Teilnehmer gehen beim Christopher Street Day mit Regenbogenfahnen durch die Innenstadt von Magdeburg. (Archivbild 24.08.2024)

Angriffe auf CSDs "Verstecken bringt nichts mehr"

Stand: 01.05.2025 15:41 Uhr

Queeres Leben hat immer häufiger mit rechten Drohgebärden zu kämpfen. Vor allem in Ostdeutschland, wo die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD vielerorts stärkste Kraft ist. Doch die Community hält zusammen.

Von Nikta Vahid-Moghtada, MDR

Der Christopher Street Day (CSD) in Schönebeck bei Magdeburg markierte am Samstag als deutschlandweit erster in diesem Jahr den Beginn der "Pride Season". Noch zwei Tage vorab lobten die Veranstalter im Gespräch mit dem MDR die gute Zusammenarbeit mit den Behörden und der Polizei, die auch in diesem Jahr wieder zahlreich vor Ort war - eigentlich, um die Veranstaltung vor rechten Angriffen zu schützen. Der CSD ist jedoch frühzeitig von Polizei und Ordnungsamt aufgelöst worden. Die Polizei begründet die Entscheidung mit nicht ausreichend vorhandenem Sicherheitspersonal.

Mitveranstalter Falko Jentsch hingegen kritisiert bürokratische Hürden: Das Sicherheitspersonal vor Ort, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer mit entsprechendem Sicherheitszertifikat, seien nicht akzeptiert worden. Professionelles Personal mit sogenannter "Bewacher-ID" wäre nötig gewesen. Er sei außerdem von der Polizei darauf hingewiesen worden, auf die "politische Aussage" der Veranstaltung zu achten, nachdem ein Liebeslied angekündigt worden sei, kritisiert Jentsch in einem Video auf Instagram und fordert eine schnelle Aufklärung der Geschehnisse am Samstag.

Polizeischutz: Fluch und Segen zugleich

Vom nötigen Polizeischutz auf seiner Veranstaltung sprach Jentsch noch Ende vergangener Woche als Fluch und Segen zugleich: "Wir wissen, dass wir auf den Veranstaltungen geschützt und sicher sind, aber um einen sehr hohen Preis, also mit einer sehr, sehr hohen Polizeipräsenz." Rechte Übergriffe auf CSDs seien in Sachsen-Anhalt zwar kein Phänomen der vergangenen zwei Jahre, "damit hatten wir auch schon früher zu kämpfen".

Doch heute sei die Bedrohungslage eine andere geworden, sagt Jentsch. Er wird privat immer häufiger angefeindet wird - wie auch sein Kollege und Mitveranstalter des CSD, Luca Kielb. Doch er beobachte auch, dass sich die Community untereinander immer enger vernetzt, sagt Kielb. "Vor allem seit den letzten Wahlen gibt es auch viele Leute, die sagen: Verstecken bringt nichts mehr, ich muss sichtbar werden."

Rechte Drohgebärden gegen CSDs gehören auch am anderen Ende Sachsen-Anhalts, in Weißenfels im Burgenlandkreis, zur Tagesordnung. Auch hier wird auf mehr Polizeipräsenz gesetzt. Wie herausfordernd das Engagement vor Ort ist, zeigt auch die neue Doku "Queer in der Provinz", die in der ARD Mediathek zu sehen ist.

"Wir sind optimistisch, unsere Veranstaltung trotz eventueller Anfeindungen bestmöglich durchziehen zu können", sagt José Förster vom CSD Burgenlandkreis. Es sei eine Veränderung im gesamtgesellschaftlichen Klima zu spüren, sagt Förster weiter. "Die weiter erstarkende Rechte macht uns Sorgen, zeitgleich sehen wir aber auch, dass unser Engagement wirkt. Wir bekommen jedes Jahr Nachrichten von begeisterten Teilnehmenden unseres CSD und von Menschen, die sich dafür bedanken, dass wir Sichtbarkeit schaffen."

CSD Döbeln: Rechte Angriffe gehören zum Alltag

Im Nachbar-Bundesland Sachsen klingt etwas weniger Optimismus durch. "Wenn wir in fünf Jahren noch an dem Punkt sind, an dem wir jetzt sind, können wir von Glück reden", sagt Ocean Hale Meißner. Meißner ist ein Kopf hinter dem Christopher Street Day im sächsischen Döbeln. Dort, nur etwa zweieinhalb Autostunden von Berlin entfernt, findet in diesem Jahr zum vierten Mal ein CSD statt - auch unter Polizeischutz. Wie nötig das ist, zeigen zum Beispiel Bilder aus dem vergangenen Jahr, wo am Rande des CSD in Bautzen Reichskriegsflaggen wehten und Regenbogenfahnen brannten.

