
Köppinghoffs Hurricane: Der Rock- und Pop-Blog Part 2
Schon am Eröffnungstag erlebt NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff eines seiner ersten Festival-Highlights und Tipps für den Sonnabend hat er auch gleich - wie er im Blog berichtet.
Ach herrlich: Hier auf dem Hurricane ist allerbestes Wetter. Hut aufgesetzt, die lädierte Sonnenbrille auf die Nase geschoben (solange es noch geht), schlendere ich los über das Festival-Gelände, das so langsam aufwacht. Spätestens als ich bei Lagwagon stehe, wird es endgültig laut: Ich muss stark an das Videospiel "Tony Hawk’s Pro Skater 2" denken.
Guter alter Punk-Rock von Lagwagon
Das habe ich eine Zeitlang sehr intensiv gespielt und mich mit meinem digitalen Skateboard regelmäßig langgelegt. Die im realen Leben mindestens schmerzhaften Stürze wurden musikalisch untermalt von eben jener kalifornischen Punk-Rock-Band, genauer vom Song "May 16". Beim Konzert am Freitag gilt allerdings: Kennst du einen ihrer Songs, kennst du eigentlich alle.

Ganz nah dran: NDR Musikjournalist Matthes Köppinghoff begleitet das Hurricane Festival für uns im Blog.
Das Leben ist schön mit Kate Nash
Weiter geht’s zu Kate Nash: Bei der Musikerin aus London erlaube ich es mir, die Show vom Rasen am Rand anzuschauen und die Zeilen auf ihrem Shirt zu notieren: "I just want to say if your trans and reading this I love you & so do all my mates". Das ist doch sehr sympathisch. Da hört man doch gern dem Indie-Pop zu, den sie seit 2007 macht und den man vor allem durch den Song "Foundations" kennt. Das Leben ist schön.
Ein Wiedersehen mit Olli Schulz
Das Rasten auf dem Rasen hält nicht lange an, keine Sorge, ich bin ja schließlich hier "on duty" und direkt im Anschluss spielt auf der Hauptbühne Olli Schulz. Den habe ich bei meinem allerersten Hurricane-Besuch gesehen, vor... oh man, 20 Jahren, also 2005. Da gab es Oasis noch, die es ja nun auch wieder gibt, und vielleicht schließt sich ja gerade irgendwo hier im Universum ein Kreis. Wie dem auch sei: In der Karriere bei Olli Schulz hat sich seit 2005 einiges getan. Seine aktuelle Platte "Vom Rand der Zeit" hat es erstmals auf Platz eins der Albumcharts geschafft.

Gern gesehener Gast in Scheeßel: Olli Schulz
Schulz besitzt unbestritten ein riesiges Entertainment-Talent und Humor, worauf man ihn leider zu oft reduziert. Denn er hat auch die beneidenswerte Gabe der feinen Beobachtungen in seinen Songs, wie bei dem Highlight "Als Musik noch richtig groß war".
Zu tiefsinnig wird es hier aber heute nicht, allein schon wegen seiner vielen unterhaltsamen Ansagen – es ist der ganz feine Grad zwischen guten Songs und gelungenem Witz. Den Leuten gefällt’s, nicht nur beim Medley aus Rio Reisers "König von Deutschland" und Billy Idols "Dancing With Myself".
Beste Stimmung am ersten Hurricane Festival-Tag
Auch bei Djo schaue ich vorbei. Wer da jetzt unbeeindruckt oder unwissend mit den Schultern zuckt, kein Problem: Joe Keery ist als Schauspieler der breiten Masse vor allem in seiner Rolle als Steve Harrington in "Stranger Things" bekannt. Seine Musik klingt erstaunlich gut, so als würde da jemand - wie vielleicht ein Harry Styles - aus großer Entfernung von den Strokes träumen. Dieses Projekt sollte Joe gern weiterverfolgen - zumal nach Staffel 5 bei "Stranger Things" ohnehin Schluss ist.
Und weiter geht des Rumgerenne zwischen den Bands. Schlurfschlurf, hetzhetz, lauflauf. Als nächstes ist Hot Water Music dran. Das ist einerseits ein Buch von Charles Bukowski, habe ich glaube ich sogar gelesen (die Bukowski-Werke sind doch alle mehr oder weniger thematisch gleich, oder lieber eat.READ.Sleep Podcast?).
Und nochmal Punk-Rock für beste Laune
Andererseits sind Hot Water Music im Hurricane-Kontext vor allem eine Punk-Rock-Hardcore-Band aus Florida. Hier gilt zwar auch das Erfolgsrezept "Kennst du einen, kennst du alle", aber qualitativ ist das sehr hochwertig und macht mir allerbeste Laune, vor allem bei diesem schönen Wetter und der ausgelassenen Eröffnungsstimmung. Mit Nachdruck möchte ich euch aber viel mehr die nächste Künstlerin empfehlen.
Mein Tipp für Euch: Girl In Red
Mein erstes großes Highlight des Wochenendes, auf das ich mich schon seit Wochen, nein, Monaten gefreut habe, ist Girl in Red: Seit Jahren liebe ich die Platten von Marie Ulven Ringheim aus Norwegen, spiele ihre Songs bei NDR Blue. Ihre Indie-Bedroom-Pop-Rock-Songs klingen recht fröhlich, verträumt, irgendwie sacht positiv, sind textlich aber zuweilen das komplette Gegenteil und tropfen vor Melancholie. Quasi das 80er-Erfolgsrezept von The Smiths in die Jetzt-Zeit übersetzt.
