
Schleswig-Holstein 20 Prozent mehr rassistische und antisemitische Gewalttaten in SH
Seit 2017 zählt der Verein Zebra rassistische, antisemitische und andere rechtsextreme Gewalttaten in Schleswig-Holstein. Im vergangenen Jahr registrierte der Verein so viele Taten wie noch nie.
Eine Familie wird ein Jahr lang vom Nachbarn rassistisch schikaniert, schließlich droht der Nachbar der Mutter - im Beisein ihrer Kinder - mit dem Tod. Ein Fall von vielen, den das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) dokumentiert hat. Rassistische, antisemitische oder andere rechtsextreme Angriffe nehmen demnach zu in Schleswig-Holstein - und zwar um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Viele Angriffe in SH rassistisch motiviert
164 Gewalttaten, von denen mindestens 263 Menschen betroffen waren, registrierte das Zentrum nach eigenen Angaben 2024 im Norden. 2023 waren es 136 Vorfälle. 75 Prozent der Angriffe waren laut Zentrum rassistisch motiviert. Danach kämen politisch motivierte Angriffe, gefolgt von antisemitischen und queerfeindlichen Gewalttaten. "Die Zahlen, die wir präsentieren ist nur die Spitze des Eisbergs. Wir müssen nach wie vor non einem hohen Dunkelfeld ausgehen", sagte Zebra-Berater Felix Fischer bei der Vorstellung der Zahlen am Donnerstag.
Betroffene werden vom Zentrum beraten
Unter den Angegriffenen waren demnach auch viele Kinder und Jugendliche. Im letzten Jahr seien es 57 gewesen - 19 mehr als 2023. "Das sind sowohl Fälle, wo die Eltern angegriffen werden und die Kinder dabei sind und diese Angriffe erleben, aber auch Fälle wo Kinder und Jugendliche ganz direkt angegriffen werden, wo sie selber bedroht werden", so Berater Fischer. "Weil sie in so einem jungen, vulnerablen Alter sind kann das natürlich schwerwiegende Folgen für ihr weiteres Leben haben", so der Berater.
Fast die Hälte aller Angriffe waren laut Zebra körperlich. Außerdem habe das Zentrum "im vergangenen Jahr in 24 neuen Fällen von Bedrohungen und Nötigung beraten - doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor", bilanzierte Fischer.
Zebra beobachtet verschärften rassistischen Diskurs
Der Grund für die Zunahme ist nach Einschätzung der Zebra-Berater ein verschärfter rassistischer Diskurs in der Öffentlichkeit. "Auch im Wahlkampf haben Themen wie Migration oder Abschiebung des öffentlichen Diskurs massiv dominiert", sagt Felix Fischer. Rassistische Stereotype würden in allen Teilen der Gesellschaft diskutiert. "Das kommt bei Tätern und Täterinnen an, die sich darin bestätigt fühlen, ihre rassistische Ideologe dann auch auf der Straße mit Gewalt umzusetzen."
Meiste Angriffe im Kreis Pinneberg
Die meisten Angriffe registrierte das Zentrum im Kreis Pinneberg (27), in Kiel (25) und Lübeck (21). Im Kreis Stormarn wurden mit 18 Gewalttaten mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr registriert (2023: 8). Mehr als die Hälfte aller Angriffe im Kreis Stormarn richtete sich laut Zentrum gegen politische Gegner - seht viele von ihnen, ein Drittel aller Gewalttaten Stormarns, fanden in Bargteheide statt. "Hier deutet sich eine Entwicklung an, die in anderen Bundesländern schon weiter fortgeschritten ist: Die Folgen eines rechten Hegemoniestrebens im ländlichen Raum", schreibt das Zentrum in seinem Bericht, der am Donnerstag (24.4.) in der Landespressekonferenz vorgestellt wurde.
Was die Beratungsstelle damit meint: Rechtsextreme schüchtern durch Gewalt auf der Straße ein, Angegriffene fühlen sich unsicher, schränken ihre Freizeitgestaltung ein, überdenken ihr politisches Engagement - ziehen sich zurück. Hier gerate eine lokale, engagierte Zivilgesellschaft enorm unter Druck, so Fischer.
Beratungsstelle Zebra fordert Unterstützung für Engagierte
Viele Opfer rassistischer Schikane durchleiden laut der Zebra-Berater große Angst. So berichtet das Zentrum, dass die eingangs beschriebene Familie gerne umziehen wollte, aber keine Wohnung fand - und so in ständiger Angst vor ihrem Nachbarn zuhause lebt.
