
Bayern Der Fall um Hauzenbergs Pfarrer: Zwischen Angst und Bewunderung
Die einen demonstrieren für ihren Pfarrer, andere werden bedroht: Seit Monaten spaltet in Hauzenberg der Streit um den bisherigen Pfarrer den Ort. BR-Recherchen zeigen: Konflikte um Alkohol soll es schon in früheren Pfarrgemeinden gegeben haben.
Im Streit um Hauzenbergs bisherigen Pfarrer Alexander Aulinger gibt es seit Monaten zwei Geschichten. Auf der einen Seite sind da Hunderte Hauzenberger, die sich mit ihrem Pfarrer solidarisieren. Sie sagen: Es habe kein Fehlverhalten gegeben, die Feiern mit Jugendlichen würden zu angeblichen Alkohol-Exzessen aufgebauscht. In ihren Augen wollte der Bischof den "liberalen" Pfarrer loswerden – ausgerechnet einen, der die Kirche füllt.
Die andere Geschichte ist die eines Pfarrers, bei dessen Jugendarbeit es immer wieder zu Alkohol-Missbrauch gekommen sein soll. Und der die, die nicht mitgemacht haben oder nicht seiner Meinung waren, ausgegrenzt haben soll. Alle, die davon berichten, fürchten soziale Ächtung. Seit fast zwei Jahren erlebt Familie Hagel in Hauzenberg genau das. "Kreaturen wie du gehören an den Pranger gestellt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt" steht in dem Drohbrief, den Barbara Hagel vor kurzem aus dem Briefkasten geholt hat.
Bischof zieht Pfarrer ab
Doch was ist hier eigentlich passiert? Über zwei Monate ist es nun her, dass Passaus Bischof Stefan Oster Hauzenbergs Pfarrer und Dekan Alexander Aulinger verboten hat, im Bistum als Seelsorger aufzutreten. Er hatte ihn auf Empfehlung zweier unabhängiger Präventionsstellen abgesetzt. Der Grund: mutmaßliches Fehlverhalten in der Jugendarbeit. Es geht um Alkohol. Und um den Vorwurf des geistlichen Missbrauchs, den das Bistum erhebt, konkret: um mögliches Mobbingverhalten. Alexander Aulinger soll seine Macht als Seelsorger missbraucht, Menschen manipuliert haben.
Zeugen schildern: Saufen bis zum Erbrechen
Wir gehen den Vorwürfen nach – in Hauzenberg und an früheren Wirkungsorten des Pfarrers. Wir sprechen mit ehemaligen Ministranten, Eltern, kirchlichen Mitarbeitern und ehrenamtlich Engagierten. Und wir stellen fest: Auf der einen Seite gelingt es Aulinger, Jugendliche fürs Ministrieren zu begeistern. Er begegnet ihnen wie ein Freund, erzählen viele.
Auf der anderen Seite spielt den Schilderungen zufolge Alkohol mit Jugendlichen eine zentrale Rolle. Ein ehemaliger Ministrant erinnert sich so: "Die normale Droge ist Bier gewesen. Es ist aber auch gschnapselt worden, gerade auf den Ministranten-Zeltlagern. Es war oft wirklich eine Gaudi mit Alex. Aber es hat immer diesen Hang gegeben, wo ich mir dachte: Boah, muss das jetzt wirklich sein, dass die 14-Jährigen schon Schnaps saufen – bis zum Erbrechen." Außerdem habe Aulinger Druck aufgebaut, mittrinken zu müssen, um zu den Coolen zu gehören. Der Pfarrer streitet das ab. Über seinen Rechtsbeistand Holm Putzke lässt er mitteilen: Er habe weder große Mengen alkoholischer Getränke für Zeltlager beschafft, noch Jugendliche zum Konsum animiert. Seine Rolle als Aufsichtsperson habe er verantwortungsbewusst wahrgenommen.
