Lars Klingbeil und Friedrich Merz unterhalten sich im Bundestag.
analyse

Nach SPD-Mitgliedervotum Die Hochrisiko-Koalition

Stand: 30.04.2025 17:22 Uhr

Die Koalition aus Union und SPD kann kommen. Doch von Aufbruchstimmung keine Spur. Schwarz-Rot ist eher ein Zweckbündnis mit großen Risiken. Vor allem der künftige Kanzler Merz muss zum Meister der Kompromisse werden.

Eine Analyse von Corinna Emundts, tagesschau.de

Die schwarz-rote Koalition unter dem designierten CDU-Bundeskanzler Friedrich Merz hat ihre letzte Hürde genommen, um nun antreten zu können. Damit wird das Land zum vierten Mal seit der Wiedervereinigung von einer Mitte-Koalition aus Union und SPD regiert.

Ein Modell, mit dem Angela Merkel als Unions-Regierungschefin lange recht erfolgreich war. Ihr Erfolgsrezept war dabei, der SPD inhaltlich oft weit entgegenzukommen. Innerhalb der Union ging es manchen zu weit - gerade dem Wirtschaftsflügel und wachsenden Merz-Lager.

Zum politischen Typus Merz und den von ihm geschürten Erwartungen eines Politikwechsels passt diese Koalition deswegen nicht wirklich gut. Ganz einfach, weil eine schwarz-rote Koalition inhaltlich keine 180-Grad-Wende im Vergleich zur SPD-geführten Vorgänger-Regierung hinkriegen wird - allen Beteuerungen von Merz und auch des designierten SPD-Vizekanzlers Lars Klingbeil zum Trotz.

Klingbeil etwa darf SPD-Kerninhalte wie die Soziale Gerechtigkeit, den Mindestlohn etwa oder eine humane Flüchtlingspolitik aus Parteisicht nicht verscherbeln und verwässern.

Merz wollte anders sein

Mit einer eigenen Kanzlerschaft und Regierung wollte der studierte Jurist Merz sich nicht nur von der Ampelkoalition unter dem SPD-Kanzler Olaf Scholz inhaltlich absetzen, sondern auch von seiner Amtsvorgängerin Merkel - gerade in der Migrationspolitik. Er hat als Gegenmodell zur Merkel-Politik höchste Erwartungen geschürt, etwa zum Erhalt der Schuldenbremse. Die schienen schon im Wahlkampf unrealistisch, da Merz schlicht nicht mit einer alleinigen oder einer schwarz-gelben Lagerregierung rechnen konnte.

Nun wird er zum Meister der Kompromisse werden müssen - wie Merkel. Das liegt in der Natur einer Mitte-Koalition aus den sehr unterschiedlichen politischen Kulturen von SPD und Union.

Zu seinen Ankündigungen, etwa am ersten Tag seiner Kanzlerschaft, ein "faktisches Einreiseverbot" für unberechtigt einreisende Migrantinnen und Migranten an den nationalen Grenzen zu schaffen, passt das nur bedingt. Er wird sie mit der SPD im Boot so nicht umsetzen können. Rechtlich ist ein solches Vorgehen umstritten, weil etwa nach dem Europarecht jeder Mitgliedsstaat verpflichtet ist, ein Asylbegehren zumindest auf die Frage hin zu prüfen, welches Land zuständig ist.

Hat Schwarz-Rot eine echte Chance?

Die Koalition startet mit pragmatischem Geist, mit der Aura eines Zweckbündnisses ohne Anfangseuphorie. Eine gemeinsame Überschrift wie "Fortschrittskoalition" hat man sich gespart.

Eine Chance hat Merz dann, wenn er seinen Rollenwechsel und einen kompromissorientierten Politikstil glaubwürdig verkörpern kann. Diese Koalition ist von vorneherein mit großen Risiken verbunden, nicht nur für die beteiligten drei Parteien.

Das Risiko des vorzeitigen Scheiterns dieser Koalition darf nur ein theoretisches bleiben: Denn noch ein an mangelnder Kompromissfähigkeit scheiterndes politisches Bündnis kann sich die demokratische Mitte nicht leisten, will sie nicht noch mehr Zulauf an die AfD verursachen. Das neue Bündnis ist quasi zum Erfolg verpflichtet. Man darf davon ausgehen, dass dies dem künftigen Kanzler und Vizekanzler bewusst ist.

Merz jedoch bleibt ein unionsinternes Risiko, weil er parteiintern seine Unterstützung eher aus dem wirtschaftsliberalen und Anti-Merkel-Lager bezieht. Er wird jetzt genau diese Gefolgschaft mit schwarz-roter Politik durch reine Schnittmengen-Politik statt "CDU pur" zuweilen enttäuschen. Andererseits muss er bereits für die nächste Bundestagswahl im Blick haben, nicht noch mehr Wählerinnen und Wähler an die in Teilen rechtsextreme AfD am Rechtsaußen-Rand des Parlaments zu verlieren. Das wird für Merz zum Dauer-Spagat.

Aber auch die SPD geht mit vergleichbaren Risiken in diese Koalition - mit noch schlechterer Ausgangsposition als Juniorpartner der Union. Wie soll sie nach dem Wahlverlust der von ihr geführten Ampelkoalition nun den bisherigen GroKo-Effekt verhindern, dabei auch stets an Wählerstimmen zu verlieren? Startete sie noch 2005 mit 34,2 Prozent in die erste schwarz-rote Koalition unter Merkel, ging sie mit 25,7 Prozent aus der dritten hervor.

Nicht mit Merkel-Ära vergleichbar

Doch vergleichbar ist das neue Schwarz-Rot ohnehin nicht wirklich mit der Merkel-Ära. Schon, weil man prozentual nicht mehr von einer "Großen Koalition" sprechen kann: Im Jahr 2005 vereinten Union und SPD noch zusammen 69,4 Prozent der Stimmen - also eine echte starke Mehrheit von mehr als zwei Drittel bei den Wählenden. Heute sind es rund 45 Prozent. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP regierte zuletzt mit 51,8 Prozent der Stimmen.

Das bedeutet, dass die neuen Regierungsparteien CDU, CSU und SPD mehr um Zustimmung ringen müssen, ohne sich einer breiten Basis der Gesellschaft sicher sein zu können. Beide Fraktionen wollen es schaffen, bei der nächsten Wahl 2029 wieder mehr Wählende für sich zu gewinnen.

Bei allen Risiken liegt die Chance der designierten schwarz-roten Merz-Regierung im "Guten Regieren" und in weniger kompromiss- und ergebnislosen Streitereien als bei der Ampelkoalition, begleitet davon, dass es mit der Wirtschaft nach ein paar schwarz-roten Weichenstellungen trotz der harten US-Zollpolitik schnell aufwärts geht. Damit wären die im Koalitionsvertrag für beide Seiten wichtigen Projekte umzusetzen. Und zugleich könnte Schwarz-Rot auch der Oppositionsführerin AfD damit den Wind aus den Segeln nehmen.