
Sachsen Chemnitz: Figurentheater nimmt sich schmerzhafte Familiengeschichte vor
Das Figurentheater Chemnitz hat für seine Inszenierung "Versuch über meinen Großvater" einen besonderen Ansatz gewählt. Denn den Großvater, dessen Leben in der Zeit des Nationalsozialismus hier unter die Lupe genommen wird, hat es wirklich gegeben. Es ist der von Gundula Hoffmann. Sie ist die Direktorin des Figurentheaters und wirkt im Stück mit. Es feiert am Donnerstag seine Premiere.
- Mit "Versuch über meinen Großvater" blickt das Figurentheater auf eine Familiengeschichte mit dunkler Vergangenheit.
- Das Stück thematisiert die ganz persönliche Geschichte des Großvaters einer Darstellerin und seine Rolle im Nationalsozialismus.
- Ein besonderer Clou: Eine der Puppen wird teilweise von drei Puppenspielern gleichzeitig bewegt.
Gundula Hoffmann spricht von einer Reise in die eigene Vergangenheit ihrer Familie, auf die sich da begeben hat. Auf dieser Reise begleiten sie ihre beiden Mitspieler Arne von Dorsten und Jakob Ferdinand Lenk sowie die Autorin und Regisseurin Karen Breece. Die in Deutschland lebende Amerikanerin ist auf diese Art dokumentarisch-politisches Theater spezialisiert, das auf intensiven Recherchen und Gesprächen basiert.
Risikoreiche Reise in die Familien-Biografie
Bislang hat Breece das an großen Bühnen wie dem Berliner Ensemble, der Schaubühne am Lehniner Platz, am Volkstheater in Wien oder den Münchner Kammerspielen getan. Nun ist sie das erste mal in Chemnitz mit Menschen und Puppen unterwegs auf dieser Reise. Das europäische Kulturhauptstadtjahr macht es möglich.
Konkret geht es um das Leben des Großvaters von Gundula Hoffmann in den 1940er-Jahren. Der aus dem Sudetenland stammende Mann war in Reichenberg, dem heutigen Liberec, ein sehr beliebter Arzt. 1942 wurde er als sogenannter "Seuchenarzt" ins galizische Lemberg versetzt – ein Zentrum jüdischen Lebens, dass die Nazis zu einem Ghetto umfunktionierten.
Was auch immer der Großvater dort getan hat – nach dem Krieg wurde er verhaftet, es gab offenbar einen Gerichtsprozess – war später kein Thema in der Familie. Darüber sprach man nicht. Und das hatte offensichtlich seine Wirkung. Eine, die bis in die Enkelgeneration nachhalt. Hier setzt die Inszenierung an, in der Fragen gestellt werden, die bislang unbeantwortet blieben und auch nicht schlussendlich geklärt werden können.

Das Stück "Versuch über meinen Großvater" wagt einen Blick in einen dunklen Teil der Geschichte.
Der lange Schatten des Nationalsozialismus
Vor allem Gundula Hoffmann ist wichtig, dass es dabei niemals darum ging, hier nachträglich jemanden zu verurteilen, sondern herauszubekommen, was das damalige Tun in dunkler Zeit mit dem eigenen Sein im hier und heute zu tun haben könnte: "Es ist keine Nabelschau in eigener Sache. Uns geht es um das Exemplarische, das für eine ganze Generation steht", erklärt die Puppenspielerin.
Es ist keine Nabelschau in eigener Sache. Uns geht es um das Exemplarische, das für eine ganze Generation steht. |
Es werden Fragen gestellt, die der Enkelgeneration vielleicht nicht leichter in den Sinn kommen, aber lockerer über die Lippen gehen, als es der vom Krieg unmittelbar traumatisierten Elterngeneration möglich war. Für diese Kriegsgeneration steht im Stück speziell der Onkel von Gundula Hoffman.

Drei Puppenspieler und -spielerinnen stehen zusammen mit den lebensechten Puppen auf der Bühne.
Der Clou: Eine Puppe, drei Puppenspieler
Die vierte lebensechte, stumme, aber im Zusammenspiel des kleinen Chemnitzer Teams umso beredtere Puppe, wird meist von zwei, mitunter auch von allen drei Puppenspielern gespielt. "Ich vergleiche das immer mit dem Tanz, dass jeder voneinander wissen muss, welche Bewegung er ausführt, dass wirklich eine Figur daraus entsteht, ohne, dass man sich immer absprechen muss", erklärt Hoffmann.
Das komplexe Zusammenspiel ist für sie und ihre beiden Kollegen im Endeffekt technisch kein Problem und ein echter Hingucker der Inszenierung. Mit dem Stück hatte aber speziell Gundula Hoffmann dann aber doch so ihre Probleme: Denn so viel persönliche Nähe hat sie in noch keiner ihrer bisherigen Arbeiten verspürt.

Ein besonderer Kniff: Der "Onkel" wird teils von allen drei Darstellern gleichzeitig gespielt.
Kein Wunder also, dass sie wegen dieses zusätzlichen Lampenfieber-Faktors ihre Eltern gebeten hat, nicht zur Premiere zu kommen. Danach aber, das hat sie ihrer gesamten Familie geschrieben, können alle kommen, wenn auch sie sich mit dieser Geschichte auseinandersetzen wollen – einer Geschichte, die der Puppenspielerin vielleicht ja so etwas wie die Rolle ihres Lebens beschert hat.
Zum Aufklappen: Mehr Informationen zum Stück
"Versuch über meinen Großvater"
Premiere am 17. April um 18 Uhr
Weitere Termine
30. April 2025
18. Mai 2025
24. Mai 2025
7. Juni 2025
Adresse
Spinnbau - Figurentheater
Altchemnitzer Str. 27
09120 Chemnitz
Redaktionelle Bearbeitung: tis