Niddastraße 76: In diesem Gebäude soll das Crack-Suchthilfezentrum entstehen

Hessen Widerstand gegen Frankfurts Crack-Zentrum: Stadt verteidigt umstrittenen Standort

Stand: 23.04.2025 10:13 Uhr

Mitten im Frankfurter Bahnhofsviertel soll ein neues Zentrum für drogenabhängige Menschen entstehen. Dagegen wehren sich Anwohner und Gewerbetreibende mit einem offenen Brief. Stadt und Drogenhilfe halten dagegen.

Von Emal Atif

Ein offener Brief, über hundert Unterzeichner – und eine klare Botschaft: Das geplante Suchthilfezentrum speziell für Crack-Abhängige direkt am Frankfurter Bahnhofsviertel soll nicht kommen. Eigentümer, Hoteliers und Wirtschaftsvertreter fordern in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) und Sozialdezernentin Elke Voitl (Grüne), den geplanten Standort in der Niddastraße 76 aufzugeben.

Dort will die Stadt das neue Zentrum in einer fünfgeschossigen Gewerbeimmobilie unterbringen: mit Hilfsangeboten, Übernachtungsmöglichkeiten und Konsumräumen an einem Ort. Das Gebäude ist allerdings noch teilweise vermietet, und die Mieter waren von den Plänen der Stadt überrumpelt worden.

Die Unterzeichner des offenen Briefs fordern nun, das Projekt an einen anderen Ort zu verlagern, etwa in ein Gebäude des Frankfurter Entsorgers FES in der Mannheimer Straße im Gutleutviertel. Auch die Industrie- und Handelskammer Frankfurt (IHK) stellt sich hinter diese Forderung.

IHK warnt vor Imageschaden

Denn: Die jetzigen Pläne würden nach Überzeugung von IHK-Präsident Ulrich Caspar zu einer zusätzlichen Belastung des Bahnhofsviertels führen. Das Zentrum liege "in unmittelbarer Nähe zu zahlreichen Hotels, der Messe sowie stark frequentierten Wegen zwischen Innenstadt, Hauptbahnhof und Messe". Das gefährde das Sicherheitsempfinden von Gästen und Mitarbeitenden.

Viele Unterstützer des Briefs befürchten, dass sich die offene Drogenszene noch stärker als ohnehin schon in diesem Bereich konzentrieren könnte – mit Folgen für das Image und die Investitionsbereitschaft.

Stadt bleibt beim Standort – aus Überzeugung

Die Stadt Frankfurt verteidigt ihren Plan hingegen. "Wir wollen helfen – und das geht nur, wenn wir nah dran sind", sagt Christian Rupp, Sprecher im Dezernat für Soziales und Gesundheit, dem hr. Menschen mit schwerer Suchtproblematik hielten sich nun mal im Bahnhofsviertel auf – ein Zentrum müsse dort ansetzen, wo sich die Betroffenen tatsächlich aufhalten.

Alternative Vorschläge wie die Mannheimer Straße 119 seien geprüft worden, hätten aber nicht überzeugt – zu abgelegen, keine Anbindung, keine Infrastruktur. Rupp betont außerdem: "Das neue Zentrum soll keine neue Szene erzeugen, sondern bestehende Probleme entschärfen."

Suchthilfe: "Nicht vom Menschen aus gedacht"

Rückendeckung für den Plan der Stadt kommt von der Integrierten Drogenhilfe (IDH) in Frankfurt, die sich nach eigenen Angaben seit Jahrzehnten für drogenabhängige Menschen einsetzt. Geschäftsführerin Gabi Becker kennt das Bahnhofsviertel seit Jahren und ist in die Planungen des neuen Zentrums involviert.

Becker sagt: "Die Menschen sind dort – nicht in irgendeiner abgelegenen Ecke." Das vorgeschlagene Ausweichquartier an den Bahngleisen sei für viele Klientinnen und Klienten schlicht nicht erreichbar.

"Wer Crack konsumiert, ist oft gesundheitlich schwer angeschlagen. 15 Minuten Fußweg können da zu viel sein", sagt Becker dem hr. Zudem fehle es am Alternativstandort an allem: Versorgung, niedrigschwelligen Angeboten, Infrastruktur.

Selbst einfache Einnahmequellen wie Flaschensammeln seien dort kaum vorhanden. "Dieser Vorschlag denkt nicht vom Menschen aus – sondern davon, dass man sie loswerden will", so Beckers Fazit zum offenen Brief.

Belastung ja – aber keine einfachen Lösungen

Trotz ihrer klaren Haltung zeigt Becker Verständnis für die Kritik aus der Nachbarschaft. "Natürlich ist das belastend. Auch für unsere Einrichtungen. Wir erleben täglich, wie sehr sich die Situation verändert hat – auch zum Negativen."

Die Antwort könne aber nicht Verdrängung sein, sondern müsse Zusammenarbeit sein. "Früher war Frankfurt bekannt für seinen abgestimmten Umgang in der Drogenpolitik. Heute fehlt das. Wir brauchen wieder mehr Miteinander – Stadt, Träger, Polizei, Nachbarschaft."

Die Stadt teilt diese Einschätzung: "Wir verstehen die Sorgen. Aber wer ernsthaft helfen will, darf die Realität nicht ausblenden", sagt Dezernatssprecher Rupp. Man sei offen für Gespräche – auch mit der Eigentümerinitiative. Ziel sei ein konstruktiver Weg, nicht ein "Konflikt um Symbole", wie die Stadt sagt.

IDH weitet Hilfe in der Niddastraße bereits aus

Während noch über das neue Zentrum gestritten wird, baut die IDH an ihrem bestehenden Standort in der Niddastraße aus: mehr Plätze für inhalativen Crack-Konsum, kürzere Wartezeiten, bessere Lüftung. Auch Akupunktur wird angeboten – als Möglichkeit, runterzukommen.

"Wir machen das nicht, weil es schön ist, sondern weil es hilft", sagt Becker. Ziel: mehr Menschen in geschützte Räume holen, runter von der Straße.

Becker: "Keiner wählt dieses Leben freiwillig"

Die Integrierte Drogenhilfe fordert darüber hinaus mehr als nur ein neues Zentrum. Es brauche Beschäftigungsmöglichkeiten, Teilhabe – und vor allem bezahlbaren Wohnraum. "Keiner hat sich das Leben auf der Straße ausgesucht. Aber viele haben keine Chance, es zu ändern", sagt Becker.

Viele der Betroffenen hätten keinen Zugang zu Sozialleistungen, Förderprogramme für Arbeitsintegration oder betreutes Wohnen seien über Jahre gekürzt worden. Auch Bund und Land müssten Verantwortung übernehmen, so Becker: "Ein Zentrum kann helfen. Aber es ersetzt keine Gesellschaft, die Verantwortung übernimmt."

Auch das Gesundheitsdezernat sieht im neuen Zentrum nur einen Baustein. Christian Rupp erklärt, es sei Teil einer langfristigen Strategie, die Suchthilfe, Stadtentwicklung und öffentliche Ordnung besser verzahnen soll. Schnelle Lösungen seien nicht zu erwarten.

Wie geht es weiter?

Die Stadt will den Standort halten. Der Magistrat muss noch zustimmen. Mit der Eigentümerinitiative sei man im Gespräch. Ob das reicht, um den Konflikt zu entschärfen, ist offen.

Fest steht: Frankfurt ringt mit der Frage, wie weit Hilfe gehen darf – und wohin.