Ein Blinder mit einem Blindenstock und einem Hund in der S-Bahn Unterführung

Bayern Bayerns Innenstädte: Hürden für sehbehinderte Menschen

Stand: 22.04.2025 17:50 Uhr

Bernhard Claus tastet sich durch die Münchner Innenstadt – teilweise ohne ordentliches Leitsystem, ohne Sicherheit. Dabei leben über 90.000 sehbehinderte Menschen in Bayern. Warum der barrierefreie Umbau stockt – und was auch schon gut läuft.

Von Meike Föckersperger

"Wie auf einer Eisfläche mit geschlossenen Augen" – so beschreibt Bernhard Claus seinen Alltag in der Münchner Innenstadt. Er ist blind seit einem Motorradunfall vor 40 Jahren. Wenn er sich durch die belebte Kaufingerstraße kämpft, ist das kein Spaziergang, sondern ein Hindernisparcours. Ein durchgängiges taktiles Leitsystem? Fehlanzeige.

90.000 Betroffene – und kein Standard

Laut aktuellem Stand des Sozialministeriums leben in Bayern über 90.000 Menschen mit einer festgestellten Sehbehinderung. Rund 10.600 von ihnen gelten als blind, über 300 als taubblind. Und trotzdem: Der barrierefreie Umbau bayerischer Innenstädte kommt nur schleppend voran.

"Das funktioniert nicht - und sie haben es trotzdem so gebaut"

In der Münchner Sendlinger Straße gibt es bereits Bodenindikatoren, sogenannte Rippen- und Noppenplatten, die Blinden beim Navigieren helfen. In der Kaufingerstraße hingegen soll eine "erweiterte Regenrinne" als Orientierung dienen. Doch Bernhard Claus schüttelt den Kopf: "Wir haben von Anfang an gesagt, das funktioniert nicht – und sie haben es trotzdem so gebaut."

Auch Stefanie Freitag vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB) ist frustriert. Das vorhandene Material sei nicht ertastbar, zu glatt, zu uneben – einfach nicht brauchbar. "Mit zu großen Kugeln am Blindenstock rutscht man drüber, mit kleinen bleibt man stecken. Und dann lockert sich das Ganze durch die Straßenreinigung auch noch."

Denkmalpflege und Barrierefreiheit: Kreatives Leitsystem in Regensburg

Besser läuft das in Regensburg: Weil klassische Leitsysteme mit Noppen- und Rillenplatten in der Altstadt des UNESCO-Welterbes nicht möglich waren, entwickelte die Stadt gemeinsam mit dem Inklusionsbeirat und dem Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund ein alternatives "Hilfsleitsystem".

"Die Entwässerungsrinnen – sogenannte Hirschlinger Rinnen – wurden bewusst mit dunklerem, ertastbarem Pflaster gestaltet und so verlegt, dass sie eine optimale Orientierung für blinde und sehbehinderte Menschen bieten", so ein Sprecher der Stadt.

Zwischen diesen Rinnen liegt nie mehr als zwei Meter Abstand – das entspricht dem Maß, das Betroffene laut BBSB noch selbständig überwinden können. Ergänzt wird das System durch taktile Leitelemente an wichtigen Punkten wie Zebrastreifen. Städte wie Lübeck, Potsdam oder Bamberg interessieren sich bereits für das Regensburger Modell.

Wer ist zuständig?

Wenn es um den barrierefreien Umbau der Innenstädte geht, verweist der Freistaat Bayern auf die Kommunen. Das Sozialministerium (StMAS) fördert taktile Leitsysteme nicht direkt. Zuständig seien das Bauministerium (StMB) oder das Landwirtschaftsministerium (StMELF). Es gibt zwar Programme – etwa im Rahmen der Städtebauförderung. Aber kurz gesagt: Die Kommunen müssen bei nachträglichem Einbau von Leitsystemen für Blinde Fördertöpfe finden.

Positivbeispiel Unterhaching

Zurück nach Oberbayern: Ein positives Beispiel für ein taktiles Leitsystem im Landkreis München ist Unterhaching. Hier wurde die S-Bahn-Station im Rahmen einer Sanierung komplett mit einem neuen Leitsystem ausgestattet – von der Bahn bis zur Bibliothek. Hier gibt es auch Aufmerksamkeitsfelder, die auf Abzweige hinweisen. Bernhard Claus fühlt sich hier sicher. "Ich gehe einfach – ohne zu sehen, ohne zu hören – aber ich weiß, wo ich bin. Ich muss nicht raten, nicht kämpfen. Das ist Freiheit."

Konkrete Daten, wie viele Städte in Bayern bereits über taktile Leitsysteme verfügen, liegen nicht vor – weder dem Sozial- noch dem Bauministerium. Der Blinden- und Sehbehindertenbund fordert deshalb klarere Strukturen, feste Standards – und konkrete Förderprogramme.

Barrierefreier Umbau: Wohl Jahrzehnte der Geduld nötig

Bernhard Claus weiß: Bis sich etwas flächendeckend ändert, wird es dauern. Jahrzehnte vielleicht. Doch er will nicht aufgeben – und er hofft auf ein Umdenken. Seine Bitte an Sehende: "Sie müssen kein Mitleid haben. Aber wenn Sie helfen wollen – einfach fragen. Nicht anfassen, nicht wegziehen. Sondern zuhören. Und dann gemeinsam gehen."

Im Video: München - Zu wenig Orientierungshilfen für Blinde

Wie fühlt es sich an, als Blinder durch eine belebte Innenstadt zu gehen, ohne Orientierung, ohne Leitsystem? In München ist das oft Realität.

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