
Baden-Württemberg Verschärfte Migrationspolitik: So reagieren Politik und Organisationen aus BW
Asylverfahren sollen schneller, Abschiebungen leichter werden. Das ist das Ziel der Bundesregierung. Doch Menschenrechtsorganisationen aus BW schlagen Alarm.
Künftig sollen "sichere Herkunftsstaaten" ohne Zustimmung der Länder bestimmt werden. Der Gesetzentwurf wurde am Mittwoch im Bundeskabinett beschlossen, muss aber noch durch Bundestag und Bundesrat. Ein Vorhaben, das auch im Koalitionsvertrag steht. Damit können Asylanträge schneller bearbeitet und abgelehnt werden.
Meike Olszak blickt mit großer Sorge auf den harten Kurs der Bundesregierung in der Migrationspolitik. Sie ist Geschäftsleiterin des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg und hat jeden Tag mit Geflüchteten zu tun. Viele hätten Angst, erlebten häufiger Ausgrenzung und Rassismus, da die Offenheit gegenüber Menschen, die zu uns kämen und Schutz suchten, durch die Migrationsdebatten geringer und Stereotypen gegenüber Flüchtlingen befeuert würden.
Harter Kurs in der Migrationspolitik trifft auch Familien
Neben der Zurückweisung von Migrantinnen und Migranten an deutschen Grenzen oder der Erweiterung der Liste sicherer Herkunftsstaaten kritisiert Meike Olszak auch die Aussetzung der Familienzusammenführung für subsidiär Schutzberechtigte. Sie sei eine der wenigen Instrumente kontrollierter und regulärer Migration gewesen und betraf ohnehin nur maximal 1.000 Menschen im Monat.
So konnten bislang Menschen, denen in Deutschland Schutz gewährt wird, ihren Ehepartner, ihre Kinder oder Geschwister aus Kriegs- und Krisengebieten nachholen. Auch diese jüngste Maßnahme der Bundesregierung stehe für einen harten Kurs und für "Symbolpolitik, die auf dem Rücken von Schutzsuchenden ausgetragen wird", sagt Olszak.
BW Staatsminister Lorek: Grenzkontrollen sind erfolgreich
Siegfried Lorek (CDU), Staatssekretär des Ministeriums der Justiz und für Migration in BW, sieht die Grenzkontrollen als Erfolg. Denn die Bundespolizei habe seit der Einführung der Grenzkontrollen 138 Schleuser festgenommen, so Lorek. Doch die Grenzkontrollen seien keine Dauerlösung, er fordert eine europäische Lösung: "Europa muss endlich handeln. Wir müssen die Zugangszahlen nach Europa in den Griff bekommen und die Verteilung in Europa wieder hinbekommen."
Kritik an der einfacheren Erweiterung der Liste zu "sicheren Herkunftsländern"
Geflüchtete aus Ländern, die auf der sogenannten "Liste sicherer Herkunftsländer" stehen, haben kaum eine Chance auf Asyl. Das soll künftig auch für Flüchtlinge aus Indien, Algerien, Marokko und Tunesien gelten. "Tunesien ist vielleicht für viele ein schönes Urlaubsland", sagt Sophie Scheytt von Amnesty International, "aber für Oppositionelle, Aktivistinnen, queere Menschen oder Geflüchtete ist Tunesien ein Land, in dem sie Angst vor Gefängnis, Folter und Misshandlung haben müssen".
Sophie Scheytt ist Fachreferentin für Asylrecht bei Amnesty International. Die Menschenrechtsorganisation recherchiert und dokumentiert Menschenrechtsverletzungen weltweit. "Wir beobachten in Tunesien, dass ganz unterschiedliche Gruppen Repressionen ausgesetzt sind, nicht nur Geflüchtete, sondern auch Menschen, die sich in Gewerkschaften organisieren, Rechtsanwälte, queere Personen." Die Repression nimmt zu, nahezu für die gesamte Zivilgesellschaft, so der aktuelle Länderbericht von Amnesty International.
"Wir haben in unserem Jahresbericht dokumentiert, wie zum Beispiel in Tunesien die Meinungsfreiheit unterdrückt wird. (…) Und es gab im letzten Jahr über 40 Prozesse, wo queere Menschen für gleichgeschlechtliche Handlungen verfolgt wurden. Und dabei werden dann auch Untersuchungen vorgenommen, (…) die man als Folter klassifizieren kann." Trotzdem will die Bundesregierung Tunesien zum sicheren Herkunftsstaat erklären und die Liste auch um die Länder Algerien, Marokko und Indien erweitern. Bislang verhinderten die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat immer wieder die Ausweitung der Liste und das Vorhaben scheiterte am Veto der Linken und der Grünen.
Großer Wurf oder politischer Aktionismus?
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will diese Widerstände beseitigen und weiter aufs Tempo drücken. Doch sind die Maßnahmen der große Wurf in der Migrationspolitik oder nur politischer Aktionismus? Denn wieviele Asylbewerber haben aktuell aus Tunesien, Algerien, Marokko oder Indien überhaupt einen Erstantrag auf Asyl gestellt? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zählt 327 Menschen aus Tunesien, die bis Ende April in Deutschland einen Antrag auf Asyl gestellt haben.
Auch Erstanträge aus Algerien, Indien oder Marokko liegen nur im dreistelligen Bereich. Dazu kommt, dass sich im Vergleich zum Vorjahr die Zahl der Erstanträge auf Asyl fast halbiert haben. Im bisherigen Berichtsjahr (Januar bis April 2025) wurden 45.681 Erstanträge vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge entgegengenommen. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres wurden 84.984 Erstanträge gestellt. Dies bedeutet einen Rückgang der Antragszahlen um 46,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Zahl der Erstanträge auf Asyl gehen um 46 Prozent zurück
Doch ungeachtet der Fakten will die Bundesregierung Handlungsfähigkeit suggerieren und riskiert dabei die Missachtung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Trotz anhaltender Kritik hält die Regierung an Zurückweisungen von Flüchtlingen an deutschen Grenzen fest und ignoriert damit das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin, das diese Abschiebe-Praxis für rechtswidrig erklärt. Denn wer bei Grenzkontrollen auf deutschem Staatsgebiet um Asyl bittet, darf nicht einfach zurückgewiesen werden.
Pro Asyl sieht Zurückweisung von Geflüchteten als "glatten Rechtsbruch"
Nach dem sogenannten Dublin-Verfahren muss zuvor geprüft werden, welcher EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist. Das beinhalt eine EU-Verordnung, die die Zuständigkeit für Asylverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der EU und einigen assoziierten Staaten (Island, Norwegen, Schweiz, Liechtenstein) regelt. An dieses Verfahren müsse sich auch Deutschland halten, so Experten. Pro-Asyl Geschäftsführer Karl Kopp wirft unter anderem Bundesinnenminister Dobrindt "glatten Rechtsbruch" vor.