Als der CSD Döbeln im vergangenen Jahr zum dritten Mal stattfand, durfte eine von rechts angemeldete Gegendemo nicht nur ebenfalls stattfinden, sondern über die komplette Strecke hinweg dem CSD-Zug folgen. Es habe sich angefühlt, "wie Vieh durch die Straßen gejagt zu werden", erinnert sich Ocean Hale Meißner. "Du kannst dabei nicht frei und unbeschwert deine queere Community feiern. Da stehen Nazis zwei, drei Meter von dir entfernt und halten dir die Kamera ins Gesicht." Um sich die Gesichter der Veranstaltenden zu merken und dann zuzuschlagen, wenn die Polizei nicht mehr so omnipräsent sei wie am Tag des CSD, sagt Meißner.

Zuvor hatte es einen Buttersäureanschlag auf das Veranstaltungsgelände gegeben. Das sei fast schon eine kleine Tradition, sagt Meißner. Auch hier fällt der Satz: "Rechte Angriffe gehören zum Alltag, nicht erst seit vergangenem Jahr." Tätliche Angriffe gegen queere Menschen, Morddrohungen in Richtung des Organisationsteams: Das sei alles keine Seltenheit. Das Team um Ocean Hale Meißner hat sich daher erst vor etwa zwei Monaten dazu entschieden, noch einmal einen CSD durchzuführen.

Latentes Gefühl der Gefahr

Auch in Thüringen wird regelmäßig gegen CSD-Veranstaltungen demonstriert. Vor allem die Kleinpartei "Der III Weg" habe gegen den CSD Erfurt mobilisiert, sagt Richard Gleitsmann, Sprecher des Erfurt Pride (Transparenzhinweis: Gleitsmann ist auch für den MDR tätig). Auch die Erfurter Veranstaltenden stehen in engem Austausch mit den Sicherheitsbehörden. "Dass das überhaupt notwendig ist, besorgt uns sehr", sei aber nötige Realität.

Queeraktivistische Arbeit werde gefährlicher, sagt Gleitsmann mit Blick auf die gesellschaftliche Stimmung in Thüringen. "In einem Bundesland, in dem rechtsextreme Parteien mehr als ein Drittel der Stimmen der Wählerinnen und Wähler bekommen, ist uns klar, dass uns ein sehr großer Teil der Gesellschaft ablehnend gegenübersteht", sagt Gleitsmann.

Sinnbild für Freiheit - und Feindbild rechter Kräfte

Sven Lehmann, Queer-Beauftragter der Bundesregierung, ist sich dieser Problematik bewusst. "LSBTIQ* (steht für: lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter* und queere Menschen) sind zu einem Sinnbild geworden für die Freiheit, selbst über das eigene Leben zu bestimmen. Sie geraten deshalb ins Visier von autoritären, rechtsextremen, religiös-fundamentalistischen und nationalistischen Kräften, die diese Freiheit bekämpfen und damit den Kern von Demokratie angreifen", sagt Lehmann. Doch die Tage in seinem Amt sind gezählt, und ob sein Posten in der neuen Koalition noch einmal besetzt wird, ist derzeit nicht klar.

Das Engagement gegen LSBTIQ*-Feindlichkeit bezeichnet Lehmann als "politische und gesellschaftliche Daueraufgabe" und blickt mit Sorge auf den politischen Rechtsruck.

Egal ob in der Politik Berlins oder in Döbelns Seitenstraßen: Es fehle generell an Sichtbarkeit der queeren Community nach außen hin, sagt Ocean Hale Meißner. Es mangele an Bildungsarbeit, um für queeres Leben zu sensibilisieren. "Der Großteil von Diskriminierung passiert nicht aus Absicht, sondern aus Unwissenheit. Wieso nutze ich denn falsche Pronomen? Weil ich nicht weiß, wie ich sie richtig benutzen kann - oder weil ich nicht weiß, dass es normal ist, danach zu fragen."

All das sei Bildungsarbeit, die aktivistische Personen wie Ocean Hale Meißner Tag für Tag ehrenamtlich leisten. Doch das sei kräftezehrend. "Viele Leute halten diese Alltagsdiskriminierung nicht mehr aus und gehen in die Großstädte". Dann entstehe aber ein Teufelskreis, sagt Meißner. "Wenn immer weniger queere Menschen auf dem Land bleiben, sind irgendwann keine mehr da, die vor Ort noch Bildungsarbeit leisten könnten."

Wie schwer es für queere Menschen gerade im ländlichen Raum ist, selbstbestimmt zu leben, zeigt auch die neue ARD-Doku "Queer in der Provinz". Der Film begleitet Schwule, Lesben und Nicht-binäre Personen und wirft einen intensiven Blick auf die Herausforderungen, aber auch Hoffnungen und Erfolge queerer Menschen in ländlichen Regionen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete MDR Sachsen-Anhalt am 27. April 2025 um 15:00 Uhr.