
Baden-Württemberg Kretschmann vertraut Bundesregierung trotz Gerichtsentscheid zu Zurückweisungen an Grenzen
Kanzler und Innenminister wollen am harten Kurs an den Grenzen festhalten - trotz einer Gerichtsentscheidung. Anders als die Grünen im Bund stimmt BW-Regierungschef Kretschmann nicht in die Kritik ein.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hält sich trotz der Gerichtsentscheidung zu Zurückweisungen von Asylsuchenden mit Kritik an der Bundesregierung zurück. "Ich bin nicht die Opposition im Bundestag", sagte Kretschmann am Dienstag in Stuttgart in Anspielung auf die harsche Kritik der Bundes-Grünen an der Union. Stattdessen erklärte er: "Ich nehme an, dass sich die Bundesregierung rechtskonform verhält. Alles andere wäre ja höchst kritikwürdig. Das steht in ihrer eigenen Verantwortung." Er selbst könne die Gerichtsentscheidung nicht beurteilen. Die Grenzkontrollen hätten jedenfalls zu einem Rückgang der irregulären Migration geführt. Deswegen hatte Kretschmann vor kurzem noch angeregt, sie zu verstärken.
Kretschmann mahnte die schwarz-rote Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU) aber, sich besser mit den Nachbarländern abzustimmen. "Wir müssen begrenzen und steuern, dafür brauchen wir europäische Lösungen. Man muss mit den Nachbarländern zusammenarbeiten." So stehe es auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD. "Nationale Alleingänge lösen bei grenzüberschreitenden Fragen dauerhaft keine Probleme." Kretschmann ergänzte: "Die Kritik aus Polen, der Schweiz und anderen Ländern hat gezeigt, da ist noch Luft nach oben in der Kommunikation und Abstimmung."
Berliner Gericht erklärt Zurückweisung von Asylsuchenden an den Grenzen für rechtswidrig
Zuvor hatte das Berliner Verwaltungsgericht in mehreren Eilverfahren die von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) verfügte Zurückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen für rechtswidrig erklärt. Schutzsuchende dürften nicht ohne das europarechtlich vorgegebene Dublin-Verfahren zurückgewiesen werden. Es müsse zumindest geprüft werden, welcher Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist.
In den konkreten Fällen ging es um drei Somalier, die im Mai in Frankfurt (Oder) von der Bundespolizei kontrolliert und nach Polen zurückgeschickt wurden, obwohl sie ein Asylgesuch gestellt hatten. Dobrindt hatte am Montagabend erklärt, er halte trotzdem vorerst an den Zurückweisungen fest und wolle noch eine bessere Begründung liefern.
Merz stützt Innenminister: Wir können weiter zurückweisen
Kanzler Friedrich Merz stützte am Dienstag seinen Innenminister. Die Entscheidung des Berliner Gerichts enge die Spielräume zwar möglicherweise noch einmal etwas ein, sagte der CDU-Chef beim Kommunalkongress des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in Berlin. "Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können."
Man werde das selbstverständlich im Rahmen des bestehenden europäischen Rechts tun. "Aber wir werden es tun, auch um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserem Lande zu schützen und die Städte und Gemeinden vor Überlastung zu bewahren."
Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) sagte, die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts Berlin beträfen drei Einzelfälle, über die im Eilverfahren ohne eine abschließende Prüfung der Sach- und Rechtslage entschieden worden sei. "Daher lassen sich die Argumente des Gerichts nicht direkt auf die viel diskutierten Fälle der Zurückweisungen an den deutschen Binnengrenzen übertragen".
Kehler OB moniert "Nichtbeachtung" der Gerichtsentscheidung
Kritik kommt von der Opposition im Bundestag, aber auch aus dem deutsch-französischen Grenzgebiet, zum Beispiel vom Oberbürgermeister von Kehl, Wolfram Britz (parteilos). "Grundsätzlich ist es schon verwunderlich, wenn die Rechtslage, welche durch Gerichte bewertet wurde, nicht in diesem Sinne umgesetzt wird - die Auswirkungen einer solchen Nichtbeachtung stimmt bedenklich und kann Auswirkungen auf das Rechtsempfinden der gesamten Bevölkerung haben." Dies könne auch nicht im Sinne der Bundesregierung sein. "Rechtstaatlichkeit ist ein hohes Gut und die Trennung der Judikative sollte hier nicht in Frage gestellt werden."
Auch die Grünen machten der Bundesregierung schwere Vorwürfe: "Es ist unseriös und höchst bedenklich, wenn man immer wieder versucht, den rechtlichen Rahmen maximal auszutesten und dafür auch bereit ist, den Rechtsbruch in Kauf zu nehmen", sagte Grünen-Chef Felix Banaszak den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Regierung versuche mit scharfen Ankündigungen und rechtlich offensichtlich nicht tragbaren Anweisungen, "in Trump-Manier ihren Kurs durchzusetzen". Er forderte, durch ein gemeinsames Vorgehen in Europa an "wirklichen Verbesserungen" in der Migrationspolitik zu arbeiten.
Europarechtler aus Konstanz hält Zurückweisungen für möglich
Aus Sicht des Europarechtlers Daniel Thym lassen sich Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchaus begründen. Dies habe die Bundesregierung bisher aber nicht ausreichend getan, sagte der Professor der Uni Konstanz dem Deutschlandfunk am Dienstag. Bundesinnenminister Alexander Dobrindt beruft sich in seiner Anweisung von Anfang Mai auf eine in den europäischen Verträgen berücksichtigte nationale Notlage für das Zurückweisen von Migranten an der Grenze. Staatsrechtler Thym hält dies im europäischen Rahmen für begründbar, wenn die Bundesregierung dabei die Herausforderungen bei der langfristigen Integration der vielen Geflüchteten hinreichend klarmacht.
Der Migrationsforscher Gerald Knaus hält das Konzept der Zurückweisungen an den deutschen Grenzen dagegen für gescheitert. "Alle Fälle, die vor Gericht kommen werden, wird die Bundesregierung verlieren bis hinauf zum Europäischen Gerichtshof. Die Frage ist nur, wie lange sie das noch durchziehen will", sagte Knaus im Podcast "5-Minuten-Talk" des Magazins "Stern". Knaus empfiehlt der Bundesregierung stattdessen sichere Drittstaatenabkommen nach dem Vorbild des EU-Türkei-Deals von 2016. Dieser habe die Migrationszahlen schon einmal reduziert.
Sendung am Di., 3.6.2025 14:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten