Abschiebeflug Flugzeug am Frankfurter Flughafen hinter Stacheldraht (Symbolbild)

Baden-Württemberg Geflüchtet aus dem Irak: Jetzt droht einem jungen Jesiden die Abschiebung

Stand: 20.06.2025 09:05 Uhr

Saeed ist Jeside und floh vor über zwei Jahren aus dem Nordirak über Griechenland nach Deutschland. Jetzt droht ihm die Abschiebung.

Von Susanne Babila

Saeed blättert in den Unterlagen, die ihm vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zugestellt wurden. Der 24-jährige Jeside ist mit seinem Bruder aus dem Nordirak geflüchtet. Er möchte anonym bleiben und nur mit seinem Vornamen genannt werden. Vor ihm liegt ein Stapel Papiere, darunter ausgefüllte Antragsformulare, Lichtbildkopien, Anhörungsprotokolle und der Ablehnungsbescheid. Saeed wird darin aufgefordert innerhalb einer Woche Deutschland zu verlassen. "Sollte der Antragsteller die Ausreisefrist nicht einhalten, wird er nach Griechenland abgeschoben", so die Entscheidung des Bundesamtes.  

Ich wollte in Deutschland eine Ausbildung machen und als Pfleger arbeiten. Jetzt bin ich ratlos und weiß nicht wohin. Saeed, 24-jähriger Jeside aus dem Nordirak

Saeed floh vor über zwei Jahren über die Türkei und Griechenland nach Deutschland, sein Bruder ging nach Holland. Nach der sogenannten Dublin-Verordnung muss Saeed in das europäische Land zurück, in das er zuerst eingereist ist. In seinem Fall also Griechenland. Viele Jahre waren Rückführungen in den Mittelmeerstaat unter Verweis auf die unhaltbaren Zustände in griechischen Flüchtlingslagern ausgesetzt. Doch das höchste deutsche Verwaltungsgericht in Leipzig billigte im April 2025 in einer Grundsatzentscheidung Abschiebungen nach Griechenland. Flüchtlingen drohten in dem EU-Mitgliedstaat "keine erniedrigenden oder unmenschlichen Lebensbedingungen", so die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts. Asylanträge alleinstehender, gesunder Schutzberechtigter wie Saeed dürften daher zurückgewiesen werden.  

Abschiebungen nach Griechenland: Für PRO ASYL "nicht nachvollziehbar"

Nach einer Rückkehr nach Griechenland müssten sich die Menschen zwar durch einen Behördendschungel kämpfen, so die Bundesrichter. Es sei aber möglich, eine Unterkunft zu finden. Auch Zugang zu Essen und zu Arbeit lasse sich finden - sei es über Suppenküchen oder die sogenannte Schattenwirtschaft. Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL nannte die Entscheidung des Gerichts "nicht nachvollziehbar". Flüchtlingen in Griechenland seien in einem bürokratischen Teufelskreis gefangen. Viele landeten auf der Straße.  

Menschen, die aus Deutschland nach Griechenland abgeschoben werden, droht die Verelendung.  PRO ASYL

In einem aktuellen Bericht schildern PRO ASYL und ihre Partnerorganisation "Refugee Support Aegean" (RSA) in Griechenland die prekären Lebensumstände von Geflüchteten in dem EU-Staat. Das vergangene Jahr 2024 war "von einer nahezu vollständigen Einstellung der Grundversorgung für Geflüchtete in Griechenland gekennzeichnet - einschließlich der Sozialleistungen, die Asylsuchenden für die Dauer des Asylverfahrens zustehen". Auch Saeed erzählt, dass er in Griechenland in elenden Lagern oder auf der Straße gelebt und keine Arbeit gefunden habe. Doch nach Shingal, in seine Heimat im Nordirak, könne er auf keinen Fall zurück.  

In meiner Heimatregion im Nordirak leben radikale Muslime, die immer wieder Jesiden töten. Saeed flüchtete vor über zwei Jahren aus dem Nordirak

Orient-Experte: Für radikale Muslime sind Jesiden Ungläubige

Islamistische Terroristen und internationale Akteure wie Irak, Iran und die Türkei machten die Region unsicher. Jesiden können nicht in ihre Heimatdörfer zurückkehren, erklärt der Orient-Experte und deutsch-kurdische Psychologe Ilhan Kizilhan. Jesiden würden als religiöse Minderheit im Nordirak seit Jahrhunderten diskriminiert und verfolgt. Für radikale Muslime seien Jesiden Ungläubige. "Islamisten werten ihre Tötung sogar als heilige Tat", so Kizilhan. In Shingal, Saeeds Heimatregion, sei die Lage besonders dramatisch. 

