
Nordrhein-Westfalen Flugreisen: Vorerst wohl keine Einschränkungen bei Entschädigungen
Die EU-Verkehrsminister haben heute in Luxemburg über eine Reform der Fluggastrechte diskutiert. Unter anderem ging es um die Frage, ob Reisende bei Verspätung oder Stornierung von Flügen seltener Entschädigung bekommen sollen. Zunächst lehnten die Minister eine radikale Reform ab. Leichte Einschränkungen könnte es dennoch geben.
Ist ein Flug mindestens drei Stunden verspätet, haben Reisende bisher Anspruch auf Entschädigung. Die EU-Kommission und die großen Airlines wollten daraus fünf Stunden machen - bei längeren Strecken sogar noch mehr. Dadurch würden jährlich Millionen Menschen in der EU keine Entschädigung mehr erhalten, sagen die Verbraucherzentralen.
Vorerst werden diese Pläne aber nicht umgesetzt. Unter anderem die EU-Staaten Deutschland, Portugal, Spanien und Slowenien sprachen sich bei der Verkehrsministerkonferenz in Luxemburg am Donnerstag dagegen aus. Das letzte Wort ist aber noch nicht gesprochen, die Verhandlungen gehen weiter.
Wie die Deutsche Presse Agentur aus Kreisen der EU-Diplomatie erfahren hat, könnten die Passagiere in Zukunft erst bei einer Verspätung von mindestens vier Stunden Anspruch auf Entschädigung haben. Für diesen Kompromiss habe sich die Mehrheit der EU-Verkehrsminister ausgesprochen, berichtet die dpa. Offiziell ist allerdings noch nichts. Auch wenn es zu dem Kompromiss kommt, könnte das Europaparlament noch Änderungen vornehmen.
Was steckt hinter den Reformplänen?
Ist es bloß das Profitstreben von Airlines, die über die Entschädigungen stöhnen? So einfach ist es keineswegs! Denn auch die Airlines argumentieren, dass eine Reform den Fluggästen zugutekäme. Wie also sehen die Reformpläne aus? Welchen Fluggästen ginge wie viel Geld verloren? Was sagen Verbraucherschützer? Und wann wird die Reform umgesetzt? Fragen und Antworten:
Welche Entschädigungen stehen Fluggästen aktuell zu?
Laut geltender Fluggastrechteverordnung besteht für Fluggäste pauschal ab drei Stunden Verspätung Anspruch auf Entschädigung, sofern die Airline diese verschuldet:
- 250 Euro für Flüge bis zu 1.500 Kilometern
- 400 Euro für Flüge bis zu 3.500 Kilometern
- 600 Euro für Langstreckenflüge mit mehr als 3.500 Kilometern
Flug-Verspätungen sind Alltag. Am Flughafen Dortmund hatten im vergangenen Jahr laut Reiseportal Kayak 25 Prozent der Flüge Verspätung, in Düsseldorf 35 Prozent und in Köln/Bonn sogar 45 Prozent. Allerdings ging es dabei meistens um viel weniger als drei Stunden Verspätung.
Welche Reformpläne werden diskutiert?
Der Reformvorschlag der EU-Kommission sieht unter anderem vor, die Entschädigungshöhe an verschiedenen Zeiten und Strecken festzumachen:
- 250 Euro erst ab fünf Stunden Verspätung (bis 3.500 km)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 3.500 km innerhalb der EU)
- 400 Euro ab neun Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km bei Flügen außerhalb der EU)
- 600 Euro ab zwölf Stunden Verspätung (mit mehr als 6.000 km)
Bei einer Sitzung mit Vertretern der EU-Länder am Mittwoch (5. Juni) in Brüssel kam nach Angaben mehrerer Diplomaten keine Mehrheit für diesen Plan der Kommission zustande.
In der seit Jahren andauernden Diskussion über eine Reform der Fluggastrechte kamen weitere Vorschläge hinzu. Der Rat der Europäischen Union hat je nach Flugstrecke vier und sechs Stunden Verspätung vorgeschlagen, bis man Anspruch auf Entschädigung hat. Das Europäische Parlament hat drei, fünf und sieben Stunden vorgeschlagen. Deutschland will nach Diplomatenangaben bei der Schwelle von drei Stunden bleiben, die Entschädigung soll demnach aber pauschal 300 Euro betragen.
Wie argumentieren die Airlines, warum sie seltener Entschädigungen zahlen wollen?
Die Schwelle von drei auf fünf Stunden hochzusetzen, bis Anspruch auf Entschädigung besteht, sei im Interesse der Fluggäste, sagt Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) dem WDR.

Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft
Denn wenn es Störungen im Flugbetrieb gibt, dann wolle der Fluggast nicht primär eine Entschädigung, sondern: "Er möchte nach Hause." In drei Stunden sei es aber nicht zu schaffen, eine Ersatzmaschine zu besorgen und eine Besatzung da hinzufliegen, sagt Lang. "Aber in vier, fünf Stunden könnte man das schaffen."