Trinkspiele auf der Wallfahrt
Mehrere Ministranten aus anderen Pfarrgemeinden berichten dem BR ebenfalls von Alkohol-Exzessen auf mehrtägigen Gruppen- bzw. Wallfahrten. Aulinger soll Bier und Schnaps zur Verfügung gestellt und Trinkspiele mitgespielt haben. Ministranten sollen sich vom Alkohol übergeben haben, Aulinger soll zum Teil keine Aufsicht geleistet haben. Der Geistliche lässt alle Vorwürfe dementieren: "Jugendliche wurden bei mehrtägigen Fahrten nie unbeaufsichtigt gelassen", schreibt sein Anwalt. Alexander Aulinger habe im Rahmen der kirchlichen wie gesetzlichen Vorgaben gehandelt. In einer früheren Antwort an den BR heißt es: Aulinger habe keine Kenntnis davon, dass auf einer kirchlichen Freizeit Schnaps konsumiert worden sei.
Klare Regeln zur Prävention
Die gesetzlichen Vorgaben – auch für die kirchliche Jugendarbeit – sind im Jugendschutzgesetz geregelt. Was den Konsum von Alkohol und Nikotin betrifft, gilt: Bier ab 16, Schnaps und Tabak ab 18. Die kirchlichen Vorgaben, die der Pfarrer laut seinem Anwalt immer eingehalten hat, gehen noch viel weiter. Seit 2019 gilt in allen deutschen Bistümern ein bindender Verhaltenskodex für die Arbeit mit Jugendlichen. Eine Konsequenz, die die katholische Kirche aus Missbrauchsfällen gezogen hat. Es soll eine gute Balance von Nähe und Distanz zwischen Kirchenmitarbeitern und Schutzbefohlenen bestehen. Deshalb dürfen Alkohol und Nikotin von Kirchenmitarbeitern nicht beschafft werden, Jugendliche dürfen dazu auch nicht animiert werden. Eines der Prinzipien ist auch: keine intensiven Freundschaften.
Gemeinsames Fitnesstraining?
Mehrere Menschen versichern uns per eidesstattlicher Versicherung, dass sie die Wahrheit sagen. Sie berichten von einer Nähe zwischen Aulinger und Jugendlichen, die sie als problematisch empfunden hätten. So soll er zum Beispiel in einer früheren Dienstwohnung einen Fitnessraum eingerichtet haben, in dem er mit älteren Ministranten gemeinsam trainiert haben soll. Und eine Ministrantin sagt, dass ihr Aulinger auf einer Freizeitfahrt gegen ihren Willen den Arm um die Schultern gelegt habe, "…und auch auf die Aufforderung hin, dass er das lassen soll, hat er das trotzdem wiederholt gemacht. Es war auch keine weibliche Aufsichtsperson dabei."
Alexander Aulinger geht auf die konkreten Vorwürfe nicht ein. Allgemein schreibt sein Anwalt dazu: "Im Umgang mit Jugendlichen war sich Alexander Aulinger seiner besonderen Verantwortung jederzeit bewusst und handelte stets transparent, reflektiert und im Rahmen der kirchlichen wie gesetzlichen Vorgaben. Die Einhaltung professioneller Nähe und Rollendistanz ist für ihn ein zentrales Arbeitsprinzip." Auch sei stets eine erwachsene Aufsichtsperson dabei gewesen.
Der "Mini-Bunker" in Hauzenberg
Aulingers letzte Station als Pfarrer war Hauzenberg. Als er dorthin kam, lehnte er es nach eigenen Angaben aus "organisatorischen Gründen" ab, die bisherigen Jugendtreff-Räume für die Ministranten-Arbeit weiter zu nutzen. Stattdessen verlegte Aulinger die Ministranten-Treffen in eine frühere Einliegerwohnung im Kellergeschoss des Pfarrhauses. Der Raum wurde in der Gemeinde als "Mini-Bunker" bekannt. Mini: Das ist die Abkürzung für Ministranten. Wie uns Zeugen schildern, gibt es von diesem Raum über das Treppenhaus direkten Zugang zur Pfarrerswohnung. Bilder aus dem "Mini-Bunker", die dem BR vorliegen, zeigen Jugendliche, die dort Bier trinken, Karten spielen und feiern. Auf einem Foto liegt ein Bub in Boxershorts auf der ausgezogenen Schlafcouch. Aulinger räumt ein, dass Jugendliche einmal dort übernachtet hätten – mit ausdrücklicher Erlaubnis der Eltern.