Auf diesen Kontrast angesprochen, hat Marie in einem Interview gesagt: "Happy songs make sad lyrics even more sad and dramatic in a way." Also in etwa. Fröhliche Songs machen traurige Texte irgendwie noch trauriger und dramatischer. Und im Englischen klingt das auch noch so herrlich elegant.
Die Themen in ihren Songs: ihre queere Identität, zwischenmenschliche Beziehungen und mentale Gesundheit. Oder respektive der Mangel an einer solchen. Jedenfalls, einige ihrer Songs gingen viral; völlig zurecht, wie ich finde. In die ersten beiden Platten möchte ich mich schlichtweg hineinlegen, auch wenn ich mit Album drei ("I’m Doing It Again Baby!“) nie so recht warm geworden bin.
Trotz diesem kleinen Abzug in der B-Note zeigt sie beim Konzert heute, dass sie nicht nur melancholisch, sondern vor allem auch wild sein kann: Schon beim zweiten Song "Bad Idea" schmeißt sie sich zum Crowd Surfing in die Menge. Es scheppert, es kracht, es ist wunderschön, ein grandioser Sound, die Fans in den ersten Reihen lieben es, und die dahinter auch. Zum Schluss gibt es sogar nochmal Fankontakt bei einem Bad in der Menge – das hat sich gelohnt.
Ersatz aus Kiel mit Leoniden und Rock aus Schottland mit Biffy Clyro
Motionless in White haben abgesagt – dafür sind die Leoniden eingesprungen. Ein sehr netter Move, zudem hatten es die Band aus Kiel ja eh nicht so weit, hier nach Niedersachsen. Da ich die Indie-Band seit Jahre sehr schätze, wird mein Festivalbesuch kurz unübersichtlich und hektisch, weil sich der Leoniden-Auftritt mit Biffy Clyro überschneidet. Wieder ist hin und her tingeln angesagt; aber so ist das nunmal.
Anschließend wird’s erneut laut und wild: Rise Against hatte ich zuletzt 2022 gesehen, ebenfalls hier auf dem Acker in Scheeßel, sogar auf der gleichen Bühne. Wieder stehen die Leute bis zum Horizont, die Menschenmenge sieht beeindruckend aus: Beim Hurricane ist es voll, alles schön und toll, die Stimmung ausgelassen, bei mir kommt aber ein gewisses Déjà-Vu-Feeling auf. Immerhin, so habe ich eine gute Ausrede, um mich zeitig auf den Weg zur Hauptbühne zu machen für AnnenMayKantereit.
Abschluss des Abends: AnnenMayKantereit
Die Band aus Köln versteht es wie wohl kaum jemand anders hierzulande, Deutsch-Pop-Rock live auf die Bühne zu bringen. Kein Wunder, da sie als Straßenmusiker angefangen haben und sich in die Herzen aller Abi-Feiern und bis heute weit darüber hinaus auf die großen Bühnen gespielt haben.
Emotionale Balladen sind ihre Spezialität: Raue Verletzlichkeit, orientierungslose Lieben und Trennungen, eben die großen Gefühle. All das, besungen von Henning May mit seiner markant-rauchigen Stimme, dazu die reduzierte Instrumentierung. Und trotzdem klingt das heute alles sehr fett und wie gemacht für diesen Abend, sehr genau adressiert an die Zehntausenden feiernden Leute, die laut die Hits von AnnenMayKantereit mitsingen.
Das ist es, was einen Headliner ausmacht: die ganz besondere Stimmung am ersten Festivalabend hervorragend zu transportieren und auf das Publikum zu übertragen. Das Publikum ist happy, geht danach zufrieden weiterfeiern bei Alligatoah – oder macht wie ich nach ein paar Songs Feierabend.
Meine Empfehlungen für den Sonnabend
Etwas Pause kann nicht schaden, zumal ich auch mit etwas Ehrfurcht auf den kommenden Tag blicke. Da ist richtig viel los: Ich habe quasi alles in der Hurricane-App angemarkert und möchte mir mehr oder weniger jeden Namen anschauen. Doch eins nach dem anderen.
Definitiv gesetzt sind für mich (in chronologischer Reihenfolge), Blond, Zartmann, Wet Leg (!), die Deftones (!!!), Antilopen Gang, Sam Fender (zu viele Ausrufezeichen sind albern, aber hey: !!! ) und selbstverständlich The Prodigy. Jimmy Eat World zwischendrin habe ich zwar 2022 hier schon gesehen, aber die nehme ich als Fan doch gerne noch mit.
Puh. Ganz schön viele Namen. Zu allen hätte ich auch viel zu erzählen, eigentlich pro Act einen eigenen Blog-Text, aber wir haben ja alle noch viele andere schöne Dinge zu tun. Daher schlafe da nochmal eine Nacht drüber, und entscheide später, über wen ich alles eine Abhandlung schreibe. Feststeht, es ist ordentlich viel Vorfreude da. Daher, schnell schlafen, und dann wieder alles auf Start. In diesem Sinne, bis morgen – ich freu‘ mich!