Ein Laptop zeigt eine blaue Windows-Fehlermeldung

Hamburg Wie der Abschied von Microsoft und Co. gelingen kann

Stand: 18.04.2025 17:00 Uhr

Viele Firmen in Deutschland setzen bislang auf die Technologie großer US-Anbieter wie Microsoft, Google und Amazon. Laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom sind mehr als 80 Prozent der deutschen Unternehmen abhängig von US-Technologie. In so manchem Unternehmen findet aber ein Umdenken statt.

Von Ines Burckhardt und Marc-Oliver Rehrmann

So will sich beispielsweise das große Hamburger Versandhaus Otto im IT-Bereich von den Tech-Giganten aus den Vereinigten Staaten lösen. Das hat sich Technologie-Vorstand Michael Müller-Wünsch vorgenommen. Er ist bei Otto dafür verantwortlich, dass die Daten sicher sind.

Schon länger treibt ihn um, wie sein Konzern unabhängiger werden kann von Microsoft, Google und Co. Seit der Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump hat das Thema für ihn nun Priorität. "Wir alle haben uns darauf verlassen, dass das Wertesystem der westlichen Welt stabiler ist, als es sich heute darstellt", sagt Müller-Wünsch. "Auch ich habe an ein gemeinsames Wertesystem geglaubt und bin jetzt eines Besseren belehrt worden."

Kundendaten sollen in Europa gespeichert sein

Der Versandhändler hat nach eigenen Angaben schon immer darauf geachtet, bei den Themen Daten und Software nicht von einem einzigen Anbieter abhängig zu sein. "Wir arbeiten deshalb mit allen großen amerikanischen Hyperscalern zusammen", sagt der Otto-Vorstand. Hyperscaler sind Anbieter von Cloud-Diensten, die sich darauf spezialisiert haben, Unternehmen riesige Mengen an Rechenleistung und Speicher-Kapazität bereitzustellen.

Der Technologie-Vorstand von Otto, Michael Müller-Wünsch, sitzt mit Mitarbeitenden an einem Tisch.

Michael Müller-Wünsch sucht für den IT-Bereich nach europäischen Partnern, die Microsoft und Google ablösen könnten.

"Für uns ist wichtig, dass die Daten - gerade die Kundendaten - in Europa gespeichert werden", sagt Müller-Wünsch. Hyperscaler wie Microsoft, Google und Amazon verfügen zwar über Speicher in Europa, aber ihren Sitz haben alle in den USA.

Auf der Suche nach alternativen Lösungen

Otto will deshalb vermehrt auf europäische Unternehmen als Partner setzen. "Der Vorteil wäre, dass wir uns im gleichen Rechtsraum bewegen und dass wir somit auch dem gleichen rechtlichen Rahmen unterliegen", sagt Müller-Wünsch. Bisher gebe es in Europa aber wenige große Anbieter, etwa für die Datenspeicherung. Aber: Es deute sich gerade im deutschsprachigen Raum eine Lösung im Großformat an. "Es gibt auch kleinere, lokale Provider, mit denen wir im Gespräch sind, um zu schauen: Wie schnell können wir Alternativ-Szenarien entwickeln?"

Chaos Computer Club: "Das braucht Zeit"

Ist eine Abkehr von den US-Tech-Giganten ohne Weiteres zu schaffen? IT-Experte Jochim Selzer vom Chaos Computer Club sagt dazu: "Für private Anwendungen ist es möglich, relativ einfach von US-amerikanischen zu europäischen Lösungen zu kommen." Aber für den Großkunden- und Geschäftskunden-Bereich seien in Europa derzeit weder die nötigen Rechenkapazitäten noch die Hardware vorhanden. "Das heißt: Wir brauchen auf jeden Fall Zeit, um diese Kapazitäten aufzubauen. Und das wird keine Sache von Tagen sein, sondern eher von Wochen oder Monaten, wenn nicht sogar Jahren."

Was machen die US-Konzerne mit den Daten?

Aus der Sicht von Selzer sprechen die Themen Datenschutz und Datensicherheit für eine Loslösung von den US-Konzernen. "Die US-Behörden können relativ leicht an europäische Datenbestände herankommen, um sie zu analysieren." Offizieller Grund für eine solche Datenanalyse sei die Terrorabwehr. "Aber man kann so etwas natürlich auch ganz schlicht zur Wirtschaftsspionage nutzen", meint der Experte vom Chaos Computer Club.

Das Logo des IT-Unternehmens Microsoft.

