Beamte der Landespolizei in Schleswig-Holstein demonstrieren den Einsatz eines "Taser 7".

Niedersachsen Nach Schüssen in Oldenburg: Polizeigewerkschaft plädiert für Taser

Stand: 23.04.2025 18:31 Uhr

In Oldenburg ist ein 21 Jahre alter Mann bei einem Polizeieinsatz tödlich verletzt worden. Patrick Seegers, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Niedersachsen, wirbt im Interview für Alternativen zum Schusswaffengebrauch.

Herr Seegers, wie bewerten Sie den Vorfall in Oldenburg?

Patrick Seegers: Ein schrecklicher Sachverhalt. Jeder Mensch, der bei einem solchen Einsatz stirbt, ist natürlich einer zu viel. Jetzt muss geklärt werden, ob der Schusswaffengebrauch angemessen war. Das müssen die Ermittlungen zeigen.

Wann ist denn ein Schusswaffengebrauch angebracht?

Der Landesvorsitzende der DPolG Patrick Seegers im Portrait.

Patrick Seegers ist Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft in Niedersachsen.

Seegers: Der Schusswaffengebrauch unterliegt ganz klaren rechtlichen Voraussetzungen im Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsgesetz. Die Gefahr muss begründet sein, es muss eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben vorliegen. Das bedeutet beispielsweise, wenn ein Messer, eine Waffe vorgehalten wird und unmittelbar zum Einsatz kommen kann, dann ist die Polizei auch berechtigt, die Schusswaffe zu gebrauchen - als Ultima Ratio. Das Ganze muss entsprechend verhältnismäßig sein. Und darauf kommt es jetzt [im Oldenburger Fall] an. Das gilt es jetzt zu überprüfen.

Gibt es denn irgendwelche technischen Alternativen zum Einsatz einer Schusswaffe?

Seegers: Wir als Polizei Niedersachsen plädieren für den Taser, auch im Streifendienst. Aktuell gibt es nur die Schusswaffe, und der Schusswaffengebrauch kann tödlich enden. Der Taser, also eine Elektroschockpistole, kann natürlich auch tödlich wirken und löst nicht jede Situation. Er wäre aber eine Möglichkeit, viele Situationen zumindest ohne schwerste Verletzungen oder einen tödlichen Ausgang zu lösen. Wir würden uns das wünschen.

Wie ist die Ausbildung für solche Einsätze?

Seegers: Grundsätzlich absolviert jeder Polizeibeamte in Niedersachsen zu Beginn seiner Karriere die Polizeiakademie, wo Schusswaffentraining ganz normal zum Lehrplan dazugehört. Dort wird Schießen aber nicht nur statisch, sondern vor allem in mobilen Situationen trainiert, so dass man sich auf entsprechende Lagen einstellen kann. Bei Schusswaffen braucht es eine entsprechende Trainingsintensität und Handhabung. Und das passiert an der Polizeiakademie und auch im Nachgang.

Wie werden Polizisten auf solche Stresssituationen vorbereitet?

Seegers: Durch Training, auch unter Stress. Das passiert gerade zu Beginn der polizeilichen Karriere sehr intensiv. Im weiteren Verlauf wird das weiter trainiert. Die Konfrontation mit Messern ist eine, die in der jüngsten Vergangenheit zugenommen hat und die dementsprechend auch in den Trainingsszenarien abgebildet wird. Aber es bleibt dabei: Eine Konfrontation ist Stress, und Stress sorgt auch dafür, dass nicht alles nach Lehrplan funktioniert. Menschen machen Fehler. Deshalb braucht es diese Trainingsintensität, um solche Lagen bewältigen zu können.

2024 sind so viele Menschen durch Polizeischüsse ums Leben gekommen wie seit 40 Jahren nicht mehr. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Seegers: Das ist natürlich dramatisch. Das liegt nach meinem Empfinden aber nicht daran, dass die Polizeibeamten jetzt gewillt sind, deutlich häufiger zu schießen. Aus eigenem Erfahren kann ich sagen, dass die Situationen mit Messern oder Stichwaffen deutlich zugenommen haben. Die Statistik belegt, dass wir so viele Messerdelikte haben wie noch nie. Darauf gilt es zu reagieren. Aber um es ganz klar zu sagen: Wenn eine Distanz von maximal fünf, sechs Metern unterschritten ist und man als Polizist mit einem Messer konfrontiert wird, dann stellt sich nicht mehr die Frage, ob man die Lage mit einem Gespräch löst. In dem Fall besteht unmittelbar Gefahr für Leib oder Leben. Und dann ist es in Niedersachsen leider nur möglich, die Schusswaffe zu gebrauchen, wenn sich die Lage nicht anderweitig lösen lässt.

Eine Stresssituation, wie sie von Ihnen geschildert wird, will ja kein Mensch erleben. Gibt es eigentlich bei der Polizei in Niedersachsen noch genug Nachwuchs?

Seegers: Der Polizeiberuf ist immer schon gefahrenbehaftet und gefahrenbewehrt gewesen. Das muss man wissen. Wenn jetzt die Bedrohungslagen zunehmen, dann sorgt das natürlich nicht dafür, dass die Leute freudestrahlend zur Polizei gehen. Aber ja, die Polizei in Niedersachsen hat noch genügend Nachwuchs. Aber der Wettbewerb mit anderen Organisationen nimmt zu, zum Beispiel mit der freien Wirtschaft. Solche konfrontativen Situationen tragen nicht dazu bei, dass sich mehr Leute bei der Polizei bewerben. Denn die Konfrontation unmittelbar mit dem Tod, mit Schusswaffengebrauch, ist eben eine, die man nicht haben möchte in seinem Leben. Das sorgt auch bei uns natürlich für Probleme.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Funkbilder - der Tag | 22.04.2025 | 16:00 Uhr