
Hessen Kunstvermittlung für Geflüchtete: Hessen Kassel Heritage tourt mit mobilem Museum
Wie können geflüchtete Menschen Kunst und Kultur ihrer neuen Heimat erleben? Hessen Kassel Heritage tourt mit einem mobilen Museum durch Nordhessen - und macht Kinder zu Künstlern.
Erstmal werden Tiere geknetet. Nasratullah und seine kleinen Brüder sind mit Feuereifer dabei. Aus einer Vase haben sie einen Zettel gezogen. Darauf steht das Wort Krokodil – in deutsch, türkisch, persisch und arabisch.
Nasratullah ist elf Jahre alt und lebt mit seinen Eltern und sieben Geschwistern in der Pommernanlage, der größten Unterkunft für Geflüchtete im Landkreis Kassel. Gespielt werde meistens draußen, berichtet der Junge. Drin sei nicht viel Platz, die Eltern und die acht Kinder verteilten sich zum Schlafen auf drei Kabinen.
Workshop in der Unterkunft für Geflüchtete
Seit drei Jahren ist die Familie in Deutschland, die jüngste Schwester ist hier geboren. Der Vater habe für die Deutschen in Afghanistan gearbeitet, erzählt der Drittklässler, der Arzt werden möchte und gerne Fußball spielt.
Gemeinsam mit etwa 60 anderen Kindern ist er am Freitag bei einem Workshop von Hessen Kassel Heritage (HKH) dabei. Sein achtjähriger Bruder hat das Reptil aus grauer Masse geformt und hält es stolz in die Kamera.

Nematullah zeigt stolz sein Krokodil aus Knete.
Programm für verschiedene Altersgruppen
Für die Veranstaltung ist HKH-Bildungsvermittler und Diversity-Beauftragter Aymen Hamdouni mit einer Kollegin nach Wolfhagen (Kassel) gekommen. "HKH on Tour" - also Hessen Kassel Heritage unterwegs - heißt die Aktion.
Das Team will mit den Workshops Kunst und Kultur an Kinder und Jugendliche vermitteln, die aus ihrem Heimatland nach Nordhessen geflüchtet sind. Auf dem Programm stehen neben der Knetaktion weitere Kunst-Workshops und kurze Trickfilme. Beispielsweise über den Herkules, das Wahrzeichen Kassels.
Kunst baut Brücken
Das Besondere daran: Das Museum kommt zu den Kids nach Hause – und sie werden selbst aktiv. Je nach Alter beschäftigen sie sich mit der Herstellung verschiedener Farben, erfahren die Unterschiede zwischen verschiedenen Maltechniken oder befassen sich mit der Frühgeschichte Hessens.

Aymen Hamdouni ist bei Hessen Kassel Heritage für Bildung und Vermittlung zuständig, dazu Diversity-Beauftragter der Kunst- und Kultureinrichtung.
Für Hamdouni ist Kunst "eine Brücke zwischen Kulturen". Mit der Aktion ermögliche man Menschen, die es sich logistisch und finanziell nicht leisten könnten, die Einrichtungen der HKH zu besuchen und etwas über die Kultur ihrer neuen Heimat zu erfahren, quasi ein "kulturelles Empowerment".

Herkules in Kassel
Den Herkules kennen alle
Bei den gemeinsamen Workshops begegne man sich "auf Augenhöhe", so der Diversity-Beaufragte. Eine besondere Identifikation schaffe der Herkules. Auch Menschen, die nicht in Kassel aufgewachsen sind, hätten laut Hamdouni eine Verbindung zum Herkules: "Der Herkules ist bekannt und ein Merkmal für Kassel", sagt er.
Bereits Kinder wüssten, dass die Figur aus Kupfer nicht immer grün gewesen sei. In den Workshops werde das Thema spielerisch aufgegriffen - mit Malvorlagen, Drohnenaufnahmen und kleinen Filmen.

