
Hessen Ein Drittel der Klassenräume an Frankfurter Schule wegen Einsturzgefahr gesperrt
Dass in Frankfurt und anderen hessischen Städten viele Schulen dringend saniert werden müssen, ist bekannt. Doch die Situation, mit der die Schulgemeinde der Frankfurter IGS Süd seit dieser Woche zurechtkommen muss, ist selbst für Frankfurter Verhältnisse extrem.
Uwe Gehrmann schüttelt fassungslos den Kopf. Der Schulleiter der IGS Süd zeigt auf die Tür eines Klassenzimmers im Erdgeschoss, direkt davor stehen zwei dicke Metallpfeiler, aufgebaut während der Osterferien. Zwar lässt die Tür sich gerade noch so öffnen, "aber in diesem Raum lernen 11- bis 13-Jährige mit viel Energie", sagt Uwe Gehrmann.
"Wenn die hier die Tür aufmachen und rausrennen, dann muss man kein Unfallexperte sein, um zu wissen, hier wird es jede Woche Verletzungen geben." Das sei so nicht zu verantworten und könne so auch nicht bleiben.
Zwei komplette Stockwerke gesperrt
Seit den Osterferien herrscht Ausnahmezustand an der Frankfurter Gesamtschule. Weil bei einer Statikprüfung Einsturzgefahr festgestellt worden ist, hat das Amt für Bauen und Immobilien angeordnet, zwei komplette Stockwerke zu sperren. Insgesamt fehlt damit fast ein Drittel aller Räume.
In den restlichen Stockwerken müssen Decken mit dicken Metallpfeilern gestützt werden. Hunderte von ihnen säumen jetzt die Gänge der Schule. Wie im Bergwerk, findet der Schulleiter.
Unterricht vorübergehend abgesagt
Den Unterricht musste er für die ersten Tage nach den Ferien erst einmal absagen, denn die gröbsten Sicherheitsrisiken sind noch nicht beseitigt. Und auch sonst ist noch viel zu tun. Überall im Gebäude sind Lehrkräfte und Handwerker am Räumen und Werkeln. Sie versuchen, den Schulbetrieb irgendwie so umzuorganisieren, dass er mit 21 Räumen weniger funktioniert.

Schulleiter Uwe Gehrmann und seine Kolleginnen und Kollegen müssen nun improvisieren.
Der Schulleiter ist überzeugt, dass sie das irgendwie hinbekommen. "Wir sind es gewohnt, kreativ zu werden, um Probleme zu lösen." Viel mehr Sorgen macht ihm allerdings, was es für Kinder und Lehrkräfte bedeutet, auf Dauer jeden Tag zwischen Stützpfeilern, abgesperrten Treppenaufgängen und überfüllten Klassenzimmern zu verbringen.
Das größte Problem ist, dass dieses Gebäude nicht mehr die Ausstrahlung von einer Schule hat. Wie Kinder in dieser Umgebung froh, entspannt und kreativ sein sollen, erschließt sich mir noch nicht. Schulleiter Uwe Gehrmann
Die IGS Süd ist eine relativ junge Schule mit einem pädagogischen Konzept, das eigentlich offene Raumgestaltung und viel Eigeninitiative und Kreativität der Schülerinnen und Schüler vorsieht. Uwe Gehrmann fragt sich, ob dieses Konzept die kommenden drei Jahre überlebt. Denn so lange muss die Schulgemeinde voraussichtlich noch mit den Einschränkungen aushalten.
Statikprobleme schon lange bekannt
Was Gehrmann besonders aufbringt: "Wir sind sehenden Auges in diese Situation reingerannt." Mit "wir" meint er in diesem Fall vor allem die Verantwortlichen bei der Stadt Frankfurt. Die Statikprobleme des Gebäudes seien schon lange bekannt.
Eine Grundsanierung war ursprünglich bereits 2019 geplant, wurde aber immer wieder verschoben, zuletzt auf 2026. Die Schule sollte also ab kommendem Jahr in eine Containeranlage ausgelagert werden. Jetzt heißt es plötzlich, dass auch dieser Termin nicht eingehalten wird.
Leona Baur (17) und Lotta Karnick (16) sind Schülersprecherinnen an der IGS Süd. Die beiden Zehntklässlerinnen sagen, der Zustand des Schulgebäudes sei seit ihrem Schulbeginn vor vielen Jahren Thema.
