht einher.