
Hamburg Hamburg Werbefrei: Wie störend ist auffällige Reklame wirklich?
Bis Mitte Mai sammelt das Volksbegehren Hamburg Werbefrei Unterschriften, um besonders auffällige Werbung zu verbieten. Das NDR Datenteam hat ausgewertet, wie sich die Leuchtreklame über die Stadt verteilt.
An Hamburgs Straßen und Plätzen stehen ungefähr 5.000 große Werbeanlagen wie Litfaßsäulen, LED-Schirme und Plakate an Bushaltestellen. Gut die Hälfte davon soll weg, wenn es nach Hamburg Werbefrei geht. Denn sie leuchten und sind besonders auffällig. "Ich habe nie zugestimmt, im öffentlichen Raum so viel Werbung sehen zu müssen", sagt Martin Weise von der Initiative.
Deshalb sind große Teile Hamburgs gerade mit den weißen Plakaten der Kampagne gepflastert. Bis zum 13. Mai sammelt die Initiative Unterschriften. Wenn sie Erfolg hat, werden die Hamburgerinnen und Hamburger in einem Volksentscheid darüber abstimmen können, ob in Zukunft besonders auffällige Außenwerbung noch gezeigt werden darf.
Die Initiative hinter dem Volksbegehren stört sich besonders an Werbemonitoren. "Wenn bewegte Bilder in unserem Sichtfeld auftauchen, erzeugt das Stress. Wir müssen hingucken", sagt Martin Weise. Die Stadt wäre aus seiner Sicht viel ruhiger, wenn es keine bewegten Bilder auf Monitoren mehr gäbe. Auch Papierplakate, die beispielsweise an Bushaltestellen nachts mit hellen Lampen von hinten angestrahlt werden, sollen nach dem Wunsch der Kampagne nur noch von vorne beleuchtet werden dürfen.
Notwendige Infos oder lästiger Nachrichtenüberfluss?
Kai-Marcus Thäsler, Geschäftsführer des Fachverbands Außenwerbung (FAW), ist gegen ein solches Verbot. Für ihn sind die Monitore wichtiger Teil der "Kommunikationsinfrastruktur", beispielsweise für Warnmeldungen der Polizei: "Die Anbieter sind eigentlich mehr als 'nur Werber'. Im Prinzip stellen sie Infrastruktur für den öffentlichen Raum zur Verfügung, die werbefinanziert ist." An Bushaltestellen informiert die Stadt Hamburg aktuell über das neue Tierschutzgesetz, neben Werbung werden auch Wetterberichte und Nachrichten ausgespielt.
Martin Weise sieht genau darin einen großen Nachteil: "Wenn ich aus der U-Bahn steige und auf einem Monitor von 'Rekordrekrutierungen in Russland' lese, versaut mir das den Tag." Er fühlt sich dadurch in seinem Recht auf negative Informationsfreiheit verletzt - das Recht, bestimmte Informationen nicht sehen zu müssen. Und er kritisiert auch, was gezeigt wird: "Werbeinhalte, die sich an suchtgefährdete Menschen richten: Alkohol, Glücksspiel, Fast Food, Fast Fashion. Menschen werden doch geschädigt."

An solchen Monitoren und "hinterleuchteten Werbeanlagen" stört sich die Initiative. Gleiches gilt für große Monitore in Schaufenstern von Kiosken.
Transparenzhinweis: Auch Nachrichten und Werbung des NDR werden auf digitalen Werbemonitoren in Hamburg gezeigt.
Wo steht leuchtende Werbung?
Fast alle Monitore (gelb) stehen in der Innenstadt. An den Ausfallstraßen, vor allem an Bushaltestelle, stehen immer wieder große Kästen mit hinterleuchteten Plakaten (blau).

Quellen: Hamburg Werbefrei. Kartenmaterial von OpenStreetMap
Die Daten hinter den Grafiken
Die Stadt Hamburg stellt eine Liste mit knapp 5.000 großen Werbeanlagen bereit. Hamburg Werbefrei hat nachgezählt, welche Anlagen hinterleuchtet oder digital sind, und diese Daten mit dem NDR geteilt. In beiden Fällen handelt es sich vor allem um Anlagen der Unternehmen Ströer und JCDecaux. Viel Außenwerbung ist jedoch nicht erfasst: Werbung in Bahnhöfen, nicht-beleuchtete Werbeplakate, Monitore in den Fenstern von Kiosken und vieles mehr fehlt.
Verkehrssicherheit: Große Sorgen, unklare Belege
Hamburg Werbefrei ist überzeugt, dass große Werbeanlagen den Verkehr auf Hamburgs Straßen gefährden. Die Initiative nennt etwa eine Eyetracking-Studie des Werbeunternehmens WallDecaux aus 2018, nach der Autofahrer digitale Werbung fast 2,5 Sekunden lang anschauen. "Mir kann doch keiner erzählen, dass der Verkehr nicht gefährdet ist, wenn an Kreuzungen gleich mehrere Monitore blinken", sagt Martin Weise.
Die Polizei Hamburg kennt keinen Unfall, bei dem die Fahrer durch Außenwerbung abgelenkt waren. Sie erfasste diesen Grund in den letzten Jahren allerdings auch nicht explizit in ihrer Statistik und eine nachträgliche Auswertung sei zu aufwändig. Vor der Installation wird jedoch laut Senat bei jeder Werbeanlage geprüft, ob sie den Verkehr gefährden könnte.

Nicht beleuchtete Werbeplakate wie diese können aus Sicht der Kampagne bleiben.
Christian Hieff vom ADAC stimmt zwar zu, dass Lichter ablenken können, schreibt aber auch: "Ob jetzt tatsächlich öffentliche Werbung da noch einen großen negativen Effekt hat, kann bezweifelt werden." Im Gegensatz zum Automobilclub unterstützt der Radfahrerverband ADFC Hamburg das Volksbegehren und sieht in den geforderten Verboten einen großen Gewinn für die Verkehrssicherheit.
Millioneneinnahmen für die Stadt
Gegen ein Verbot stellt sich auch die Behörde für Verkehr und Mobilitätswende (BVM). Sie warnt ebenso wie der Fachverband Außenwerbung (FAW) davor, dass Werbeunternehmen in Hamburg darunter leiden könnten. Kai-Marcus Thäsler vom FAW macht sich Sorgen, dass bei Erfolg der Initiative das Geschäft in Hamburg für einige Unternehmen gar keinen Sinn mehr ergeben würde. Die Behörde bezeichnet Hamburg als "bedeutenden Werbestandort mit Tradition", verweist auf knapp 3.000 Unternehmen der Werbewirtschaft und über 7.000 Beschäftigte sowie zahlreiche Selbstständige im Jahr 2022.
Und schließlich geht es um viel Geld: Laut BVM verdient die Stadt jährlich 50 bis 70 Millionen Euro direkt durch die Außenwerbung, wobei geldwerte Leistungen wie die Unterstände an Bushaltestellen mitgezählt wurden. Martin Weise vom Volksbegehren verweist darauf, dass dies ein Bruchteil des Stadthaushalts ist, nicht einmal 0,5 Prozent des 2025er Haushalts. Am 13. Mai wird sich zeigen, ob die nötigen knapp 66.000 Unterschriften zusammengekommen sind.

Teil der Hamburg-Werbefrei-Kampagne: An der Roten Flora auf dem Schulterblatt prangt eine Karikatur von Philipp Westermeyer.
Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 23.04.2025 | 06:00 Uhr