Nasratullah zeigt sein ausgemaltes Bild - bisher kennt er nur das Museum in Wolfhagen.
Kinder sprechen auch mit Farbe und Knete
Etwa 450 Menschen leben in den langgestreckten, ehemaligen Kasernengebäuden in Wolfhagen. Für die Kooperation mit der HKH und anderen Museen wie der Grimmwelt hat sich der Koordinator Andreas Bernhard aus dem WIR-Vielfaltszentrum in Fuldabrück eingesetzt.
Für ihn ist die Zusammenarbeit mit Kultureinrichtungen ein Teil von Integration und Teilhabe. Im Sportbereich gebe es bereits viele Initiativen, so Bernhard, gerade weil dafür nicht so viele Sprachkenntnisse benötigt würden. Dasselbe gelte für den Bereich der Kunst und Kultur. Über Materialien wie Knete und Farben könnten Kinder ihre Sichtweise zum Ausdruck bringen.

Plakate in der Unterkunft für Geflüchtete machen Werbung für die Workshops.
Kneten und Malen trainieren motorische und kognitive Fähigkeiten
In dem großen Raum hat sich mittlerweile ein buntes Treiben entwickelt - im wahrsten Sinne des Wortes. An einer der Wände hängen farbige Portraits bekannter Motive aus dem Museum und bilden ein großes Gesamtkunstwerk.
Einige Kinder haben sich Matten auf den Boden gelegt und turnen. Mütter und Väter unterhalten sich am Rande des Geschehens. Es ist ein vielfältiges Miteinander an diesem Nachmittag.
Wenig Platz, wenige Angebote in der Kasernenanlage
Den Kindern bietet der Workshop mit den Mitarbeitern des Museums eine willkommene Abwechslung. Denn das Leben in der Kasernenanlage ist beengt, erklärt Koordinator Bernhard. "Sie leben in einem kleinen Raum mit den Eltern und den Geschwistern zusammen".
Dazu fehle es an Angeboten, denn nicht alle Kinder hätten einen Kindergartenplatz bekommen mit Auswirkungen auf die Kinder und deren Mütter, die wegen der Betreuung kaum an Deutsch-Kursen teilnehmen könnten. Die Workshops trainierten motorische und kognitive Fähigkeiten.

Tiere kneten und Spaß haben: Quadratullah und Hekmatullah beim HKH-Workshop.
Viele Tiere auch bei den alten Meistern
Die Knettiere sind fertig und werden auf einem der Tische arrangiert. Die Museumspädagogen schlagen damit einen Bogen zu einem bekannten Werk aus der Sammlung im Schloss Wilhelmshöhe.
Das Werk "Menagerie" von Johann Melchior Roos entstand ab 1722 für den naturbegeisterten Landgrafen Carl und zeigt zahlreiche Tiere.
Gegenbesuch im Museum für Kinder und Eltern
Bis in den späten Nachmittag wird in der Pommernanlage weiter gewerkelt, gebastelt und gespielt. Doch damit ist die Aktion noch nicht am Ende. In ein paar Wochen wird ein Gegenbesuch stattfinden: Für die Familien steht ein gemeinsamer Museumsbesuch an.
Viele Geflüchtete hätten Hemmungen, Museen oder Schlösser zu besuchen, sagt Bernhard: "Ich glaube, dass das oft so innere Schranken auch bei den Menschen sind, die nicht wissen: darf ich denn da überhaupt hin." Um dieses Gefühl abzubauen, sei es wichtig, Vertrauen zu schaffen und gemeinsame Ausflüge wie etwa zum Schloss Wilhelmshöhe zu organisieren.
Dabei werden sie bestimmt viele Dinge aus ihrem Workschop in der ehemaligen Kaserne wiedererkennen. Nasratullah ist schon sehr gespannt. Bisher hat er nur das Museum in Wolfhagen kennen gelernt.