Neun Tote bei Einsatz gegen Hilfskonvoi Israel steht nach Angriff in der Kritik

Stand: 14.01.2016 03:25 Uhr

Der israelische Angriff auf einen internationalen Schiffskonvoi mit Hilfsgütern im Mittelmeer hat international Kritik ausgelöst. Der UN-Sicherheitsrat kam zu einer Sondersitzung zusammen. Bei dem Angriff waren neun Aktivisten getötet worden. An Bord des Schiffskonvois waren auch zehn Deutsche.

Nach dem Angriff israelischer Elitesoldaten auf mehrere Schiffe mit Hilfsgütern im Mittelmeer steht Israel international in der Kritik. Bei dem Militäreinsatz am frühen Montagmorgen wurden nach israelischen Angaben neun Aktivisten getötet. Berichten des arabischen Fernsehsender Al Dschasira zufolge sollen sogar mindestens 19 Menschen getötet worden sein. Mehrere Menschen - sowohl Soldaten als auch Aktivisten - seien verletzt worden. Ein israelischer Soldat schwebt nach Armeeangaben in Lebensgefahr.

An Bord des Hilfskonvois waren nach Angaben des Bundesaußenministeriums auch zehn Deutsche, darunter die Abgeordneten der Linkspartei, Inge Höger und Annette Groth, sowie der frühere Linkspartei-Abgeordnete Norman Paech. Am Abend gelang es erstmals Kontakt zu den Deutschen herzustellen. "Fünf der zehn deutschen Staatsangehörigen sind offenbar wohlauf", sagte Sprecherin des Auswärtigen Amtes. Auch die Bundestagsabgeordneten sind nach Informationen des ARD-Studios in Tel Aviv unverletzt. Ein Deutscher sei verletzt.

Was sich genau am frühen Morgen abspielte, ist weiterhin unklar. Insgesamt sechs Schiffe mit mehr als 700 pro-palästinensischen Aktivisten hatten sich am Sonntag von Zypern aus auf den Weg gemacht, um rund 10.000 Tonnen Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Armeesprecher Avi Benajahu sagte, die Schiffe seien geentert worden, weil sie die über den Gazastreifen verhängte Seeblockade durchbrechen wollten. Die Aktivisten seien mehrfach aufgefordert worden, sich friedlich zu ergeben.

Die israelischen Streitkräfte hätten in Notwehr gehandelt, sagte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Soldaten seien angegriffen worden. Wegen des Vorfalls brach Netanjahu seinen Besuch in Kanada ab und flog nach Israel zurück.

Die Organisation "Free Gaza" bestritt die Vorwürfe. "Die Soldaten haben begonnen zu schießen, sobald sie an Bord kamen", sagte Audrey Bomse von "Free Gaza" und verwies auf Videoaufnahmen. Die Schiffe befanden sich nach Angaben von "Free Gaza" in internationalen Gewässern.

Internationale Besorgnis und Kritik

International löste der Vorfall Besorgnis, Empörung bis hin zu scharfen Protesten aus. Die Türkei rief umgehend ihren Botschafter aus Israel zurück. Zudem annullierte die Türkei drei Militärabkommen mit Israel. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel "Staatsterrorismus" vor. Für ihn war klar: "Dieser Angriff ging von Israel aus."

Scharfer Protest kam auch aus den arabischen Staaten. Syrien und der Libanon warnten vor der Gefahr eines Krieges. Die Arabische Liga rief für morgen eine Dringlichkeitssitzung in Kairo ein. Palästinenserpräsident Machmud Abbas sprach von einem "Massaker" und einem "abscheulichen Verbrechen". In Jordanien, Ägypten, im Iran und im Libanon demonstrierten Hunderte von Menschen gegen das israelische Vorgehen.

