Zahlreiche Lkws stehen nachts dicht an dicht auf einem Rastplatz neben einer Autobahn.

Hessen Nordhessen ist Hotspot für Lkw-Planenschlitzer: Warum die Aufklärung so schwer ist

Stand: 16.04.2025 14:14 Uhr

Immer wieder reißen Unbekannte in Nordhessen nachts Lkw auf und klauen ganze Paletten mit Ware – oft, ohne dass die Fahrer etwas davon mitbekommen. Warum die Region ein Hotspot ist und die Aufklärung so schwer.

Von Emal Atif

700 Paar Badeschlappen, rund 75 Staubsauger – zwei Diebstähle in kurzer Folge. Beide Male schlugen die Täter nachts zu, beide Male im Raum Kassel an der A7. In einem Fall war der Fahrer sogar im Fahrzeug und bemerkte nichts.

Was kurios klingt, ist längst ein bekanntes Phänomen in der Logistikbranche. Die Polizei spricht von "Planenschlitzung". Dabei ritzen die Täter mit einem Messer ein kleines Loch in die Plane eines Aufliegers, spähen hinein – und greifen bei lohnender Ware zu: professionell, schnell, leise.

Mehr als eine Million Euro Schaden allein in Hessen

Laut Hessischem Landeskriminalamt (LKA) wurden im vergangenen Jahr in Hessen 125 Ladungsdiebstähle im Schwerlastverkehr registriert. In 79 Fällen schnitten Täter demnach die Plane des Aufliegers auf – dabei entstand ein Schaden von rund 560.000 Euro.

In weiteren 46 Fällen gelang der Zugriff auf andere Weise, etwa über geöffnete Türen. Hier lag der Schaden bei rund 470.000 Euro. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen.

Hotspot Nordhessen: Was die Region so anfällig macht

Besonders betroffen ist der Norden des Bundeslandes: 36 der 79 Planenschlitzer-Fälle wurden 2024 im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Nordhessen registriert, also fast die Hälfte aller Fälle, wie ein Sprecher des LKA auf hr-Anfrage erklärte. Das ist der landesweite Spitzenwert.

Der Grund? Das LKA verweist auf die zentrale Lage und die Verbindungen zur A7: Vom Autohof Lohfeldener Rüssel bei Kassel etwa lassen sich zahlreiche europäische Länder in wenigen Stunden erreichen. Dazu komme: "Die Parkplatzsituation ist gerade hier für Lkw angespannt, viele Fahrer parken notgedrungen an ungeschützten Orten, optimale Bedigungen für Täter", erklärt Niels Beuck, Sicherheitsexperte beim Bundesverband Spedition und Logistik (DSLV).

Anders als der Speditionsverband, der auch Industriegebiete als Risiko nennt, verweist die Polizei Nordhessen vor allem auf große Rastanlagen mit Tankstellen und Restaurants entlang der Autobahnen. Dort sei eine Häufung der Fälle zu beobachten – seltener passiere so etwas auf "kleinen, übersichtlichen Parkplätzen oder weiter abseits der Autobahn", sagte ein Sprecher am Mittwoch.

Wie die Täter vorgehen

Ihr Vorgehen sei oft identisch: Mit Kleintransportern fahren sie demnach nachts Rastplätze ab. Ein kleiner Schnitt mit dem Teppichmesser genügt, um einen Blick in den Laderaum zu werfen. Wenn die Fracht lohnend ist, greifen sie zu. Ganze Kartons werden verladen, oft ohne dass es jemand merkt. Nach wenigen Minuten sind die Täter, die oft in Kleingruppen unterwegs sind, wieder verschwunden.

Zur Beute wird alles, was greifbar und transportierbar ist: Kleidung, Schuhe, Elektronik, Lebensmittel. "Die Täter sind inzwischen so gut organisiert, dass sie gestohlene Ware sogar über Plattformen wie Ebay oder Amazon verkaufen können", sagt Beuck.

Fahrer können sich kaum schützen

2024 wurden in Hessen laut LKA 18 Tatverdächtige identifiziert, acht von ihnen mit rumänischer Staatsangehörigkeit. "In Ostdeutschland wurden zuletzt vermehrt polnische Tatverdächtige festgenommen", so ein Sprecher des LKA. "Dies könnte sich auf die geografische Nähe zu Polen zurückführen lassen."

Die Täter haben es leicht – die Fahrer dagegen kaum Möglichkeiten, sich zu schützen. Eine lückenlose Überwachung durch die Fahrer selbst sei unrealistisch, erklärt Beuck. Gesetzlich vorgeschriebene Ruhezeiten würden es ihnen sogar verbieten, regelmäßig zu kontrollieren, ob der Laderaum unversehrt sei.  

Wer schläft, merke außerdem nicht, wenn die Plane aufgeschlitzt werde – und dürfe sich im Ernstfall nicht einmal einmischen: aus Sicherheitsgründen. Zwar gebe es technische Lösungen wie Alarmplanen, GPS-Tracker oder auch gesicherte Parkplätze für 60 Euro pro Nacht. Das mache den Raub unwahrscheinlicher, aber sei gerade für kleinere Subunternehmen wirtschaftlich oft nicht tragbar.

Geringes Risiko, hoher Gewinn

Der Aufwand für Kriminelle ist laut Beuck gering, die Beute oft fünfstellig – und die Gefahr, erwischt zu werden, niedrig. Bis der Fahrer den Diebstahl bemerke, seien Täter oft längst verschwunden – womöglich schon über die Grenze. Die Polizei habe in solchen Fällen kaum Chancen, schnell zu reagieren. Die Aufklärungsquote sei entsprechend gering.

Die Polizei bestreift nach eigenen Angaben rund um die Uhr die betroffenen Rastanlagen an den Autobahnen – mit uniformierten Kräften und l"ageangepassten Kontrollen". Ergänzt werde das durch verdeckte Maßnahmen und europaweite Ermittlungen. Die Täter seien "sehr schnell und leise", bestätigt die Polizei. Viele Fahrer bemerkten den Diebstahl erst am Morgen danach.

Unterschätztes Problem

Lange tauchte das Delikt in der Kriminalstatistik nicht einmal separat auf. Der wirtschaftliche Schaden sei erheblich – doch auch weil oft Versicherungen zahlen würden, bleibe das Problem in der Öffentlichkeit unter dem Radar, so Beuck.

Der Bundesverband Spedition und Logistik fordert deshalb gezieltere Maßnahmen: etwa spezialisierte Polizeieinheiten, Schwerpunktstaatsanwaltschaften und eine bessere internationale Zusammenarbeit.

Für Fahrer und Unternehmen hat die Polizei klare Empfehlungen: Lkw-Fahrer sollten möglichst auf bewachte Rastplätze ausweichen und bei verdächtigen Beobachtungen sofort die Polizei verständigen. Transportunternehmen wird geraten, Planenauflieger möglichst zu vermeiden, die Anhänger stattdessen mechanisch oder elektronisch zu sichern – etwa mit Türalarmen.