
Baden-Württemberg "Organisierte Verantwortungslosigkeit": Hebammen in BW warnen vor katastrophalen Zuständen in Geburtshilfe
Immer mehr studierte Hebammen starten in BW ins Berufsleben. Eine gute Nachricht. Doch laut Verband gefährdet nun eine Neuregelung die Versorgung für Gebärende und Familien.
Seit Hebammen auch in Baden-Württemberg an Hochschulen ausgebildet werden, ist die Zahl der Nachwuchskräfte so hoch wie seit Jahren nicht mehr: 214 Hebammen haben in diesem Jahr ihr Studium in Baden-Württemberg abgeschlossen - als erster Jahrgang seit der vollständigen Akademisierung der Ausbildung 2021. Im Gespräch schildert die Vorsitzende des Hebammenverbandes in Baden-Württemberg, Ruth Hofmeister, warum die jungen Hebammen in ein Berufsfeld mit vielen Problemen starten.
Hofmeister vertritt seit diesem Jahr die Interessen der Geburtshelferinnen gegenüber der Politik und in der Gesellschaft. Neben ihrer Tätigkeit als Landesvorsitzende doziert sie an der Hebammenschule und anderen Hebammen-Studiengängen. Die dort ausgebildeten jungen Hebammen gingen in kein attraktives Berufsfeld, "vor allem gemessen an der Verantwortung, die sie tragen", befürchtet sie.

Ruth Hofmeister ist seit Beginn des Jahres die neue Vorsitzende des Hebammenverbands in Baden-Württemberg.
Wie ist die aktuelle Situation für Hebammen?
Seit 2021 ist die Ausbildung angehender Hebammen Sache der Hochschulen. Das neue Studium wird gut angenommen. Doch statistisch betrachtet verbleiben Hebammen nur zwei bis fünf Jahre in ihrem Beruf. "Wir bilden viel aus für eine sehr kurze Zeit", fasst Hofmeister zusammen.
Dafür gebe es viele Gründe: "Wir sind ein Teilzeitberuf und haben eine Teilzeitquote von 75 Prozent, da ist es schwierig, im Schichtbetrieb die Kosten zu decken." So komme es häufiger vor, dass der Ehemann zum Vollverdiener werde und die Hebamme länger als nötig aus dem Beruf ausscheide, weil die Arbeit sich schlicht nicht lohne. Die an der Hochschule ausgebildeten Hebammen haben noch mehr Optionen, um aus der aktiven Geburtshilfe auszuscheiden - etwa indem sie nach dem Bachelor einen anderen Master machen.
Warum könnte sich die Geburtshilfe verschlechtern?
Hebammen können in vielen verschiedenen Bereichen arbeiten: klassisch angestellt im Kreißsaal, freiberuflich oder auch in der Lehre. "Für Angestellte wurde die Situation verbessert, da wurden die akademisierten Hebammen neu im Tarifvertrag eingruppiert und haben einen Sprung nach oben gemacht", erklärt Hofmeister. Nur gelte dieser Tarifvertrag nicht in allen Krankenhäusern und nur für angestellte Hebammen.
Im freiberuflichen Sektor hingegen sei die Bezahlung eine Katastrophe - und drohe sich weiter zu verschärfen. "In dem Bereich findet überhaupt keine finanzielle Anerkennung der Tatsache statt, dass wir jetzt zunehmend akademisierte Hebammen haben werden", sagt Hofmeister. Besonders geht es um Beleghebammen - also freiberufliche Hebammen, die in Krankenhäusern arbeiten. Etwa 30 Prozent der Geburten in baden-württembergischen Kliniken finden mit ihrer Hilfe statt.
Sie trifft ein Schiedsspruch zum Hebammenhilfevertrag besonders: Der Vertrag regelt die Bezahlung freiberuflicher Hebammen. Die neue Regelung folgte der Forderung des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und widerspricht dem, was der Deutsche Hebammenverband forderte. Ein Hauptaspekt: Beleghebammen könnten in Zukunft bis zu 30 Prozent weniger verdienen. Vor allem, wenn sie mehrere Frauen gleichzeitig betreuen. Damit soll eine Eins-zu- eins-Betreuung bei der Geburt forciert werden. Der Hebammenverband fürchtet nun, dass das Gegenteil eintreten wird: Frauen könnten einen Beruf verlassen, in dem ohnehin bereits ein Mangel herrscht.

Hebammengeführte Kreißsäle mit eins zu eins-Betreuung sind vielerorts eher Wunsch als Wirklichkeit.
Wie groß ist der Mangel an Hebammen?
Wie groß der Mangel wirklich ist? Schwer zu sagen. Der Hebammenmangel wird schlicht nicht erhoben. Deutschland sei generell nicht gut darin, Zahlen im Gesundheitsbereich zu erfassen, so Hofmeister.
