
Hessen Staatsanwaltschaft sieht bei AfD-Aschermittwoch keine Volksverhetzung
Ob die Forderung nach "millionenfacher Remigration" oder das Abspielen des als rechter Chiffre benutzten "L'Amour Toujours": Strafbar war das laut Staatsanwaltschaft bei einer AfD-Veranstaltung in Rödermark nicht. Sie ermittelt deshalb nicht weiter gegen drei Abgeordnete.
Musik, Brotzeit und Bier vom Fass: Beim Politischen Aschermittwoch der AfD in Rödermark (Offenbach) im vergangenen Jahr ging es trotz eines Gegenprotests vor der Kulturhalle munter zu – und nach Meinung von Gegnern der Partei deutlich zu weit. Der grüne Ex-Bürgermeister und Rechtsanwalt Roland Kern erstattete für 16 Menschen Anzeige gegen drei Politiker.
Der Vorwurf gegen den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich als Hauptredner sowie die Landtagsabgeordneten Jochen Roos als Veranstalter und Maximilian Müger als Moderator: Mit der Forderung nach "millionenfacher Remigration" beziehungsweise dem Abspielen der Melodie des Party-Hits "L'Amour Toujours" samt karnevalistischem Tusch hätten sie zum Hass gegen Menschen mit Migrationshintergrund angestachelt.
Die Staatsanwaltschaft Darmstadt ermittelte wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Mehr als ein Jahr nach dem Vorfall hat die Behörde das Verfahren nun eingestellt, wie ein Sprecher dem hr auf Anfrage bestätigte.
Ohne Worte
Demnach war die Äußerung Helferichs über "Remigration" von der Meinungsfreiheit gedeckt. Auch das Abspielen des Tuschs in Rödermark stellte nach Auffassung der Ermittler keine Volksverhetzung dar.
Zum Ruf "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", den rechte Partygänger andernorts wiederholt zu der Melodie skandierten, war es bei dem Aschermittwochstreffen nicht gekommen. Helferich hatte das auf der Bühne seinerzeit so kommentiert: "Ich bin froh, dass ihr alle den Liedtext vergessen habt."
Roos: "Auf dem Boden der Rechtsordnung"
Der AfD-Landtagsabgeordnete Roos sieht sich durch die Einstellung des Verfahrens bestätigt: Die Anzeige sei "mit höchster Wahrscheinlichkeit politisch motiviert" und "rechtlich unhaltbar" gewesen. Wer ihn kenne, wisse, dass er "fest auf dem Boden unserer Rechtsordnung" stehe, sagte Roos auf Anfrage. Er ist Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Offenbach Land und des Ortsverbands der Partei in Rödermark.
Co-Landeschef Robert Lambrou sagte, es sei erfreulich, dass der Verdacht gegen Roos ausgeräumt sei und fügte hinzu: "Die AfD ist und bleibt eine Rechtsstaatspartei."
Rechtsstaatlich und human?
Auf die beiden anderen Politiker, gegen die ermittelt worden war, ging Lambrou nicht ein. Sie waren oder sind selbst in den eigenen Reihen umstritten. Müger gehört der Partei inzwischen nicht mehr an. Der als rechtsradikal kritisierte Bundestagsabgeordnete Helferich hatte eine Volksverhetzung von Beginn an zurückgewiesen. Er fordere Remigration als Umkehrung der Zuwanderung, die rechtsstaatlich und human ablaufe, sagte er dem hr.
Anzeigenerstatter Kern sah und sieht das anders: Durch den Zusatz "millionenfach" sei klar, dass bei einer solchen "Remigration" nicht nur ausreisepflichtige Ausländer das Land verlassen sollten. Der Anwalt kritisierte am Mittwoch die Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Sie sei in "einigen tragenden Aspekten" überprüfungsbedürftig.
So ist laut Kern fraglich, ob das Abspielen von "L' Amour toujour" tatsächlich keinen Fremdenhass ausdrücke, wenn die "Ausländer-raus"-Parole nicht vorgetragen, sondern "quasi nur mitgedacht" wurde. So hat die Staatsanwaltschaft in ihrer 12-seitigen Einstellungsverfügung begründet, warum das Verhaltens in Rödermark nicht bestraft gehöre.
Kritiker wirft Staatsanwaltschaft "gewagte" Entscheidung vor
Vor allem stört sich der Grünen-Politiker und Jurist daran, dass die Ermittler Helferichs Forderung nach "millionenfacher Remigration" durchgehen lassen wollen. Zumal die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung Kerns Vorhalt sehr wohl teile, dass die vom AfD-Politiker genannte Größenordnung die Zahl der tatsächlich ausreisepflichtigen oder auch geduldeten Menschen im Land um ein Vielfaches übersteigt.
Was Helferich mit seiner Forderung genau meine und ob es ihm tatsächlich um die Ausweisung aller in Deutschland lebenden Migranten und gar aller Deutschen mit Migrationshintergrund gegangen sei, blieb laut Staatsanwaltschaft aber unklar. Da er in seiner Rede auch Italien und die USA erwähnte, könne der AfD-Politiker demnach "in größeren Dimensionen" und nicht nur an die deutsche Migrationspolitik gedacht haben
Kern sagt zu dieser Argumentation: Es sei "sehr gewagt" von der Behörde, den drei Abgeordneten "unter Verweis auf die italienischen Neofaschisten und den Rassisten Trump [...] die Wohltat des Zweifels an einer volksverhetzerischen Absicht zukommen zu lassen". Zumal Trump Aschermittwoch 2024 gar nicht regiert habe.
Der Anwalt prüft daher nach eigenen Angaben eine Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens. Bejahe auch die Generalstaatsanwaltschaft die Einstellung, gebe es auch noch die Möglichkeit, beim Oberlandesgericht eine Anklage zu erzwingen.
"Das freundliche Gesicht des NS"
Der Dortmunder Anwalt Helferich war zuvor bereits bundesweit aufgefallen, als er sich "das freundliche Gesicht des NS" nannte. Er verteidigte die Äußerung als ironisch. Nach der Bundestagswahl 2021 nahm ihn die AfD-Fraktion nicht auf. Der neuen AfD-Fraktion wird Helferich jedoch angehören.
Auch der Landtagsabgeordnete Müger ist inzwischen fraktionslos. Er trat zudem aus der AfD aus, als ein Ausschluss drohte. Grund war ein Instagram-Video, in dem der Politiker zum Kampf gegen Migration aufrief und dabei Schüsse aus einem Sturmgewehr abfeuerte.
Gemeinsam mit seinem damaligen Parteifreund Roos hatte Müger den Musik-Einspieler seinerzeit auf hr-Anfrage als "in keiner Weise ausländerfeindlich motiviert" bezeichnet. Der umstrittene Tusch sei ein "schwarzhumoriger Scherz" gewesen.
Der eingängige Instrumental-Refrain des mehr als 20 Jahre alten Hits "L'Amour Toujours" war in jüngerer Zeit zur rechtsextremen Chiffre geworden - zunächst in den sozialen Medien, dann auf Veranstaltungen. Musikverlag und Komponist Gigi D'Agostino wehren sich gegen diese Art der Verwendung.