Polizei-Razzia

"Nordkreuz": Als die Warnungen verhallten

Stand: 21.06.2025 11:51 Uhr

Vor acht Jahren wurde die rechtsextreme Gruppe "Nordkreuz" in MV enttarnt. Juristisch gilt sie bis heute nicht als Terror-Netzwerk - zu Unrecht?

Von Carolin Kock

August 2017: Polizisten der Anti-Terror-Einheit GSG9 durchsuchen die Wohnhäuser von sechs Mitgliedern der rechtsextremen Prepper-Gruppe Nordkreuz in Mecklenburg-Vorpommern. Die Ermittler finden illegale Waffen und Tausende Schuss Munition, außerdem Listen mit Adressen politischer Feinde und Bestellungen von Leichensäcken und Löschkalk. Über eine Chatgruppe tauschten sich die etwa 30 Nordkreuz-Mitglieder darüber aus.

Als Gründer der Chatgruppe gilt der langjährige SEK-Beamte Marko G. Er teilte rechtsextreme Inhalte unter anderem mit dem damaligen Anwalt Jan-Hendrik H. und dem damaligen LKA-Beamten Haik Jaeger, der heute für die AfD im Kreistag Nordwestmecklenburg sitzt. Sie bereiteten sich auch auf den "Tag X" vor - also auf den Zusammenbruch des politischen Systems.

Gemeinsame Ideologie mit NSU

Seit fast einem Jahr beschäftigt sich der parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) des Landtages mit dem Nordkreuz-Netzwerk - vor allem auch, weil seine "Köpfe" langjährige Beamte waren, sagt die Ausschussvorsitzende Martina Tegtmeier (SPD): "Das ist etwas, was einen Staat natürlich sehr beschäftigt, weil gerade Beamte unseren Rechtsstaat verteidigen müssen." Der Ausschuss habe das Ziel, aufzuarbeiten, ob die Behörden bei ihren Ermittlungen alles richtig gemacht hätten, so Tegtmeier.

Bisher hatte der Ausschuss die Verstrickungen des rechtsextremen Terrornetzwerks NSU in Mecklenburg-Vorpommern untersucht. Eine personelle Verbindung zwischen NSU und Nordkreuz gibt es nicht, aber eine ideologische: So lud Jan-Hendrik H. zu einem privaten Schießwettbewerb, bei dem die Teilnehmer den "Mehmet-Turgut-Pokal" gewinnen konnten. Turgut wurde am 25. Februar 2004 vom NSU in Rostock mit drei Kopfschüssen getötet. Marko G. gewann den benannten Pokal beim Schießen mit dem Luftgewehr.

"Den Finger schon am Abzug"

Vor dem PUA haben bereits mehrere Zeugen ausgesagt: Ermittler des Bundes- und Landeskriminalamtes, auch Beamte des Verfassungsschutzes. Sie berichteten über die eindeutig rechtsextreme Gesinnung der Nordkreuz-Gruppe und bewerteten deren illegale Bewaffnung als "gefährlich" und "exzessiv". Im Ausschuss wurde auch klar: Schon 2009 gab es Hinweise auf die rechtsextreme Gesinnung von Marko G. Bei der Hausdurchsuchung 2017 fanden die Ermittler bei ihm 30.000 Schuss Munition.

Es sei auch klar, dass die nicht nur fürs Hobby-Schießen gedacht waren, sondern dass Marko G. einen Umsturz wollte, sagt Caro Keller von der Initiative "NSU Watch". Sie hat bereits die Untersuchungsausschüsse zum NSU beobachtet und war auch in Schwerin in fast jeder Sitzung zu Nordkreuz dabei. Ihr Zwischenfazit: "Das hätte auf jeden Fall ernster genommen werden müssen. Wir haben im Ausschuss Sätze gehört wie 'Marko G. hatte den Finger schon am Abzug. Der hat mit den Füßen gescharrt. Er hat auf den Tag X gewartet und wenn der nicht gekommen wäre, hätte er ihn selbst herbeigeführt'", sagt Caro Keller. Diese Hinweise habe man aber nicht verfolgt.

Ermittler hatten Beweise für Terror-Netzwerk

Der Generalbundesanwalt (GBA) führte damals die Ermittlungen - allerdings nur gegen Jan-Hendrik H. und Haik Jaeger. Marko G. aber führte der GBA nur als Zeugen und gab die Ermittlungen gegen ihn an die Staatsanwaltschaft Schwerin ab. 2021 stellte der GBA die beiden Verfahren ein, da aus seiner Sicht die Hinweise auf eine terroristische Vereinigung nicht ausreichten. Doch im Schweriner Untersuchungsausschuss erklärten die Ermittler immer wieder, dafür habe es sogar Beweise gegeben. Ab 2019 wurden durch das LKA alle Nordkreuz-Chats einzeln ausgewertet. Daraus gehe hervor, dass es eine Arbeitsteilung zwischen den Nordkreuz-Mitgliedern gegeben habe. 2019 wurde auch das Haus von Marko G. ein zweites Mal durchsucht, wieder fanden Ermittler illegale Waffen und Munition.

BKA, LKA und die Schweriner Staatsanwalt hatten deshalb immer wieder Druck auf den GBA ausgeübt, das Verfahren auf Marko G. auszuweiten - vergeblich. "Der GBA hat das Verfahren klein gehalten und es bleibt bis heute die Frage offen, warum", sagt Caro Keller. Die Begründung des GBA vor dem Untersuchungsausschuss sei dürftig gewesen, so Keller. Zwei für die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft zuständige Staatsanwälte sagten dazu lediglich aus, dass der zentraler Zeuge Marko G. nicht in gleicher Art und Weise belastet habe wie H. und Jaeger. Juristisch braucht es drei Tatverdächtige, um gegen eine terroristische Vereinigung zu ermitteln.

Keller: "Juristische Aufarbeitung von Nordkreuz ist unzureichend"

Das Landgericht Schwerin verurteilte Marko G. 2019 zu einer Bewährungsstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes. Seine rechtsextreme Gesinnung spielte bei dem Urteil keine Rolle. Für viele Ermittler und Beobachter ist der juristische Umgang mit Nordkreuz auch deshalb unzureichend und enttäuschend. Haik Jaeger wurde 2023 vom Amtsgericht Ludwigslust wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Geldstrafe über 5.000 Euro verurteilt - weil er 3.000 Schuss Munition in seinem Auto und auf dem Dachboden aufbewahrte.

Nordkreuz heute: Noch gute Kontakte

Zwar gibt es die Nordkreuz-Chatgruppe nicht mehr, das machte der Landesverfassungsschutzchef Thomas Krense am Montag im Untersuchungsausschuss deutlich. Aber einzelne Personen hätten ihre rechtsextremen Überzeugungen nicht abgelegt. Auch das Landesinnenministerium schreibt auf NDR Anfrage: "Es ist davon auszugehen, dass zwischen Personen, die damals in der Chatgruppe Nordkreuz agiert haben, auch heute noch virtuelle und realweltliche Kontakte bestehen und gemeinsame Interessen verfolgt werden."

Auch ehemaliger Innenminister soll aussagen

Der Untersuchungsausschuss will bis zur Sommerpause noch weitere Zeugen befragen - unter anderem Ex-Landesinnenminister Lorenz Caffier (CDU). Er war 2020 zurückgetreten, nachdem bekannt wurde, dass er privat eine Waffe von einem früheren Nordkreuz-Mitglied geschenkt bekommen hatte.

Dieses Thema im Programm: NDR 1 Radio MV | Mittagsschau kompakt | 21.06.2025 | 12:00 Uhr