Hilfe für Menschen mit wenig Deutschkenntnissen notwendig
Grundsätzlich fehle es an Helfern und Dolmetschern, die Menschen mit wenig Deutschkenntnissen zum Beispiel beim Arztbesuch unterstützen, kritisiert die Beratungsstelle. Und: "Betroffenen und alle Engagierten, die sich für eine lebendige Demokratie und gegen die extreme Rechte einsetzen, dürfen nicht alleine gelassen werden", fordert das Zentrum.
SPD: Angeheizte Rhetorik
"Mich erschreckt der erneute Anstieg der Zahlen, überrascht bin ich leider nicht", sagte der Sprecher der SPD-Landtagsfraktion für innere Sicherheit und Rechtsextremismus, Niclas Dürbrook. "Einer immer weiter angeheizten Rhetorik von rechts folgen über kurz oder lang auch handfeste Straftaten." Der Staat müsse konsequent durchgreifen, so Dürbrook.
CDU: Es geht gegen demokratischen Konsens
Die Zahlen seien "Mahnung und Auftrag zugleich", sagte die extremismuspolitische Sprecherin der CDU Marion Schiefer. "Jeder dieser Angriffe richtet sich nicht nur gegen den oder die Betroffenen, sondern gegen unseren fundamentalen demokratischen Konsens, dass wir in all unserer Unterschiedlichkeit das Recht haben, so zu sein, wie wir sind, so zu sein, wie wir sein wollen", betonte sie.
FDP: Staat muss Taten entgegentreten
Der innen- und rechtspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Bernd Buchholz, bewertet es als "besonders erschreckend" dass unter den Betroffenen oft auch Kinder und Jugendliche sind. "Der Staat muss solchen Taten entschieden entgegentreten", sagte er und betonte, hier seien nicht nur Polizei und Justiz gefragt. "Da geht es im hohen Maße auch um unsere Bildungspolitik, um Medienkompetenz und den generellen gesellschaftlichen Umgang miteinander."
Grüne: Mehr Potenzial für gewaltsame Angriffe
Die vorgelegte Zahlen korrespondierten mit dem stetigen Vordringen der Positionen von Rechtsaußen in immer weitere Teile der Bevölkerung, sagte der innen- und rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jan Kürschner. Dem müsse man entgegentreten. "Das passiert aber nicht, wenn AfD-Kandidat*innen zu Vorsitzenden von Parlamentsausschüssen gewählt werden", schreibt er in einer Mitteilung. Wo rechtsextreme Positionen im demokratischen System Fuß fassen, erhöhe sich das Potenzial für gewaltsame Angriffe.
SSW: AfD ist Teil des Problems
Die innenpolitische Sprecherin der SSW-Landtagsfraktion, Sybilla Nitsch, sieht als treibende Kraft hinter dieser Entwicklung nicht nur rechte Netzwerke, sondern auch Parteien wie die AfD, "die Vorurteile gegen Ausländer und Zugewanderte schüren, Rassismus verharmlosen und daraus folgende Taten zumindest in Kauf nehmen." Nitsch betonte: "Für rechte Gewalt, Bedrohungen politischer Gegner und Antisemitismus darf in unserem Land kein Platz sein."
Was ist Zebra?
Zebra erfasst seit 2017 rechtsextreme, antisemitische und rassistische Angriffe in Schleswig-Holstein. Dafür sichten die Mitarbeiter täglich lokale und überregionale Zeitungen und soziale Netzwerke und Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden. Anschließend recherchieren sie die gefundenen Fälle nach und gleichen ihre erfassten Fälle mit der polizeilichen Kriminalstatistik ab. Außerdem tauschen die Zebra-Mitarbeiter sich regelmäßig mit verschiedenen Netzwerken und ehemaligen Betroffenen aus.
Die Statistik von Zebra umfasst Körperverletzungsdelikte, Tötungsdelikte, Brandstiftung, massive sowie wiederholte Sachbeschädigung, Nötigung und Bedrohung, wenn sie den Straftatbestand erfüllen oder wenn sie massive Auswirkungen für die Betroffenen haben. Es werden nur Taten mit rechtextremen, antisemitischen oder rassistischen Motiven ins Monitoring aufgenommen. Ein Ziel des Vereins ist es, die Betroffenenperspektive zu stärken.
Der Verein wird gefördert vom Bundesprogramm "Demokratie leben" und vom Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung. Der Verein bietet psychosoziale und rechtliche Beratung an und begleitet auch zu Polizei und Gerichten.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 24.04.2025 | 13:00 Uhr