
Schleswig-Holstein Experte aus SH: Rechte Gewalt ist Angriff auf freie Gesellschaft
Rechtsextreme Angriffe sind, laut Berater Felix Fischer, auch Botschaftstaten, die sich an das Umfeld der Betroffenen richten und vermitteln sollen, dass es jeden erwischen kann.
Rassistische, antisemitische oder andere rechtsextreme Angriffe nehmen zu in Schleswig-Holstein - um 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das sagt das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe, kurz Zebra. Demnach gab es 2024 insgesamt 164 Gewalttaten. Felix Fischer ist Berater bei Zebra - und hat täglich mit Betroffenen zu tun. Im Interview mit NDR Schleswig-Holstein erzählt er, was Angriffe mit Betroffenen machen, welche gesellschaftlichen Entwicklungen er beobachtet und was er sich von Politik und Gesellschaft wünscht.
NDR SH: Wie haben sich die von ihren erfassten Fälle über die Jahre hinweg entwickelt?
Felix Fischer: Wir machen dieses Monitoring seit 2017. Und in fast in jedem Jahr gab es einen Anstieg an rechten Gewalttaten, die von uns dokumentiert wurden. Auch im vergangenen Jahr 2024 gab es wieder einen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr - um rund 20 Prozent.
Sind die Zahlen eine Überraschung für Sie?
Fischer: Es schockiert mich jedes Jahr aufs Neue. Gerade weil wir in den letzten Jahren immer einen Anstieg in den dokumentierten Zahlen feststellen mussten. Es überrascht mich allerdings nicht, weil wir auch die Entwicklungen wahrnehmen, die ganz deutlich zeigen, in welche Richtung wir uns im Diskurs bewegen. Und das hat natürlich auch Folgen in der Gewalt auf der Straße. Gleichzeitig sehe ich, dass unsere Beratungsanfragen deutlich steigen. Somit ist es auch kein Wunder, dass die von uns dokumentierten Vorfälle steigen.
Wie werden die Menschen, denen Sie helfen, auf Zebra aufmerksam?
Fischer: Die Menschen kommen auf ganz verschiedenen Wegen zu uns. Auf der einen Seite, indem wir proaktiv auf sie zugehen. Das heißt, wir machen eine tägliche Presseauswertung. Da schauen wir: Was könnten rechte Angriffe sein? Wir recherchieren diese Fälle aus und versuchen, Kontakt zu den Betroffenen herzustellen. Einerseits um zu klären, ob es sich dabei um einen rechten Angriff gehandelt hat. Und andererseits, um ihnen ein Beratungsangebot zu unterbreiten. Wir haben über die Jahre gesehen, dass die Menschen gar nicht wissen, dass es uns gibt, wenn wir nur im Büro sitzen. Deswegen versuchen wir, auf sie zuzugehen.
Mit was für Problemen kommen die Menschen in die Beratung?
Fischer: Da geht die Bandbreite von Bedrohungen, häufig auch mit Morddrohungen verbunden, über in einfache Körperverletzungsdelikte bis hin zu gefährlichen Körperverletzungsdelikten oder schweren Körperverletzungen. Wobei das tatsächlich die Ausnahme ist. Die Folgen für die Betroffenen sind so unterschiedlich wie die Taten, weil die Menschen eben auch so individuell sind.
Welche Menschen kommen zu Ihnen in die Beratung?
Fischer: Ungefähr drei Viertel der von uns registrierten Gewalttaten 2024 hatten mit Rassismus zu tun. Also haben wir Geflüchtete in der Beratung sitzen. Das können aber auch Menschen sein, die hier geboren sind, denen aber aufgrund der Herkunft ihrer Eltern rassistische Vorurteile entgegengebracht werden. Die zweitgrößte betroffenen Gruppe, die wir in unserem Monitoring festgestellt haben, ist die Gruppe der politischen Gegnerinnen und -gegner. Dazu zählen beispielsweise Menschen, die sich gegen die extreme Rechte engagieren. Aber auch Kommunalpolitikerinnen und -politiker oder Sozialarbeiterinnen und -arbeiter geraten aufgrund ihrer Arbeit in das Blickfeld von rechter Gewalt.
Geht es mehr um Gewalt durch Worte oder Gewalt durch Taten?
Fischer: Es überwiegt die Gewalt durch Taten. Der Großteil der von uns festgestellten rechten Angriffe in Schleswig-Holstein sind nach wie vor Körperverletzungsdelikte. Gleichzeitig steigt in den letzten Jahren auch die Anzahl der Bedrohungen und Nötigungen in Deutschland deutlich. Menschen, die bedroht werden, scheinen aber inzwischen auch öfter zur Polizei zu gehen und kommen dann auch häufiger in unsere Beratung.
Welche Wirkung haben rechtsextreme Angriffe auf die Betroffenen?
Fischer: Rechte Angriffe wirken auf mehreren Ebenen. Einerseits werden die Menschen an sich angegriffen. Aber gleichzeitig sind das Botschaftstaten, die sich an das Umfeld, an die Community der Betroffenen richten. Die Tat sagt, dass es die anderen auch jederzeit erwischen kann. Und nicht zuletzt sind rechte Angriffe auch Angriffe auf eine freie demokratische Gesellschaft. Im schlimmsten Falle wenden sich Menschen, die den rechten Angriff erlebt haben und die Folgen nicht verarbeiten können, von dieser Gesellschaft ab, weil diese Gesellschaft sie nicht vor Gewalt schützen kann. Und unsere Aufgabe ist es, die Menschen in der Verarbeitung so zu unterstützen, dass sie weiterhin an dieser Gesellschaft teilnehmen können.
Was müsste passieren, damit die Zahlen wieder zurückgehen?
Fischer: Aus meiner Sicht braucht es mehr Präventionsarbeit. Es braucht Aufklärung darüber, wie menschenverachtende Ideologien funktionieren, wie sie in allen Teilen der Gesellschaft wirken. Denn wir haben es bei rechten Angriffen und bei rechter Gewalt nicht mit einem Phänomen zu tun, was nur von einer organisierten Rechten ausgeht, sondern von weiten Teilen der Gesellschaft. Genau da muss angesetzt werden: Es müssen Vorurteile abgebaut werden. Meiner Meinung nach muss in der öffentlichen Debatte angesetzt werden und bei den Menschen selbst, dass sie sensibler für Themen wie Rassismus und Antisemitismus werden.
Wie kann Menschen bestärken, sich weiter gegen Rechtsextremismus einzusetzen, wenn sie bedroht werden?
Fischer: Es ist für Menschen, die sich gegen die extreme Rechte hier in Schleswig-Holstein, aber auch bundesweit engagieren, total wichtig, sich darauf vorzubereiten, dass sie möglicherweise rechte Gewalt erleben könnten. Wenn man gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreift, wenn man sich damit beschäftigt: Was kann denn passieren, wenn ich mich aktiv gegen die extreme Rechte einsetze? Dann kann so eine Bedrohung vielleicht nicht völlig aus dem Nichts kommen und die Folgen, die dann eintreten, sind möglicherweise nicht ganz so massiv. Wenn einem die Folgen trotzdem in einem Maße überfordern, dass man selber keinen Umgang damit findet, dann kann man es natürlich jederzeit an uns wenden und wir beraten die Menschen dahingehend, wie sie weiter politisch aktiv sein können, ohne von den Bedrohungen soweit eingeschüchtert zu sein.
Das Interview führte NDR Reporter Tobias Gellert.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 24.04.2025 | 19:30 Uhr