Hände stecken Stimmzettel in eine Wahlurne
Kontext

Zweifelhafte Umfrageergebnisse Wie man sich eine Wahl projiziert

Stand: 30.04.2025 16:08 Uhr

Ein X-Account veröffentlicht "Projektionen" zu den voraussichtlich 2029 stattfindenden Bundestags- und Europawahlen. Obwohl er nicht zum ersten Mal mit zweifelhaftem Vorgehen auffällt, erzielt er damit Aufmerksamkeit.

Der neue Bundestag hat sich gerade erst konstituiert, da gibt es bereits eine "Projektion", wie das nächste Parlament aussehen kann - vorausgesetzt es wird, wie geplant, 2029 gewählt. Auf dem X-Account "@PrognosUmfragen" liest man, dass die AfD dann mit 27 Prozent der Stimmen deutlich vor der CDU mit 22 Prozent und der SPD mit 14 Prozent gewinnen wird.

Die separat aufgeführte CSU erhält demnach in vier Jahren fünf, Grüne neun und Linke zehn Prozent. Das BSW liegt bei vier, alle anderen Parteien zusammen bei acht Prozent. Ein ähnliches Ergebnis wird von "@PrognosUmfragen" für die Europawahl 2029 vorhergesagt.

Ein Screenshot der Profilseite von "PrognosUmfragen" auf der Plattform "X" zeigt eine Balkengrafik zur Bundestagswahl in Deutschland.

Der Account PrognosUmfragen sieht die AfD in einer "Projektion" für die Bundestagswahl 2029 mit 27 Prozent stärkste Kraft werden. Voraussagen, die vier Jahre vor einer Wahl getroffen werden, gelten unter Experten jedoch als nicht seriös.

Zum Vergleich: Im aktuellen ARD-DeutschlandTrend von infratest dimap liegt die CDU/CSU bei 26, die AfD bei 24 Prozent, die SPD bei 16 und die Grünen bei elf Prozent. Die Linke würde zehn, das BSW und die FDP vier Prozent erhalten.

Momentaufnahmen, keine Langzeitaussagen

Aber können valide Voraussagen zu Wahlen getroffen werden, die noch vier Jahre in der Zukunft liegen? Seriöse Statistiker und Wahlforscher weisen das Ansinnen vehement zurück.

"Wahlabsichten vier Jahre im Voraus zu berechnen ist aus Sicht der Forschung nicht redlich möglich, das widerspräche den Erkenntnissen der Wahl- und Einstellungsforschung", erklärt Heiko Gothe, Geschäftsführer des Rats der Deutschen Markt- und Sozialforschung gegenüber dem ARD-faktenfinder.

Am Verlauf der Umfragewerte zwischen den beiden vergangenen Bundestagswahlen kann man beispielsweise erkennen, wie sehr sich in diesem Zeitraum die Ergebnisse ändern - oft aufgrund von Ereignissen und Entwicklungen, die sich nicht voraussehen lassen.

 

Die Entwicklung der Umfragewerte zwischen den beiden vergangenen Bundestagswahlen zeigt, wie sehr sich diese in einer Legislaturperiode ändern können.

Repräsentative Umfragen bilden immer nur eine aktuelle politische Stimmung ab. Sie erheben aber keinen Anspruch, eine Aussage über die Zukunft zu treffen - etwa ein Wahlergebnis vorherzusagen. Das gilt auch dann, wenn sie unmittelbar vor dem eigentlichen Wahltermin durchgeführt werden - nicht zuletzt deshalb, weil sich viele Wähler erst kurzfristig vor der Stimmabgabe festlegen.

Eine große Bedeutung hat zudem die letzte Phase des Wahlkampfs mit der gezielten Ansprache von unentschlossenen und taktischen Wählern. Deshalb wird bei der ARD-Vorwahlumfrage von Infratest dimap immer wieder darauf hingewiesen, dass es sich nicht um eine Prognose, sondern um das Abbild der politischen Stimmung in der Woche handelt.

Seit 2016 aktiv

Bereits seit 2016 werden auf dem Account "@PrognosUmfragen" "Projektionen" für Wahlen in Deutschland, Österreich und der Schweiz gemacht. Damit bezeichnet man eine Methode, bei der mindestens zwei unterschiedliche statistisch ermittelte Szenarien ausgewertet werden, um das Ergebnis zu präzisieren. So können zum Beispiel die Werte aus einer Umfrage mit dem bisherigen Wahlverhalten der Befragten und deren möglichen taktischen Erwägungen kombiniert werden.

"@PrognosUmfragen" erhebt für sich den Anspruch, seine Projektionen "auf Grundlage von Umfragen und Analysen", zu erstellen. Angaben zu Stichprobengröße und -auswahl, Fragestellung, die Verantwortlichen oder die Finanzierung fehlen jedoch. Lediglich ein Zeitraum für die "Feldarbeit" wird angegeben.

"Diese Grundinformationen sind zur Beurteilung der Aussagefähigkeit einer Untersuchung notwendig und deshalb zusammen mit den Untersuchungsergebnissen zu veröffentlichen", so Gothe. Der Branchenkodex der Markt- und Sozialforschung verpflichtet die Branche in Deutschland in einer Richtlinie, bei der Veröffentlichung einer Wahlumfrage eine Reihe von essentiellen Informationen offenzulegen.

"Wissenschaftlichkeit und Transparenz haben gerade bei Wahlumfragen einen besonders hohen Stellenwert", betont Gothe.

Branchenverband verurteilt Vorgehen

Auch auf die Anfragen mehrerer Medien wollten sich der oder die Inhaber nicht genauer zu ihren Methoden äußern. Der Rat der Deutschen Markt- und Sozialforschung forderte deshalb @PrognosUmfragen auf, die im Branchenkodex festgehaltenen Grundsätze zu beachten und sicherzustellen, dass Umfrageergebnisse einen Beitrag zur demokratischen Debatte leisten, indem sie fundiert und verlässlich sind. Derart unseriöse "Umfragezahlen" sollten zudem nicht weiter verbreitet werden, hieß es in einer Mitteilung.

Das Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos AG weist darauf hin, dass der "Twitterkanal des Users '@PrognosUmfragen' in keiner Weise mit ihr verbunden" sei. "Die Person hinter dem Account ist uns nicht bekannt und steht in keiner Beziehung zur Prognos AG."