Die neue Regelung mit fünf Stunden brächte den Vorteil, dass mehr Passagiere dort, wo sie gestrandet sind, abgeholt werden können, um nach Hause gebracht zu werden.
Joachim Lang, Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft
Es wäre ein Anreiz für die Fluggesellschaften, den Flug doch noch stattfinden zu lassen statt ihn zu stornieren, meint Lang und nennt als Beispiel einen A320 oder eine Boeing 737 mit 80 Prozent Belegung, also 144 Passagieren. Jeder bekommt eine Entschädigung von 250 Euro. "Das sind 36.000 Euro Strafe." Ein anderes Flugzeug zu beschaffen, koste ebenfalls einen "ordentlichen fünfstelligen" Betrag.
"Da sagt die Airline: Also entweder, ich versuche die Leute nach Hause zu bringen, oder ich zahle die Strafe. Aber beides ist natürlich ökonomisch absoluter Wahnsinn", so Lang.
Die Lobby-Organisation Arlines for Europe, der viele große Fluggesellschaften angehören, hat noch ein anderes Argument für die Reform, wie sie auf WDR-Anfrage mitteilt: Die aktuelle Fluggastrechteverordnung "hat eine ganze räuberische Industrie von Schadenregulierungsagenturen hervorgebracht, die jedes Jahr Millionen verdienen, indem sie zwischen 30 und 50 Prozent der Entschädigungen für Fluggäste einbehalten, und die nun dafür eintreten, dass Fluggesellschaften nicht die Zeit haben, Fluggäste an ihr Ziel zu bringen".
Wie argumentieren Verbraucherschützer gegen die von den Airlines gewollte Reform?
Nach Angaben des Verbraucherzentrale-Bundesverbands würden mit dem Vorschlag der EU-Kommission 85 Prozent der Reisenden ihren Anspruch auf Entschädigung verlieren. Im vergangenen Jahr wären das in der EU fast acht Millionen Fluggäste gewesen. Auch bei den anderen Plänen vom EU-Parlament und vom Rat der Europäischen Union würden zahlreiche Fluggäste den Anspruch verlieren.

André Duderstaedt, Mobilitätsexperte des Verbraucherzentrale-Bundesverbands
"Es sind dann einfach ganz, ganz viele Reisende, die dann einfach Pech haben", sagt André Duderstaedt, Mobilitätsexperte des Verbraucherzentrale-Bundesverbands, dem WDR. Statt das Niveau der Entschädigungen einzuschränken, solle man es ausbauen, fordert der Verband.
Das Argument der Airlines, dass die von ihnen gewollte Reform den Reisenden zugutekomme, mag Duderstaedt nicht akzeptieren. Die Airlines seien dafür verantwortlich, dass die Flüge auch tatsächlich zustande kommen.
Ein Reisender setzt sich ja nicht ins Flugzeug und fliegt zum Spaß von A nach B, sondern der hat einen Plan. Und wenn der Plan durchkreut wird, dann muss das halt eine Konsequenz haben.
André Duderstaedt, Verbraucherzentrale-Bundesverband
Das Argument der Airlines, dass sie im Falle einer Störung mehr Zeit bräuchten, um ein anderes Flugzeug mit Crew zu beschaffen, lässt Duderstaedt nicht gelten. "Dann haben die in meinen Augen im Vorfeld schon falsch geplant." Statt höherer Schwellen für Entschädigungen bräuchten die Airlines einen Plan B: eine Flugzeug-Flotte mit entsprechenden Reserven, entsprechendes Personal oder auch ein entsprechendes Servicenetz zur schnellen Reparatur von Fliegern.
Wann kommt es zur Reform der Fluggastrechte?
Wann und ob es zu einer Reform kommt, ist noch offen. Selbst wenn sich die EU-Staaten bei weiteren Verhandlungen doch noch auf einen Reformplan verständigen sollten, müsste zunächst mit dem EU-Parlament verhandelt werden. Diese Gespräche dürften aber erst im Herbst weiter an Fahrt aufnehmen.
Hinweis der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Beitrags hieß es, dass mit dem Reformvorschlag der EU-Kommission im vergangenen Jahr "mehr als neun Millionen Fluggäste" den Anspruch auf Entschädigung verloren hätten. Richtig ist: Dies ist die Gesamtzahl aller Fluggäste in dem Jahr mit Anspruch auf Entschädigung - verloren hätten den Anspruch fast acht Millionen. Wir haben den Fehler korrigiert.
Unsere Quellen:
- WDR-Interview mit Joachim Lang Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft
- André Duderstaedt, Mobilitätsexperte des Verbraucherzentrale-Bundesverbands
- Stellungnahme der Lobby-Organisation Airlines for Europe (A4E9) auf WDR-Anfrage
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
Über dieses Thema berichten wir am 05.06.2025 auch im WDR Fernsehen: Aktuelle Stunde, 18.45 Uhr.