Israels Verbündete in Europa, die USA und die Vereinten Nationen zeigten sich geschockt. Die griechische Regierung brach umfangreiche Luftwaffenmanöver mit Israel in der Ägäis ab. Vor der israelischen Botschaft in Athen sowie in Paris kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei. US-Präsident Barack Obama verlangte von Israel, alle Fakten und Hintergründe des Vorfalls offenzulegen.

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sowie die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay reagierterten "schockiert" darauf, dass humanitäre Hilfe mit Gewalt aufgehalten worden sei. Auch der UN-Sicherheitsrat ist alarmiert: Am Abend kam das Gremium, das laut UN-Charta für den Frieden und die Sicherheit in aller Welt verantwortlich ist, zu einer Sondersitzung zusammen. Auch die NATO-Botschafter werden morgen auf einer Dringlichkeitssitzung über den Angriff beraten.

Merkel fordert Aufklärung

Eine schnellstmögliche Aufklärung des Angriffs forderte auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei könnten internationale Beobachter hilfreich sein. Wörtlich sagte die Kanzlerin: "Es stellt sich die dringende Frage der Verhältnismäßigkeit." Auch Außenminister Guido Westerwelle (FDP) verlangte eine "neutrale" Prüfung der Vorfälle. Zudem müsse das Schicksal der zehn Bundesbürger, die mit der sogenannten Solidaritätsflotte unterwegs waren, schnellstmöglich geklärt werden.

Zuvor hatte bereits die Europäische Union eine Untersuchung des Vorfalls gefordert. Die Außenbeauftragte Catherine Ashton forderte von Israel, Hilfslieferungen in den Gazastreifen sowie die Einreise von Personen unverzüglich und ohne Behinderungen zuzulassen.

Aktivisten sollen abgeschoben werden

Inzwischen schleppte die israelische Marine einen Teil der Schiffe in den Hafen von Aschdod, darunter auch das türkische Passagierschiff "Marmara" An Bord dieses Schiffes waren die neun Aktivisten am Morgen umgekommen. Auch mindestens 570 Aktivisten sollen an Bord sein. Die mehreren hundert Aktivisten sollen nach bisherigen israelischen Angaben abgeschoben werden. Sollten sie eine freiwillige Abschiebung nicht akzeptieren, droht ihnen Haft.

Israel hat den Gazastreifen nach Machtübernahme der radikalen Hamas-Organisation im Juni vor drei Jahren nahezu vollständig von der Außenwelt abgeriegelt. In dem Gebiet leben rund 1,5 Millionen Menschen. Die Hamas bezeichnete die Übernahme des Hilfsbootes als barbarischen Akt.

Die Hilfsorganisation "Free Gaza"
Die internationale Organisation "Free Gaza" will mit Hilfsgütern die palästinensische Bevölkerung des Gazastreifens unterstützen. Solidaritätsfahrten von Schiffen sollen auch öffentlichkeitswirksam auf die Blockade des Gebiets durch Israel hinweisen.

Mehrfach wurden Fahrten von "Solidaritätskonvois" mit Dutzenden bis Hunderten Aktivisten an Bord und prominenten Unterstützern organisiert. Im August 2008 erreichten laut "Free Gaza" zwei Schiffe mit Hilfsgütern im Wert von 200.000 Euro von Griechenland über Zypern Gaza. Im Oktober 2008 brachten 26 Aktivisten auf einem weiteren Schiff medizinische Hilfsgüter nach Gaza. Während des Gaza-Krieges endete eine Solidaritätsfahrt Ende Dezember 2008 kurz vor der Küste. Nach Angaben der Aktivisten wurde ihr Boot nach Schüssen vor den Bug von einem israelischen Kriegsschiff gerammt und zum Abdrehen gezwungen. Bei einem weiteren Versuch im Juni 2009 wurde ein Hilfsschiff vor Gaza abgefangen und in den israelischen Hafen Aschdod gezwungen. Zum tragischsten Ereignis kam es im Mai 2010, als israelische Soldaten die "Mavi Marmara" stürmten und neun türkische Bürger töteten.