Geflüchtete betreten die Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA).
Mittendrin

Flüchtlingsunterkunft Wie Geflüchtete kamen - und nun wieder gehen

Stand: 21.04.2025 10:39 Uhr

In Ellwangen wurde vor zehn Jahren eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge eröffnet. In diesem Jahr soll sie geschlossen werden. Die Stadt blickt zurück auf bewegte Zeiten.

Am 9. April 2015 hält am Rande der kleinen Stadt Ellwangen ein Bus. Etwa 50 Männer steigen aus. Sie kommen aus Syrien. Und sie werden die ersten Bewohner der Ellwanger Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) sein, die an diesem Tag ihre Tore für die ersten Flüchtlinge öffnet.

Ziemlich genau zehn Jahre später, im April 2025, läuft Berthold Weiß die Straße des LEA-Geländes entlang. Rechts und links der Straße stehen weiße Häuser, zweigeschossig, auf gepflegten Rasenflächen. Zehntausende Menschen aus aller Welt hat die ehemalige Bundeswehrkaserne seit dem ersten Bus beherbergt. Heute wohnen hier 300 Menschen - aus Syrien, der Türkei, aus Sri Lanka. "Aktuell sind wir nicht mal zur Hälfte belegt", erklärt Berthold Weiß, der Leiter der LEA. "Das entspannt die Sache natürlich. Wir haben Zugänge von vier bis fünf Personen pro Tag, von daher ist hier alles sehr ruhig."

Aber es gab auch andere Zeiten. Eröffnet wurde die LEA im April 2015, schon einen Monat später war die erlaubte Obergrenze von 1.000 Flüchtlingen erreicht. Im Sommer 2015 dann waren es schon viereinhalbtausend Menschen, die sich in der ehemaligen Bundeswehrkaserne drängten.

Feldbetten wurden aufgebaut, Zelte auf die Rasenflächen gestellt. Die Stimmung drohte zu kippen. Aber nicht wegen der schieren Masse an Flüchtlinge, sondern wegen einiger weniger: "Wir hatten eine sehr schwierige Gruppe alleinreisender Männer aus den Maghrebstaaten, da waren viele Kriminelle dabei." Ladendiebstähle, mutwillig ausgelöste Feueralarme, nächtliche Polizeieinsätze. Und eine Bevölkerung, die erstmals hautnah erlebt, was Merkels "Wir schaffen das" für eine Kleinstadt bedeutet.

Menschen stehen in der Kantine der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA) in einer Warteschlange.

Es sollten 1.000 Geflüchtete kommen - doch dann waren es viereinhalb mal so viele.

Von der Politik alleingelassen?

Ellwangen ist eine kleine Stadt auf der schwäbischen Ostalb, nahe der bayerischen Grenze. Geranienkästen, christliche Fassadenmalereien, Traditionsgasthäuser. Fuchseck wird der zentrale Platz in der historischen Altstadt genannt, an dem ein Brunnen und Straßencafés die Idylle perfekt machen.

"Hier war immer was los", erinnert sich Volker Grab von den Grünen, der 2015 schon Bürgermeister war. "In den Hochzeiten, als die meisten Flüchtlinge da waren, war es hier voll, denn hier am Fuchseck gab es kostenloses WLAN, da saßen die alle."

Zu Beginn der Flüchtlingskrise sei die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung immens gewesen, das werde er nie vergessen, so Volker Grab. "Aber die Flüchtlingspolitik hat sich zu sehr auf das Ehrenamt verlassen", ergänzt sein Amtskollege Michael Dambacher von der CDU, der jetzige Oberbürgermeister Ellwangens. "Irgendwann kann man das Ehrenamt auch überfordern."

Oft habe man sich von der Berliner Politik auch im Stich gelassen gefühlt, sagt Volker Grab. "Da wurden in der großen Flüchtlingspolitik wirklich Fehler gemacht, dass man den Menschen Dinge zugesagt hat, die nicht eingehalten wurden - wie die Obergrenze von 1.000 Flüchtlingen, und dann waren es viereinhalb Tausend." Es gebe eine Grenze, was eine Stadtgesellschaft aushalten kann.

Herausforderung für Stadtgesellschaft

Und so ist die Ellwanger Stadtgesellschaft bis heute gespalten. Die einen empfinden die Flüchtlingsunterkunft nach wie vor als Belastung, berichten von Lärm, von Küchengerüchen, die sie stören, auch von Ladendiebstählen oder sexuellen Belästigungen.

Andere lassen einen Stolz erahnen, dass man es als Stadt hingekriegt hat, so viele Menschen aufzufangen. Und wieder andere haben in der LEA eine Aufgabe gefunden, als Teil des ehrenamtlichen Teams, das die Flüchtlinge vor Ort unterstützt.

Herbert Hieber gibt einmal wöchentlich Deutschunterricht in der Flüchtlingsunterkunft. Als der ehemalige Lehrer 2013 pensioniert wurde, habe er eine neue Aufgabe gesucht - und bei den Geflüchteten gefunden. "Wenn ich diese jungen Männer hier vor mir sitzen sehe, aus Afghanistan, Indien, Syrien, die sich gegenseitig helfen, das ist menschlich unerhört bereichernd für mich", sagt er. Sein Blick schweift durch den Klassenraum.

Draußen vor der Tür ist der Leiter der LEA, Berthold Weiß, derweil in ein Gespräch verwickelt. Ein junger Mann aus dem Maghreb hat ihn angesprochen. Er brauche Geld, viel Geld, und das schnell. Warum er nicht arbeiten dürfe, dafür sei er schließlich nach Deutschland gekommen.

Ein Kapitel Flüchtlingsgeschichte geht zu Ende

Dass Flüchtlinge erst Arbeit aufnehmen dürfen, wenn sie ihr Verfahren durchlaufen haben und dass dies Monate dauern kann, wusste er nicht. "Das ist eine typische Geschichte", so Berthold Weiß. "Natürlich verlässt niemand freiwillig, ohne Not, seine Heimat. Aber viele kommen immer noch hier her und denken, Deutschland ist das Land, wo Milch und Honig fließen." Daran habe sich in den vergangenen zehn Jahren nichts geändert. Und darüber müsse man offen reden.

Er selbst hat immer auf Offenheit gesetzt, hat von Anfang an Führungen durch die LEA angeboten, um der Bevölkerung zu zeigen was gut läuft - und auch, was nicht. Solch eine Offenheit würde er sich auch von der Politik wünschen, sagt Berthold Weiß. Und mehr Handlungsmöglichkeiten: "Wissen Sie, wenn ich jemanden habe, der fünf oder sechs Ladendiebstähle begangen hat, und ich kann dem nicht mal das Taschengeld kürzen, dann ist das für uns schon bitter."

Ende des Jahres läuft der Vertrag mit dem Land aus. Die LEA soll aufgelöst, die verbliebenen Flüchtlinge umverteilt werden. Dann entsteht hier ein Neubaugebiet. Und ein Kapitel Flüchtlingsgeschichte geht zu Ende. Zumindest für Ellwangen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 15. April 2025 um 22:15 Uhr.