Blumen und Kerzen an einem Tatort in Oldenburg, an dem ein junger Mann von einem Polizisten erschossen wurde.

Niedersachsen Nach Schüssen in Oldenburg: "Mutmaßungen sind fehl am Platz"

Stand: 23.04.2025 21:18 Uhr

In Oldenburg ist ein 21-jähriger Schwarzer durch Polizeischüsse getötet worden. Im NDR Interview erklärt GdP-Landeschef Kevin Komolka, wie er die aufkeimende Rassismusdebatte sieht - und zum Einsatz von Tasern steht.

Kevin Komolka, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen, hält die Debatte für verfrüht und warnt im Interview mit dem NDR vor einer Vorverurteilung der Polizei. Zuvor hatte Patrick Seegers, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Niedersachsen, für Alternativen zum Schusswaffengebrauch geworben. Anders als die DPolG sieht Komolka den Einsatz von Elektroschockern, sogenannten Tasern, kritisch.

Herr Komolka, in Oldenburg ist ein 21-Jähriger bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen. Jetzt kochen die Emotionen hoch. Wie bewerten Sie diesen Fall?

Kevin Komolka: Es ist ein Fall, der tragischer nicht sein könnte. Ein Polizeieinsatz, der mit einem toten Menschen endet, ist immer eine tragische Situation. Ich möchte aber zur Ruhe ermahnen - weil wir feststellen müssen, dass viele Debatten um polizeiliches Handeln losbrechen, wir aber über den Sachverhalt an sich kaum etwas wissen. Da müssen die Ermittlungsbehörden auch erstmal arbeiten können.

Kevin Komolka, Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft Niedersachsen.

Kevin Komolka ist Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei Niedersachsen.

Welche Gefahr sehen Sie in der aktuellen Debatte?

Komolka: Ich sehe die Gefahr, dass wir uns verrennen. Und zwar in Vorverurteilungen gegenüber der Polizei. Da werden inzwischen Rassismusvorwürfe laut, weil der Verstorbene eine Person of Colour gewesen ist. Und es kommt eine Stimmung auf, in der Polizisten als schießwütige Raufbolde bezeichnet werden. Aber: Die Ermittlungen zeigen noch kein Bild, und wir können uns von der ganzen Situation noch überhaupt kein Bild machen. Die Bodycam-Aufnahmen* müssen noch ausgewertet werden. Die Kolleginnen und Kollegen, die dabei gewesen sind, müssen befragt werden. Auch Zeugen müssen befragt werden. Alle Puzzlestücke müssen zu einem Gesamtbild zusammengesetzt werden. Dafür brauchen die Ermittlungsbehörden Ruhe. Ich verstehe das öffentliche Interesse - aber manchmal ist ein "Stehe still und sammle dich" in solch prekären Situationen zielführender, als vorschnell Details preiszugeben.

* Anm. d. Red.: Die Ermittler haben bislang nicht bestätigt, dass bei dem Einsatz in Oldenburg Bodycams eingesetzt wurden.

Sie haben die Rassismusvorwürfe angesprochen. Für Sie kommt die Debatte also zu früh?

Komolka: Dafür ist es viel zu früh. Wir müssen von einer hochdynamischen Lage ausgehen, in der es um die Frage geht, kann ein Kollege in einem Bruchteil dieser Situation unterscheiden: Handelt es sich um eine Person of Colour? Oder handelt es sich um einen jungen Deutschen? Oder um einen Zugewanderten? Auch die Frage des Messers ist noch nicht beantwortet. Bis wir keinen umfassenden Bericht bekommen haben, so lange sind sämtliche Mutmaßungen fehl am Platz.

Polizeischüsse in Oldenburg: Handelte der Beamte in Notwehr?

Drei Schüsse treffen das Opfer von hinten. Das ist schon ungewöhnlich, oder?

Komolka: Das ist zunächst sicherlich erstmal ungewöhnlich, wenngleich aber auch nicht unmöglich. Deswegen muss jetzt durch die Polizei und durch die Staatsanwaltschaft ermittelt werden, wie es zu diesem Schussbild kommen konnte.

Können Schüsse von hinten Notwehr sein?

Komolka: Die klassische Notwehrsituation, so wie wir sie im niedersächsischen Polizei- und Ordnungsgesetz finden, ist mannigfaltig. Von daher ist eine pauschale Antwort, wo die Schüsse am Ende sitzen können - im Bein, im Bauch, im Rücken, im Kopf - sicherlich nicht pauschal zu beantworten, sondern genau so individuell wie die Situation, in der sie abgegeben werden.

Im Internet und in der Oldenburger Stadtgesellschaft wird emotional diskutiert. Was muss passieren, damit sich die Debatte beruhigt?

Komolka: Dazu zählt die lückenlose Aufbereitung des Sachverhalts. Und wenn Fehlverhalten der Polizei vorliegen sollte, muss das auch ganz klar benannt werden. Da ermitteln die Kollegen, wie sie gegen jeden anderen ermitteln würden, um eine lückenlose Aufklärung zu ermöglichen.

Die Debatte um Taser, also Elektroschocker, keimt wieder neu auf. Ist der Taser eine Alternative, um nicht zur Pistole greifen zu müssen?

Komolka: Man muss den Taser immer im Gesamtkontext sehen. Es müssen Schulungen her, es müssen die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden. Derzeit würde es bedeuten, dass meine Kollegen zwischen zwei Waffen entscheiden müssten. Ich bezweifle aber die Notwendigkeit eines Tasers in Niedersachsen, weil wir bisher nur dynamische Situationen hatten, in denen ein Tasereinsatz erfolgen hätte können. Und gerade in dynamischen Situationen ist ein Einsatz des Tasers in anderen Bundesländern grundsätzlich verboten. Auch ein Tasereinsatz beim Einsatz eines Messers ist verboten - deswegen müssen wir Rechts- und Einsatzgrundlagen schaffen, um überhaupt über den Taser zu diskutieren. Dass zum jetzigen Zeitpunkt zu tun, zwei Tage nach der Tat, finde ich pietätlos.

In der Debatte geht es ja darum, ob man die Rechtsgrundlage schaffen sollte. Ist der Einsatz des Tasers im Polizei-Alltag praxistauglich?

Komolka: Zum flächendeckenden Einsatz sicher nicht. Man muss sich über die Sinn- und Zweckmäßigkeit unterhalten. Wir reden über zwei bis vier Schusswaffeneinsätze gegen Personen pro Jahr bei der Polizei in Niedersachsen. Das ist unterdurchschnittlich wenig. Dafür ein zusätzliches Einsatzmittel einzuführen, steht nicht im Verhältnis. Und die Beamten könnten in eine Zwickmühle geraten, weil sie sich zwischen zwei Waffen entscheiden müssen. Wenn der Taser eingesetzt wurde und trotzdem was Schlimmes passiert ist, wird immer die Frage aufkommen: Warum hast du nicht geschossen? Und wenn die Schusswaffe eingesetzt wurde, wird immer die Frage kommen: Warum habt ihr geschossen und nicht den Taser angewandt? Vor dieser Zwickmühle müssen wir die Kollegen schützen.

Das Interview führte Torben Hildebrandt, NDR.de.