Viele Unternehmen fragen sich: Wie ist es um die Datensicherheit bei US-Konzernen wie Microsoft bestellt?

"Abhängigkeit deutscher Unternehmen ist massiv"

Ein Umdenken sei wichtig, findet auch Peter Ganten vom Bremer Software-Anbieter Univention. "In Deutschland gibt es eine massive und sehr gravierende Abhängigkeit von US-Konzernen - in den Unternehmen und in öffentlichen Verwaltungen." Als ein Beispiel nennt er die Deutsche Bahn, die die Cloud-Dienste von Amazon nutze. "Wenn die Bahn diese Dienste nicht benutzen könnte, würde sofort kein Zug mehr fahren können in Deutschland. Wir haben diese Abhängigkeit auch im Sommer 2024 gesehen, als durch einen Software-Fehler Betriebssysteme von Microsoft eine kurze Zeit nicht funktioniert haben. Sofort kam es zu chaotischen Zuständen an Flughäfen, in Krankenhäusern und teilweise auch bei Energie-Versorgern", so Ganten.

Open Source aus Bremen: "Seit Trumps Wiederwahl sprunghaft mehr Interesse"

Die Bremer Software-Firma stellt sogenannte Open-Source-Lösungen zur Verfügung - als Alternative zu den Diensten von Microsoft und Co. Der Quellcode dieser Art von Software wird in der Regel öffentlich zur Verfügung gestellt. "Seit Trumps Wiederwahl im November 2024 ist das Interesse sprunghaft gestiegen. Und seit Trump Präsident ist, hat es noch mal eine Steigerung gegeben", berichtet Ganten. Öffentliche Verwaltungen hätten angefragt, aber auch Unternehmen aus dem militärischen Bereich und Energieversorger. "Sie alle wollen ihre Daten besser schützen und weniger erpressbar sein von den US-Konzernen - auch aus Kostengründen. Denn je größer die Abhängigkeit ist, umso stärker steigen die Preise."

Während die US-Konzerne um den Programmcode ihrer Software ein Geheimnis machen, ist das bei Open-Source-Software anders. "Hier kann ich den Programmcode lesen, kann ihn verstehen, kann ihn überprüfen lassen: Besteht da etwa eine Sicherheitslücke?" So beschreibt Software-Spezialist Ganten die Unterschiede. "Bei den US-Konzernen muss man sich auf die Angaben des Herstellers verlassen. Und da erfahre ich eben nicht, welcher Geheimdienst möglicherweise seine Finger mit im Spiel hat." Zudem lasse sich bei Open Source die Software viel besser weiterentwickeln und nach eigenen Wünschen gestalten, sagt der IT-Experte.

Schleswig-Holstein steigt schon um

Univention hilft auch der Landesverwaltung in Schleswig-Holstein, sich von Microsoft zu verabschieden. Das ist das erklärte Ziel der Landesregierung in Kiel - und zwar nicht erst seit Trumps Wiederwahl, sondern seit etlichen Jahren. "Über digitale Souveränität dürfen wir nicht nur in der Theorie sprechen. Wir müssen sie konkret angehen und umsetzen", sagt Digitalisierungsminister Dirk Schrödter (CDU). "Nur dann bleiben wir Herr über unsere Daten. Wir müssen uns aus der Abhängigkeit von einzelnen monopolhaften - insbesondere außereuropäischen - Anbietern lösen." Erst vor gut zwei Wochen habe die Staatskanzlei in Kiel von Microsofts E-Mail-Programm Outlook erfolgreich umgestellt auf eine Open-Source-Alternative, so Schrödter.

"Unsere digitale Strategie findet viel Beachtung"

Die Landesverwaltung mit ihren insgesamt 25.000 IT-Arbeitsplätzen soll nach und nach komplett auf Open-Source-Lösungen umsteigen. Auch auf Word und Excel von Microsoft soll künftig verzichtet werden. "Dass ein ganzes Land diesen Schritt geht, ist revolutionär", sagt der Minister. Schleswig-Holstein ist das erste Bundesland, das diesen Schritt wagt.

Statt viel Geld für "immer teurer werdende Lizenzen" der US-Konzerne auszugeben, fördere das Land lieber die heimische Digitalwirtschaft, sagt Schrödter. "Unsere Open-Source-Strategie hat international viel Beachtung gefunden. Schleswig-Holstein ist inzwischen in Europa und weltweit ein gefragter Gesprächspartner."

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NDR Info | NDR Info | 17.04.2025 | 15:00 Uhr