Frisch gebackene Brote in einer Bäckerei.

Bäckerslüüd in Eutin: Aus Familienunternehmen wird Genossenschaft

Stand: 23.06.2025 13:37 Uhr

Die Bäckerei Bäckerslüüd in Eutin ist seit 2025 kein Familienunternehmen mehr, sondern eine Genossenschaft. Ein seltenes Geschäftsmodell in Deutschland. Könnte es ein nachhaltiges Zukunftsmodell für andere Betriebe sein?

Von Inessa Baur

Jana Klausberger steht frühmorgens in der Backstube, bereitet Törtchen vor, backt Brote und verrät: "Ich bin sehr gerne Bäckerin. Man sieht jeden Tag, was man geschafft hat und trägt zur Ernährung einer Kleinstadt bei - und das ist ein sehr schönes Gefühl." Ihr Großvater gründete den Betrieb Stadtbäckerei Klausberger 1978 in Eutin (Kreis Ostholstein), ihre Eltern übernahmen ihn in den 1990er-Jahren. Und auch Jana entschied sich erst nach einigen Jahren Studium in Berlin doch noch für das Handwerk und den Betrieb der Eltern - allerdings unter einer Bedingung.

Verantwortung soll auf mehreren Schultern liegen

Jana Klausberger wollte die Verantwortung für den Betrieb nicht allein tragen: "Mein Partner kommt aus Frankreich und hat mich auf die Idee gebracht, eine Genossenschaft zu gründen. Dort ist das viel verbreiteter als hier." Seit April 2025 ist Bäckerslüüd - Kollektivbäckerei Eutin eine offiziell eingetragene Genossenschaft. Heute zählt der Betrieb 65 Mitglieder, darunter nicht nur Mitarbeitende, sondern auch Kunden wie Christian Grantz.

Ich freue mich, dass es diese kleine Bäckerei in Eutin noch gibt, bei all der Konkurrenz der größeren Ketten. Das finde ich mutig und unterstützenswert.
Christian Grantz, Genosse bei Bäckerslüüd

Kleine und mittlere Bäckereien sind meist inhabergeführt - oft als Einzelunternehmen oder in Familienhand. Eine oder wenige Personen tragen hier das gesamte unternehmerische Risiko: Sie haften für Investitionen, sorgen für die Finanzierung und treffen alle strategischen Entscheidungen selbst. Große Ketten sind oft als GmbH organisiert und zentral gesteuert.

Genossenschaftliche Betriebe sind in Deutschland selten

Die Bäckerei ist einer von nur drei genossenschaftlich geführten Handwerksbetrieben dieser Art in Deutschland. Laut der Handwerkskammer Lübeck ist Bäckerslüüd mit ihrem Genossenschaftsmodell einmalig in Schleswig-Holstein - unter mehr als 200 eingetragenen Bäckereien. "Solche alternativen Modelle können helfen, strukturellen Herausforderungen zu begegnen", heißt es von der Kammer. Besonders dann, wenn es keine familiäre Nachfolge gibt.

Zahl der Bäckereien rückläufig

Doch die Gründung sei deutlich anstrengender als bei herkömmlichen Betrieben. Deshalb brauche es gesetzliche Erleichterungen, gerade für kleine Handwerksunternehmen, betont die Kammer. Jana Klausberger kann das bestätigen: "Die Gründung war sehr aufwendig und langwierig." Tatsächlich ist die Zahl der Bäckereien seit Jahren rückläufig: 2015 waren es in Schleswig-Holstein noch 291 Betriebe, 2024 nur noch 211. Ein Hauptgrund: Fachkräftemangel, hohe Energiekosten und fehlende Nachfolge. Bundesweit gibt es laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks heute nur noch 8.912 Betriebe - 2014 waren es mehr als 12.600.

Bei Genossenschaft herrscht Demokratie in der Backstube

Die Idee hinter der Genossenschaft: Niemand trägt das unternehmerische Risiko allein. Entscheidungen treffen die Anteilsinhaber. Der Anreiz ist dabei nicht finanziell, sondern ideell: Wer Mitglied wird, unterstützt ein lokales Handwerksunternehmen und kann im Rahmen der Versammlungen auch mitbestimmen, wohin sich der Betrieb entwickelt. "Wir haben keine Eigentümer, die Dividenden bekommen. Alle Gewinne werden in die Bäckerei investiert - in neue Technik, in Renovierungen, in Gehaltserhöhungen," erklärt Jana Klausberger.

