
Hessen Rad-Star John Degenkolb nach Horror-Sturz: "Diese Schmerzen haben alles getoppt"
Nach seinem schweren Sturz bei der Flandern-Rundfahrt ist ein Großteil der Radsaison für John Degenkolb gelaufen. Im Interview mit dem hr-sport spricht der Oberurseler über die Sekunden nach dem Sturz, unerträgliche Schmerzen und das Leben nach der Karriere.
Sein schwerer Sturz bei der Flandern-Rundfahrt war ein Schock für Radsportfans. Mit ein paar Tagen Abstand spricht John Degenkolb über den Unfall und die schwere Zeit danach.
hessenschau.de: John Degenkolb, Ihr schwerer Sturz auf der Flandern-Rundfahrt ist nun über eine Woche her. Was ist denn alles gebrochen?
John Degenkolb: Das Handgelenk, der Unterarm, der Ellbogen, das Schlüsselbein. Einmal komplett von unten nach oben.
hessenschau.de: Wie ging es nach dem Sturz für Sie weiter?
Degenkolb: Die erste Operation war Sonntag. Ich bin von der Unfallstelle ins Krankenhaus gekommen, in Rücksprache mit dem Handchirurgen und anhand der Bilder haben wir entschieden, abends noch die Operation zu machen und den großen Trümmerbruch im Handgelenk und im Unterarm mit einer Platte zu versehen. Am Montag war ich dann transportfähig, um nach Hause zu können. Am Dienstag war ich in der Unfallklinik in Frankfurt. Dann stand am Freitag die nächste OP auf dem Programm. Es war eine unschöne Woche, das kann man nicht anders sagen.
hessenschau.de: Wie sind die Schmerzen?
Degenkolb: Mittlerweile sind die Schmerzen auf einem Niveau angelangt, wo man von erträglich sprechen kann. Aber gerade in den ersten zwei Tagen nach der OP am Freitag bin ich buchstäblich durch die Hölle gegangen. Ich habe einige Schmerzen erleiden dürfen in meinem Leben und meiner Karriere, aber das hat alles getoppt, was ich je durchmachen musste.
hessenschau.de: Der körperliche Schmerz ist das eine, der seelische das andere. Was ist Ihnen in den Sekunden und Minuten nach dem Sturz durch den Kopf gegangen?
Degenkolb: Schon an der Stelle des Sturzes musste ich innehalten. Auf dem Weg zum Krankenwagen habe ich mich auf die Leitplanke gesetzt und für mich selbst realisiert: Das war es jetzt für dieses Jahr mit Paris-Roubaix. Das war eine schreckliche Situation. Der Weg der Aufarbeitung und der Verarbeitung dauert immer noch an. Es ist erst eine Woche her, daher kann ich nicht sagen, ich hätte es komplett mental verarbeitet. Das Schlimmste liegt hinter mir, aber wenn ich genau in mich hineinfühle, macht es natürlich etwas mit mir.
hessenschau.de: Wie kann man aus einer solchen Situation mental Stärke ziehen?
Degenkolb: In erster Linie versucht man sich daran langzuhangeln, dass es noch viel schlimmer hätte sein können. Es hätte noch viel mehr kaputt sein können. Meine aktuell größte Priorität ist, dass die Funktion von Arm und Schulter auf ein Niveau gebracht werden, dass ich normale Aktivitäten durchführen kann. Da spreche ich noch nicht vom Radfahren. Darauf kann man dann aufbauen. Wenn man den Weg von der Reha schon einmal durchgemacht hat, macht einen das stärker. Ich hoffe, dass diese Stärke nun ausreicht, den Weg noch einmal gehen zu können.
hessenschau.de: Mit welchem Ziel motivieren Sie sich für die Reha? Wo wollen Sie gerne noch einmal antreten?
Degenkolb: Meine Priorität Nummer eins ist, alles dafür zu geben, die Funktion und Belastbarkeit meines Armes zurückzugewinnen. Ich bin aktuell noch nicht an dem Punkt, an dem ich drüber nachdenke, wo ich Rennen fahren möchte und wo ich wieder in den Rennbetrieb zurückkomme. Vielleicht bin ich jetzt auch an einem Punkt angelangt, dass ich reif und alt genug bin, zu verstehen, dass es nach der Karriere auch noch ein Leben gibt. Für mich ist es auch wichtig, dass ich mit meinen Kindern in zehn Jahren immer noch in der Lage bin, Klettern zu gehen oder Tennis zu spielen. Das ist das primäre Ziel aktuell. Aber innen drin, natürlich, will ich bei Paris-Roubaix noch einmal am Start stehen.
hessenschau.de: Und beim Radklassiker Eschborn-Frankfurt am 1. Mai?
Degenkolb: Beim 1. Mai auch. Das ist mein Heim-Rennen. Das auf dem Rad mitzuerleben, auch diesen Status als Lokalmatador haben, ist etwas Unbeschreibliches. Ich werde alles dafür geben, diesen harten Weg in Angriff zu nehmen. Es wird nicht einfach, aber ich habe eine tolle Familie und Freunde um mich herum, die mir viel Support geben. Ich kann es kaum erwarten, die Reha zu starten. Aber aktuell bin ich noch enorm eingeschränkt.
hessenschau.de: Wie werden Sie den 1. Mai verfolgen?
Degenkolb: Mein Wunsch ist es, am 1. Mai mitzuwirken. Dabei zu sein, präsent zu sein. Ich hoffe, dass die Verletzung es zulässt, vielleicht das eine oder andere Interview zu geben, die eine oder andere Hand zu schütteln, auch wenn es nur die Linke ist, auf dem einen oder anderen Bild aufzutauchen. Nicht nur die Profis anzufeuern, sondern auch bei den Nachwuchsrennen mit dabei zu sein. Und das Event einfach mitzuerleben.
Das Interview führte Florian Naß.