Die Diskriminierung ist vonseiten radikaler Muslime sehr stark. Sie glauben auch, dass Jesiden nicht das Recht haben dort zu leben. Ilhan Kizilhan - der Orient-Experte reist regelmäßig in den Irak

Die Verfolgungen erlebten ihren Höhepunkt im August 2014, als IS-Milizen jesidische Dörfer überfielen und bis zu zehntausend Jesiden töteten, Frauen und Kinder verschleppten, vergewaltigten und versklavten. Saeed war 13 Jahre alt, als er mit seiner Familie tagelang von IS-Milizen gefangen gehalten wurde. 

Sie haben Frauen und Männer getrennt. Wir haben immer wieder Schüsse gehört und mussten miterleben, wie sie Männer töteten. Nach einigen Tagen gelang uns die Flucht in die Berge.    Saeed, heute 24 Jahre alt, hat den Genozid an Jesiden miterlebt

Familie floh vor IS-Milizen ins Gebirge

Saeed, seine Eltern und Geschwister suchten wie Tausende Jesiden Zuflucht im Sindschar-Gebirge und wurden dort eingekesselt. Diejenigen, die sich nicht durch Flucht retten konnten, wurden getötet oder entführt. Tage später wurde Saeed und seine Familie von kurdischen Kämpfern befreit, wie er erzählt. Seither lebte er in einem Zeltlager im Norden des Irak, ehe er mit seinem Bruder nach Europa aufbrach. Neben der unsicheren Lage für Jesiden gebe es dort kaum Arbeit und die Versorgung sei schlecht, erklärt er. Und sie wird immer schlechter, denn die plötzliche Aussetzung von USAID-Geldern durch die Trump-Regierung trifft auch Hilfsorganisationen im Nordirak, erklärt Ilhan Kizilhan, der regelmäßig in den Irak reist und traumatisierte Jesiden behandelt. 

Innerhalb eines Tages haben Hunderte von NGOs ihre Zelte abbrechen müssen, sind gegangen. Also, es ist viel, viel schlimmer geworden. Ein katastrophaler Zustand. Ilhan Kizilhan, Psychologe und Traumatherapeut

Die nordirakische Regierung plant, die Flüchtlingslager bis Ende Juli aufzulösen. Jesiden sollen wieder in ihre Heimatdörfer zurück. Auch Saeeds Familie. Doch sie haben große Angst vor radikalen Muslimen, der Wiederaufbau ihrer Heimatdörfer kommt nur langsam voran und das Trauma bleibt. Auch der Antisemitismusbeauftragte der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume, kritisiert, dass es bisher keinen dauerhaften bundesweiten Abschiebestopp für nach Deutschland geflüchtete Jesidinnen und Jesiden gibt.  

Forderung nach bundesweitem Abschiebestopp

Der Bundestag hat die ab 2014 verübten Verbrechen der Terrororganisation "Islamischer Staat" an den Jesidinnen und Jesiden im Nordirak vor zwei Jahren als Völkermord anerkannt. Aber das Parlament setze "den anerkannten Genozid nicht in Recht um", so Blume auf einer Tagung in Stuttgart im April 2025.

Gemeinsam mit Ilhan Kizilhan hatte Blume in den Jahren 2014 und 2015 als Mitarbeiter der Landesregierung eine maßgebliche Rolle dabei gespielt, dass rund eintausend schwerverletzte und besonders traumatisierte jesidische Frauen und Kinder in Baden-Württemberg aufgenommen wurden.

Blume hat nach eigenen Worten die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz abgelehnt - aus Protest gegen die Jesiden-Politik Deutschlands, die Überlebende des Genozids, wie Saeed, abschiebe. Er sei von der Bundespolitik enttäuscht, die "unmoralisch und unglaubwürdig" handele. In Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen wurden bislang die meisten Abschiebungen durchgeführt.   

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