
Sachsen Pilotprojekt für neues Unterrichtsfach läuft seit Herbst
Achtklässler in Lengenfeld im Vogtland haben seit Herbst das Unterrichtsfach "Grundlagen der industriellen Produktion" im Stundenplan. Sie sind mit im Praxis-Betrieb und können schon einmal in verschiedene Berufe hineinschnuppern. Das Pilotprojekt ist zunächst für ein Jahr angesetzt. Wie läuft es?
"Grundlagen der industriellen Produktion" als Unterrichtsfach
Die drei achten Klassen der Gotthold-Ephraim-Lessing-Oberschule im sächsischen Lengenfeld haben seit diesem Schuljahr das Fach "Grundlagen der industriellen Produktion" auf dem Lehrplan. Zweimal pro Woche tauchen sie seit Herbst praktisch ein in die Betriebswelt beim Betonsteinformenbauer Kobra. "Damit sind wir Teil eines Pilotprojektes, welches vom Kultusministerium und verschiedenen sächsischen Industrieunternehmen ins Leben gerufen wurde", erklärt das Unternehmen aus dem Vogtland auf seiner Homepage.
Der Betonsteinformenbauer Kobra ist ein mittelständisches Unternehmen mit 400 Beschäftigten. Dort werden Formen produziert, mit deren Hilfe Betonsteine gepresst werden. Die Schüler und Schülerinnen erhalten Einblicke in die Abläufe von der IT über Einkauf, Planung, bis zu Finanzbuchhaltung und Versand. Sie montieren ganz praktisch im Rahmen der Unterrichtseinheiten etwa ein Industriewerkzeug, mit dem später Gehwegplatten aus Beton gepresst werden sollen. Ausbilder Michael Reißmann unterweist die Schüler und Schülerinnen im praktischen Bereich. "Initiative ist es, den Schülern einen tieferen Einblick in MINT-Bereiche (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) zu geben und damit das Interesse vor allem an technischen Berufen zu wecken", so das Unternehmen auf seiner Homepage.

Julia Wild vermittelt Wissen über die Arbeitsprozesse und die Produkte im Theorie-Bereich.
Schüler lernen Berufe und Unternehmen vor Ort kennen
Während die Jugendlichen in die Berufswelt schnuppern können, hat auch der Betrieb die Möglichkeit, sich direkt mit seiner Palette an Einsatzmöglichkeiten bei ihnen vorzustellen. "Wir haben Bedarf an Fachkräften. Zerspannungsmechaniker und Konstruktionsmechaniker werden bei uns immer gebraucht", sagt Ausbilder Reißmann dem MDR-Magazin Umschau. Das Unternehmen hat sieben Niederlassungen im Ausland und Kunden weltweit.
"Das Interesse an technischen Berufen geht immer weiter zurück. Das ist für uns ein Weg zu sagen: Wir versuchen mal, das wieder zu wecken", erklärt Ausbilderin Julia Wild. Sie gibt den Schülern Theorie-Unterricht und vermittelt dabei Grundkenntnisse über die Struktur des Unternehmens und seine Produkte.
Wie kommt das Unterrichtsfach zur Berufsorientierung bei den Schülern und Schülerinnen an? "Eine Ausbildung zu machen, das wäre ja erstmal wichtig. Das kann ich mir eigentlich auch vorstellen, weil es auch in der Nähe ist", sagt einer der Schüler, der am Pilotprojekt teilnimmt. "Wir haben ja jetzt noch zwei Jahre Zeit bis zum Abschluss. Bis dahin können wir uns ja nochmal überlegen, in welche Richtung es gehen soll", erklärt ein weiterer.
"Produktive Arbeit" als Unterrichtsfach auch auf dem DDR-Schulplan
"Produktive Arbeit" in Betrieben gab es bereits auf dem DDR-Schulplan als Unterrichtsfach. Ab Klasse sieben ging es in die Produktion im Bauwesen, der Landwirtschaft und der Industrie. Es wurde nicht für die Tonne gewerkelt, sondern, was produziert wurde, kam auch in den Handel. Die Palette reichte von Schukosteckern bis zu gusseisernen Pfannen. Nach der Wende wurde dieses Schulfach abgeschafft. Ein Großteil der Betriebe existierte ohnehin nicht mehr. Angesichts des heutigen Fachkräftemangels bekommt das Konzept wieder mehr Befürworter.

Holger Stichel ist geschäftsführender Gesellschafter beim Unternehmen Kobra.
Startschwierigkeiten bei Pilotprojekt
Das Kultusministerium von Sachsen erklärt auf MDR-Anfrage, das der Autozulieferer Scherdel in Marienberg in einem weiteren Pilotprojekt Schüler und Schülerinnen der achten Klasse im Fach "Grundlagen in der industriellen Produktion" unterrichtet. "Sachsenmetall und die Firma Scherdel sind mit der Idee und dem Konzept auf uns zugekommen. Wir haben es unterstützt und versuchen es, in die Breite zu tragen", heißt es in der schriftlichen Antwort. Das Projekt sei aber "mit einem gewissen personellen Aufwand für die Unternehmen verbunden." Daher sei es schwierig, "Firmen für eine solche Kooperation zu gewinnen."
Wie das Unternehmen Kobra dem MDR-Magazin Umschau schildert, gab es bei der Umsetzung Startschwierigkeiten. "Die Schwierigkeit war wirklich, dass man im Kultusministerium ganz oben uns nicht richtig hören wollte, weil es nicht klar war, ob man es darf, soll und tun sollte. Von der Versicherungspflicht angefangen bis hin zu solchen Sachen: Was ist denn mit dem Schulweg und was ist hier im Betrieb?", erzählt der geschäftsführende Gesellschafter Stichel. Die Klärung der bürokratischen Fragen habe mehrere Jahre gedauert.
Nicht nur Theorie-Wissen aus der Schule gebraucht
Dass Schule allein genug auf das Berufsleben vorbereitet, wurde von einem Großteil der Teilnehmern einer Umfrage von mdrFRAGT in Zweifel gezogen: Nur zwölf Prozent meinten, Schulunterricht bereite eher gut auf die berufliche Zukunft vor. 81 Prozent sahen das nicht so. 19.000 Nutzer und Nutzerinnen hatten sich daran in diesem Frühjahr beteiligt.
Der Betonsteinformenbauer Kobra in Lengenfeld will hier seit letztem Herbst mit den Schülern und Schülerinnnen der achten Klassen der Gotthold-Ephraim-Lessing-Oberschule Praxisarbeit leisten. "Wir versprechen uns davon, dass die Jugend in der schulischen Ausbildung besser praktisch auf ihr Berufsleben vorbereitet wird, egal welchen beruflichen Weg sie einschlagen", erklärt Stichel.
MDR (cbr)