Auch Geschäftsführer sind angestellt

Auch Klausberger und ihr Partner, die beiden Geschäftsführer, sind angestellt wie alle anderen. Jede und jeder in der Genossenschaft hat eine Stimme, unabhängig vom eingebrachten Kapital. Beschlüsse werden im Konsens getroffen: Alle Mitglieder werden angehört. Wer Einwände hat, muss dies begründen und eine Alternative vorschlagen. Zweimal im Jahr trifft sich die Genossenschaft, viermal im Jahr tagt der Aufsichtsrat.

Organisches Wachstum: Neue Mitglieder kommen von alleine

Nicht alle Mitarbeitenden sind auch Genossen. Aber neue Mitglieder findet Bäckerslüüd bisher ohne großen Aufwand. Viele kommen aus dem Umfeld der Bäckerei: langjährige Stammkunden, Freunde oder Bekannte, die die Werte des Betriebs teilen. "Das passiert bei uns bisher organisch", sagt Jana. "Viele hören davon, finden das Konzept gut und wollen mitmachen. Auch über Eutin hinaus." Die Genossenschaft wächst dadurch in einem Tempo, das persönliche Beziehungen und direkte Kommunikation ermöglicht. "Auch in schwierigen Phasen gibt einem das neue Energie und das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein."

Ein Modell für die Zukunft?

Wenn viele Leute an einem Tisch sitzen und gemeinsam versuchen, eine Lösung zu finden, dauert es vielleicht länger. "Aber es führt zu einer zukunftsfähigen Lösung", sagt Jana. "Ich finde, wir müssen Demokratie im Alltag üben. Und wir machen das dann eben im Kleinen, in dieser Bäckerei: miteinander reden, Dinge miteinander aushandeln, verschiedene Meinungen zueinanderbringen - das finde ich gesamtgesellschaftlich total wichtig."

Eine Frau arbeitet in der Bäckerei und lächelt in die Kamera.

Bäckerin Jana Klausberger wandelte ihren Familienbetrieb in eine Genossenschaft um.

Auch für Angelika Utz, die seit Jahrzehnten im Betrieb als Bäckereifachverkäuferin arbeitet, ist das neue Modell eine Erleichterung. "Jetzt als Genossin Mitspracherecht zu haben und informiert zu sein, ist natürlich toll. Sonst stand man ja nur hinter dem Geschehen, jetzt ist man mit dabei. Das gibt ein sicheres Gefühl."

Strukturwandel gemeinsam gestalten

Bäckerslüüd verarbeitet drei Tonnen Mehl pro Woche und ist die einzige handwerkliche Bäckerei in Eutin. Anders als Filial- oder Industriebäckereien stellt sie ihre Backwaren noch vollständig selbst her - mit traditionellem Handwerk und regionalen Zutaten. Dass es die Bäckerei weiter gibt, ist kein Selbstverständnis. "Eutin ist unser Anker. Wir wollen weder stark wachsen noch uns verkleinern, sondern als handwerkliche Bäckerei vor Ort verwurzelt bleiben. Gerade in Kleinstädten sind Bäckereien wichtige Orte - für Begegnungen, für Erinnerungen und für ein Stück Alltag, das verbindet", antwortet Jana, wenn sie über die Zukunft nachdenkt.

Die Form der Genossenschaft ist ein Modell, das auf Beteiligung statt Gewinnmaximierung setzt. Das könnte vielleicht in Zukunft für andere Regionen Vorbild sein - wenn die politischen Rahmenbedingungen stimmen.

Hinweis der Redaktion: In einer vorherigen Version hieß es, dass drei Tonnen Mehl pro Jahr bei Bäckerslüüd verarbeitet werden. Das ist falsch. Es sind drei Tonnen Mehl pro Woche.

Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen

Dieses Thema im Programm: NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 17.06.2025 | 19:30 Uhr