Eine Frau steht vor einer Fahne mit der Aufschrift "Wesertal ist bunt" und lächelt in die Kamera

Hessen Verfassungsschützerin: "Von rechtsextremistischen TikTok-Trends geht eine akute Gefahr aus"

Stand: 18.04.2025 17:53 Uhr

Mit Reels, Memes und TikToks versuchen Rechtsextremisten gezielt, Kinder und Jugendliche zu rekrutieren. Auch in Hessen sind sie inzwischen gut vernetzt, sagt die Verfassungsschützerin Lea Plavcic. Im Interview warnt sie vor den Gefahren für die reale Welt.

Rechtsextreme Inhalte finden sich auf TikTok, Facebook und Instagram inzwischen wie Bäume im Wald. Für die "neue Rechte" rund um den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner und die "Identitäre Bewegung" sind die sozialen Medien längst zum Spielplatz geworden, aber auch die "alte Rechte", also Parteien wie die "Heimat" (ehemals NPD) agieren inzwischen intensiv auf den Plattformen.

KOREX, das Kompetenzzentrum des hessischen Verfassungsschutzes, klärt darüber auf und versucht so, vor Extremismus zu schützen. hessenschau.de sprach mit der Verfassungsschützerin Lea Plavcic vor ihrem Vortrag im Haus der Demokratie in Wesertal-Gieselwerder.

Das Gespräch führte Leander Löwe.

hessenschau.de: Der Verfassungsschutz beobachtet die Aktivitäten von Rechtsextremen auf den sozialen Medien. Ihr Ziel dort sind vor allem junge Menschen. Mit welchen Strategien versuchen rechtsextremistische Akteure, sie zu erreichen?

Lea Plavcic: Sie versuchen, dem Rechtsextremismus eine moderne und zeitgemäße Erscheinungsform zu geben - beispielsweise über rechtsextremistische TikTok-Videos, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder über rechtsextremistische Memes. Sie setzen aber auch ganz gezielt rechtsextremistische Hass-Kommentare ein, um den Rechtsextremismus zu normalisieren.

hessenschau.de: Welche Rolle spielen Memes bei der Verbreitung rechter Ideologien - also das Verpacken von Videos oder Bildern als vermeintliche Witze?

Plavcic: Es ist ein ganz normaler menschlicher Instinkt, dass wir als Menschen mehr durch Bilder angesprochen werden, als durch Text. Memes haben ja im Ursprung einen Unterhaltungszweck. Und genau das sollen eben auch diese rechtsextremistischen Memes erreichen: Dass Menschen anfangen, über diese klaren rechtsextremistischen und rassistischen Botschaften zu lachen.

Wenn es einem nicht gelingt, diese Botschaften zu entlarven, dann sickert der Rechtsextremismus, gekoppelt mit etwas Positivem - mit einem Lach-Moment - in die Köpfe der Menschen hinein. Und auch das sorgt für die eben erwähnte Normalisierung.

hessenschau.de: Und sind die Rechtsextremen damit erfolgreich?

Plavcic: Rechtsextreme schaffen es immer wieder, enorm hohe Reichweiten auf den Sozialen Medien zu erzielen. Und sie schaffen es eben auch, dass der Rechtsextremismus dabei zu einem TikTok-Trend gemacht wird.

Ein Beispiel stammt aus dem letzten Jahr, als dieses Sylt-Video aus dem Ponyclub viral gegangen ist, als auf Gigi D‘Agostinos "L’amour toujours“ rassistische Parolen gesungen worden sind.

Ganz, ganz viele junge Menschen hatten dieses Video eben auf ihrer For-You-Page (TikTok-Startseite, Anm. d. Red.), ohne dass sie zuvor in rechtsextremistischen Filterblasen aktiv waren. Und genau das ist das Problem, dass sie mittlerweile eine enorm hohe Reichweite erzielen.

hessenschau.de: Auch in Hessen tauchen immer wieder rechtsextreme Social-Media-Accounts auf. Uns fiel vor einiger Zeit ein Nutzeraccount namens "Jung und stark Hessen" auf. Kurz danach wurde er wieder gelöscht. Können Sie erklären, was es mit diesem Hin und Her auf sich hat?

Plavcic: Im Ursprung hat man diese Accounts und ihre Aktivitäten ganz viel auf TikTok gesehen. Wir erleben aber auch, dass "Jung und stark" oder "Deutsche Jugend voran" bei den CSD (Christopher Street Days, Anm. d. Red.) mit ihren rechtsextremistischen Störaktionen aufgefallen sind.

Natürlich ist es auch ihr Ziel, in der analogen Welt ihre Aktionen durchzusetzen. Dafür rekrutieren sie intensiv in der digitalen Welt, insbesondere auf TikTok - mit Aktivitäten unter Accounts, die man ihnen direkt zuordnen kann, aber auch ganz häufig nur mit Hashtag DJV etc.

hessenschau.de: In Kassel hat so ein Account vor ein paar Wochen zu einem Angriff auf die "Demo gegen Rechts" aufgerufen. Wie gefährlich sind denn so Situationen, die dadurch entstehen können - durch diese "digitale Vernetzung" in der realen Welt?