Sie gibt ein Beispiel: Die Sterblichkeit von Müttern, die geboren haben, werde in den meisten Ländern für die ersten sechs Wochen nach der Geburt erfasst. Das sei wichtig, weil das größte Risiko eine Depression nach der Geburt und Suizid sei. "Das passiert aber nicht in den ersten drei Tagen. Wir erfassen in Deutschland aber nur die ersten drei bis fünf Tage nach der Geburt im Krankenhaus systematisch. Daher tappen wir hier im Dunkeln", so die Fachfrau.
Wir kommen von einer nicht guten Situation in eine katastrophale Situation. Ruth Hofmeister, Vorsitzende des Hebammenverbands BW, über den Mangel an Hebammen
In Stuttgart finden nach Zahlen der städtischen "Frühen Hilfen" 30 bis 10 Prozent - je nach Jahrgang - der Frauen keine Wochenbettbetreuung. Während es vor einigen Jahren 30 Prozent waren, sind es aktuell eher 10 Prozent. "Tatsächlich ist es so, dass der Geburtenrückgang und nicht politische Maßnahmen die Situation aktuell etwas entspannen", so Hofmeister. Wenn die Baby-Boomerinnen in Rente gingen, werde sich die Situation aber wieder verschärfen.
"Wir kommen von einer nicht guten Situation in eine katastrophale Situation", fasst Hofmeister mit Blick auf November zusammen. Dann soll der Schiedsspruch in Kraft treten.
Hier drohen Versorgungsengpässe in BW
Normalerweise müsste der Schiedsspruch zum Hebammenhilfevertrag veröffentlicht werden, das sei aber bis heute nicht passiert, was Hofmeister als Skandal bezeichnet. "Dann gibt es noch eine Möglichkeit dagegen zu klagen, das wird aber erstmal keiner Beleghebamme helfen", da eine Klage keine aufschiebende Wirkung habe. Die neue Regelung werde also am 1. November in Kraft treten. "Das ist aber so katastrophal, dass vermutlich einige Gruppen an Beleghebammen geschlossen kündigen werden. Diese Beleghebammenteams sind nun fieberhaft auf der Suche nach einem Ausweg. Den gibt es aber nicht."
Wer sechs Monate Kündigungsfrist habe, überlege jetzt bereits, aus den Verträgen auszusteigen. Daher müsse die Politik für eine Lösung vor der Sommerpause sorgen, sonst würden sich Belegteams auflösen, warnt Hofmeister. Wenn diese Teams wegfielen, dann seien einige Regionen in Baden-Württemberg besonders betroffen: die Bodenseeregion, das Ballungsgebiet Rhein-Neckar, der Hohenlohekreis, die Ortenau und Villingen-Schwenningen im Schwarzwald-Baar-Kreis. In Baden-Württemberg seien viele Krankenhäuser schon zentralisiert. Wenn hier Kreißsäle wegfielen, führe das zu langen Fahrzeiten, so die Vorsitzende des BW-Hebammenverbandes.
Das fordern die Hebammen von der Politik
Bei der Politik sieht Hofmeister eine "organisierte Verantwortungslosigkeit". Keiner fühle sich zuständig und die Politik verweise gerne auf die Selbstverwaltung des Berufsfeldes und seiner Verbände. Diese bezeichnet Hofmeister als offensichtlich gescheitert. Für Hofmeister muss nun das Bundesgesundheitsministerium tätig werden: "Das ist die Verantwortung der Politik, den Versorgungsauftrag dieser Kreißsäle zu gewährleisten." BW-Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) solle sich mit seinen Kollegen und Kolleginnen auf Bundesebene dafür einsetzen, dass die Versorgung ab Herbst nicht zusammenbreche.
Sie spüre eine große Verzweiflung unter den Hebammen: "Ich weiß von Kolleginnen, die jetzt schon gekündigt haben, weil diese fehlende Wertschätzung nicht mehr zu kompensieren war. Wir kommen ja bereits aus einer langen Durststrecke." Auch die nun akademisch ausgebildeten Hebammen arbeiteten weiterhin in starren Strukturen, in denen die hebammengeleitete Geburt die wünschenswerte Ausnahme darstelle. Hofmeisters Absicht ist es nun, zur kommenden Landtagswahl in Baden-Württemberg das Thema der Frauengesundheit und der Versorgungssicherheit von Familien auf die Agenda zu setzen.
Was jede und jeder tun kann
Sind Frauengesundheit und Geburtshilfe denn inzwischen gesellschaftlich präsenter? Über das Thema Endometriose oder den Gendergap in der Forschung werde mehr gesprochen, beobachtet Hofmeister: Aber es bleibe bei Lippenbekenntnissen. Wie kann also jede und jeder dafür sorgen, dass Geburtshilfe mehr ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt? "Indem sich alle bewusst machen, dass es sich um einen wichtigen und sensiblen Lebensbereich handelt", sagt die Hebamme Hofmeister. Einen Bereich, in dem es eben nicht egal sei, wie man betreut und begleitet werde: "Und, dass diese Betreuung nicht zum Schleuderpreis zu haben ist und uns als Gesellschaft auch etwas wert sein sollte." Das betreffe nicht nur schwangere Frauen, sondern eigentlich alle, denn jeder Mensch sei geboren worden.