Präventionsregeln in den Bistümern
Nach der Rahmenordnung für Prävention der Deutschen Bischofskonferenz sollen zweideutige Situationen gar nicht erst entstehen. Laut Verhaltenskodex des Bistums Passau gilt seit 2019 für alle Mitarbeiter, dass regelmäßige private Einladungen zu unterlassen sind. Dem BR liegen Fotos vor, die zeigen, wie Jugendliche auf der Terrasse der Pfarrerswohnung Bier trinken. Alexander Aulinger soll Ministranten zu Grillfeiern eingeladen haben. Sein Rechtsbeistand äußert sich dazu nicht.
Ein Hütten-Wochenende mit Folgen
Im Juni 2023 ereignete sich dann etwas, das das Leben vieler in Hauzenberg veränderte. Aulinger fährt mit Ministranten für ein Wochenende auf eine Hütte in die Wildschönau. Vom Einkauf soll er ein Foto auf Snapchat gepostet haben: Es zeigt zwei Kartons Wodka auf einem Einkaufswagen. Auf die Frage, ob er das Bild gepostet habe, geht Aulinger nicht ein. In Hauzenberg machen nach dem Ausflug Gerüchte über Alkohol-Exzesse die Runde, berichten uns mehrere Hauzenberger. Eltern seien empört gewesen. Der Pfarrer bekommt das mit. Und tut dann etwas, was ihm heute als geistliche Manipulation vorgeworfen wird.
Die Erzählung von den Leberwerten
In einem Gottesdienst Anfang September 2023 stellt Aulinger sich selbst als Opfer dar. Die Gerüchte über auffälligen Alkoholkonsum seien falsch. Er habe sich im Ordinariat erklären müssen. Er habe sogar seine Leberwerte abgegeben. Die Aussagen aus dem Gottesdienst bestätigt er in einem Brief, der unter anderem an den Pfarrgemeinderat ging.
Nur – was der Pfarrer da sagt, stimmt laut Bistum nicht: Die Gerüchte waren im Ordinariat in Passau zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht bekannt. Heute sagt der Pfarrer dazu: Er sei missverstanden worden. Er habe dem Ordinariat vorsorglich seine Leberwerte geschickt.
Suche nach "Petzen" beginnt
In Hauzenberg jedenfalls werden von da an die vermeintlichen Petzen gesucht. Und der Verdacht fällt auf Barbara Hagel. Das ist die Frau, die die Drohbriefe bekommen hat. Sie wird offenbar verdächtigt, weil sie im Bistum Passau angestellt ist und, weil ihre Tochter bei den Hüttentagen keine gute Zeit hatte. Die Teenagerin darf schon aus gesundheitlichen Gründen keinen Alkohol trinken. Die Geschichte im Ort lautet jetzt: Die Hagels haben den Pfarrer angeschwärzt.
"Mich haben plötzlich Menschen nicht mehr gegrüßt, ich fühle mich ohnmächtig", sagt Barbara Hagel. Die Familie und gerade auch die Tochter würden ausgegrenzt, beleidigt und bedroht. "Wir wurden so angefeindet, dass wir uns irgendwann im Ordinariat bestätigen ließen, dass wir das nicht waren", erzählt der Vater, Ewald Hagel. Dem BR liegt das Schreiben aus dem Ordinariat vor, in dem steht, dass die Hagels nie gepetzt hatten.
Das Ziel: Effiziente Prävention
Wir sprechen mit dem Kirchenrechtler Joachim Eder über den Fall. Er findet, dass die öffentliche Debatte am Thema vorbeiführt. Es gehe hier um Prävention. Für sexuellen Missbrauch gibt es laut Bistum und Staatsanwaltschaft keinen Hinweis. Eder erklärt: "Wenn ein Priester sich auf die gleiche Ebene stellt wie Jugendliche, dann erzeugt das eine Nähe, die auch ausgenutzt werden könnte. Es geht darum zu verhindern, dass solche Situationen passieren. Das ist der Sinn der kirchlichen Ordnungen. Man wirft Aulinger nicht sexualisierte Gewalt oder so etwas vor. Sondern nur, dass der Raum, den er geschaffen hat, zu eng war und zu viel Möglichkeiten eröffnen würde."
Kirchenrechtliche Ermittlungen laufen
Aktuell beschäftigt sich der Vatikan mit dem Fall Aulinger. Kirchenrechtliche Ermittlungen laufen. Wie lange das Verfahren dauern wird und was für Konsequenzen für den Pfarrer folgen, ist unklar. Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!