Plavcic: Niemand radikalisiert sich ausschließlich aufgrund der sozialen Netzwerke. Nichtsdestotrotz erleben wir leider immer stärker, dass diese rechtsextremistischen TikTok-Trends auch in der analogen Welt ankommen. Wir erleben ein enorm angetriebenes realweltliches Aktionsniveau.

Wir erleben dabei auch, dass Rechtsextreme massiv viele junge Menschen rekrutieren können. Natürlich liegt das eben auch an ihrer hohen Präsenz und Reichweite auf Social Media. Deshalb geht dort schon eine akute Gefahr davon aus.

Eine Frau steht neben einer Powerpoint-Präsentation

Im Austausch mit den Besucherinnen und Besuchern des Hauses für Demokratie in Wesertal-Gieselwerder.

hessenschau.de: Welche Rolle spielen dabei denn auch mächtigere Kräfte, wie Parteien oder auch Akteure aus dem Ausland?

Plavcic: Natürlich spielen auch rechtsextremistische Organisationen eine ganz, ganz zentrale Rolle - rechtsextremistische Jugendorganisationen wie die "Jungen Nationalisten" oder auch Parteien wie der "Dritte Weg". Deshalb gibt es hier immer mal personelle Überschneidungen.

hessenschau.de: Und diese Organisationen versuchen dann auch junge Menschen heranzuziehen? Wie kann man sich das vorstellen? Wie läuft diese - ich nutze jetzt mal das Wort "Rekrutierung" - ab?

Plavcic: Es gibt keinen pauschalen Leitfaden, aber häufig findet der Erstkontakt auf Social-Media-Plattformen wie TikTok statt. Dort möchte man Aufmerksamkeit schaffen.

Das Ziel ist es, diese Jugendlichen in sogenannte rechtsextremistische Rabbit Holes (Kaninchenbau, sinnbildlich als Einstieg in Verschwörungserzählungen, Anm.d.Red.) hineinzulocken.

Dann finden immer wieder Verlinkungen zu Telegram-Kanälen statt, damit man eben auch noch auf geschlossenen Plattformen in den direkten Austausch mit den jungen Menschen hineinkommt.

hessenschau.de: Heißt das, dass die Menschen quasi einfach angeworben werden können, in denen ihnen die rechtsextremistischen Inhalte in den "Feed gespült", also von der Plattform präsentiert werden?

Plavcic: Das verhält sich ganz unterschiedlich. Natürlich haben wir es eben auch mit extremistischen Radikalisierungsfällen zu tun, wo die Ideologie bereits im familiären Umfeld fest verankert ist und dort propagiert wird.

Aber wir sehen auch, dass erste Kontakte dann eben über solche Social-Media-Plattformen wie TikTok stattfinden. Es stecken aber immer menschliche Grundbedürfnisse dahinter, die dysfunktional mit der rechtsextremen Ideologie kompensiert werden.

hessenschau.de: Die Zielgruppe, die mit TikTok angesprochen wird, ist ja noch sehr jung, teilweise 12 oder 14 Jahre alt. Was können wir als Gesellschaft tun, um die Kinder vor der rechtsextremen Propaganda zu schützen?

Plavcic: Medienkompetenz ist total wichtig. Nicht nur bei jungen Menschen, sondern in allen Teilen der Gesellschaft muss Medienkompetenz massiv verstärkt werden. Dafür brauchen wir auch die Eltern.

Es braucht natürlich auch eine starke Zivilgesellschaft auf den Social-Media-Plattformen, die sich dort für die Demokratie stark macht und sie dort auslebt. Und Extremismus muss als solcher benannt werden.

hessenschau.de: Das ist bei Kindern ja nicht immer ganz einfach. Ein aktuelles Beispiel: Vergangene Woche haben Kinder in der Gedenkstätte Bergen-Belsen rechtsextreme Parolen gesungen und damit bundesweit Aufmerksamkeit erregt. Wie kann man denn angemessen darauf reagieren?

Plavcic: Da ist es total wichtig, ins Gespräch mit diesen Kindern und Jugendlichen zu gehen, zu schauen, welches menschliche Grundbedürfnis dahintersteckt, die W-Fragen zu stellen: Wie hast du das gemeint, warum sagst du das, wie kommst du zu dieser Einschätzung?

Wir als Kompetenzzentrum Rechtsextremismus tun das eben ganz häufig in Einzelgesprächen oder auch in Klassen-Mediationen. Wenn es um Straftaten geht, müssen die aber natürlich auch entsprechend verfolgt werden.

hessenschau.de: Was können Eltern, Angehörige und Freunde tun, wenn sie merken, dass sie ihr Kind nicht mehr erreichen?

Plavcic: Sie sollten sich entsprechende Hilfe holen. Wir haben hier in Hessen das Beratungsnetzwerk Hessen, wir haben die "Rote Linie", wo eine Angehörigenberatung angeboten wird. Es gibt ganz, ganz viele Präventionsträger, die entsprechende Hilfestellungen anbieten können.

Wenn man bei Posts im Netz feststellt, dass es sich um extremistische Inhalte handelt, sollte man sie über die Plattform melden, aber eben auch beispielsweise über die Plattform-Meldestelle "Hessen gegen Hetze".