"Es haben sich ja schon überall in den Decken Risse gebildet, Sachen sind kaputt gegangen, Türen, Wände. Es war dann schon so, dass man manchmal dachte, oh, könnte es sein, dass die Schule einbricht? Einfach ein Unwohlgefühl."
Situation erschwert die Abschlussprüfungen
Als sie in die fünfte Klasse kamen, hieß es noch, zwei Jahre später würden sie ausgelagert - letztlich haben sie ihre gesamte Zeit an der IGS Süd im unsanierten Schulgebäude verbracht. Auf den letzten Drücker müssen sie jetzt noch ihr Klassenzimmer umziehen, weil sie auf dem nun gesperrten Stockwerk untergebracht waren. Dabei stehen die Jugendlichen kurz vor ihren Abschlussprüfungen im Mai und können das Chaos an der Schule so gar nicht brauchen.
"Wir sind schon sauer. Oder eigentlich eher traurig", sagt Leona. Schließlich gehe es hier um die Schule und ihre Zukunft, nicht um ein Hobby. "Wir müssen ja lernen, wir müssen uns vorbereiten. Aber das können wir so nicht." Und Lotta fügt hinzu: "Es fühlt sich schon ein bisschen so an, als ob der Stadt egal ist, was mit uns oder der Schule oder unserem Abschluss passiert."
Spontaner Protest im Stadtschulamt
Wie ihnen geht es vielen Schülerinnen und Schülern und deren Eltern. Als vor den Ferien die neuen Hiobsbotschaften in der Schulgemeinde die Runde machten, war bei vielen von ihnen das Ende der Geduld erreicht. Kurzerhand organisierten Eltern- und Schülervertretungen eine ungewöhnliche Protestaktion: Sie kamen für einen "Flashmob" im Foyer des Frankfurter Stadtschulamts zusammen.

Protest im Foyer des Stadtschulamts
Statt in ihrer maroden Schule ließen sich fast 100 Jugendliche auf dem blitzsauberen Boden des modernen Foyers der Behörde nieder und packten ihre Hefte und Bücher aus. Die Botschaft: Wenn ihr nicht dafür sorgt, dass wir in unserer Schule lernen können, dann kommen wir eben hierher. "Ich finde es unfassbar, dass eine so reiche Stadt wie Frankfurt solche Zustände an ihren Schulen zulässt", empörte sich dort eine Mutter.
IGS Süd auf der Prio-Liste eigentlich weit oben
Dabei hat die Stadt Frankfurt die IGS Süd durchaus auf dem Schirm - zumindest in der Theorie. Als Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) im vergangenen Jahr eine milliardenschwere Schulbauoffensive ankündigte, um den jahrzehntelangen Sanierungsstau bei den Frankfurter Schulen abzubauen, da stand die IGS Süd auf der Liste der 30 priorisierten Bauvorhaben weit oben.
Doch warum wird die Sanierung dann trotz der dringlichen Lage nicht beschleunigt, sondern noch weiter verzögert? Auf diese Frage antwortet das Büro der Bildungsdezernentin schriftlich.
Das Grundstück am Länderweg, auf das die IGS Süd ausgelagert werden soll, sei derzeit noch von der Anni-Albers-Schule besetzt. Diese sei ebenfalls einsturzgefährdet. "Nach deren Auszug muss die alte Containeranlage […] abgebaut und durch eine neue Holzmodulanlage ersetzt werden, was leider erst 2028 abgeschlossen sein wird."
Kaum Ausweichstandorte in Frankfurt
Es ist die bekannte Argumentation: Die Stadt wächst, jahrzehntelang wurde zu wenig in die Schulen investiert und die Stadt hat nur sehr wenige Ausweichstandorte zur Verfügung. Man tue was man kann, aber es dauere eben.
Schulleiter Uwe Gehrmann kennt diese Begründung und er hat sie jahrelang akzeptiert, wenn wieder der Termin für die Sanierung verschoben wurde. Aber diesmal reicht sie ihm nicht. "Es geht hier um Statik, es geht um Sicherheit, das ist für uns existenziell." Die Stadt habe seiner Ansicht nach die Pflicht, für die Kinder einen Weg zu finden, möglichst schnell aus dem Gebäude herauszukommen. "Das ist aus meiner Sicht eine Frage der Kreativität."