
Thüringen Schwarz-Rot-Gold im Stadtbild: Wehen bald mehr Flaggen in Thüringen?
Auch ohne Fußball-Großereignis könnten schon bald mehr Deutschlandflaggen in Thüringen wehen - etwa vor Schulen und Behörden. In mehreren Landkreisen wird eine dauerhafte Beflaggung diskutiert. Und bald auch im Landtag. Ein Überblick.
Manchmal baumeln sie im Schrebergarten, oft wehen sie vor prächtigen Gebäuden, hin und wieder flattern sie aus Autofenstern. Doch allzu präsent sind schwarz-rot-goldene Flaggen, Fahnen und Fähnchen nicht in Deutschland.
Dies könnte sich ein wenig ändern. Denn sowohl in Landkreisen als auch im Thüringer Landtag spielt das Thema "dauerhafte Beflaggung" plötzlich eine Rolle. Es geht um Behörden, Polizeiinspektionen und um Schulen.
Saale-Orla-Kreis als Vorreiter
Der Saale-Orla-Kreis hat als erster Thüringer Landkreis beschlossen, dass vor den rund 40 öffentlichen Schulen im Verwaltungsgebiet dauerhaft Flaggen wehen sollen. Und zwar vier Stück: die Flagge des Landkreises sowie die Flaggen Thüringens, Deutschlands und Europas.
"Wir sollten zu unseren Nationalsymbolen stehen", sagt Landrat Christian Herrgott (CDU) gerade mit Blick auf die Deutschlandflagge. "Und wir sollten sie keinem überlassen, der sie für eigene Zwecke instrumentalisieren will." Schwarz-Rot-Gold wirke identitätsstiftend und stelle historische Bezüge her.

Landrat Christian Herrgott setzt auf mehr Flaggen im öffentlichen Raum.
Vor den Sommerferien ist mit der Umsetzung nicht zu rechnen. In den kommenden Wochen soll geprüft werden, wo es Fahnenmasten gibt und wo sie nachgerüstet werden müssen. An Schulen, an denen vorerst nur eine Flagge gehisst werden kann, soll es die Deutschlandflagge sein, sagt Herrgott. Zukünftig sollen die anderen hinzukommen. Was wiederum auch von der "Thüringer Verordnung über die Beflaggung öffentlicher Dienstgebäude" abhängig ist. Diese regelt, wo und wann die Thüringenflagge - ein Hoheitszeichen - gehisst werden darf.
Bereits seit einem Jahr wehen vor dem Landratsamt in Schleiz dauerhaft die Flaggen der Europäischen Union, Deutschlands, die Farben Thüringens sowie die Flagge des Kreises. Die Reaktionen auf den Vorstoß, auch hinsichtlich der Schulen, seien grundsätzlich positiv, heißt es aus dem Landratsamt.
Wie sieht es in anderen Thüringer Landkreisen aus?
"Aktuell nimmt die Debatte eine gewisse Fahrt auf", sagt Landrat Herrgott, der auch Präsident des Thüringer Landkreistags ist. In immer mehr Kommunen werde die dauerhafte Beflaggung von Behörden und Schulen diskutiert. Es gebe aber auch Orte, wo es gar kein Thema ist.
Im Landkreis Sömmerda hat der Kreistag kürzlich beschlossen, dass künftig dauerhaft die Flaggen Deutschlands, Europas und des Landkreises vor öffentlichen Gebäuden wehen sollen. Zudem wurde der Landrat laut "Thüringer Allgemeine" damit beauftragt, zu prüfen, ob dies auch an Schulen möglich ist.
Im Landkreis Gotha und im Landkreis Nordhausen werden Dienstgebäude vorerst nicht dauerhaft mit Flaggen ausgestattet. In Nordhausen sagte Landrat Matthias Jendricke (SPD), er sei ausdrücklich dafür und finde so etwas im Ausland immer schön; es zeige Selbstbewusstsein und Nationalstolz. Allerdings sollte man abwarten, bis der Landtag über eine entsprechende Verordnung entschieden hat. In beiden Kreisen hatte die AfD beantragt, an den Gebäuden die schwarz-rot-goldene sowie die Thüringer Flagge zu zeigen.
Im Kreis Greiz sei das Landratsamt seit Kurzem dauerhaft mit den Fahnen der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland, des Freistaates Thüringen und des Landkreises Greiz versehen, erklärte ein Sprecher der Verwaltung. Gleichzeitig sei das historische Wappen des Landratsamts des Fürstentums Reuß wieder angebracht worden. Mit den Maßnahmen zeige der Landkreis "Flagge für Europa, Deutschland, Thüringen und für die Heimat."
Die kreisfreien Städte Erfurt und Jena sowie die Landkreise Schmalkalden-Meiningen und Eichsfeld folgten der Vorgabe der aktuellen Thüringer Flaggenverordnung, teilten Sprecher mit. Diese sieht keine dauerhafte Beflaggung vor. Im Erfurter Stadtrat wurde ein von der AfD eingebrachter Antrag zur Dauerbeflaggung abgelehnt.

Nicht an jedem Fahnenmast hängen immer Fahnen oder Flaggen.
Was sagen Jugendliche zu Schwarz-Rot-Gold vor Schulen?
Dass die Deutschlandflagge oder weitere Fahnen möglicherweise künftig dauerhaft vor manchen Schulen wehen könnte, sei bisher kein großes Thema gewesen, heißt es von der Landesschülervertretung Thüringen. Generell gebe es auch innerhalb des Gremiums unterschiedliche Meinungen dazu.
Es sei nachvollziehbar, dass viele glücklich über ihre deutsche Herkunft seien und diesen Stolz auch zeigen möchten. Andererseits sollte man "in einer Zeit des stark aufstrebenden Rassismus vorsichtig sein mit Deutschlandflaggen vor Schulen, da diese auch für Migranten ein Ort der Integration und des Wohlfühlens sein sollen" - und die Deutschlandflagge werde aktuell von vielen mit rechtsextremistischen Parteien in Verbindung gebracht.
Eine Flaggen-Kombination aus Region, Land, Staat und Europa würde Einheit und Zusammenhalt besser vermitteln.
"Unser Vorschlag wäre, die Schulen selbst entscheiden zu lassen, ob sie Flaggen hissen wollen", sagt eine Sprecherin der Landesschülervertretung. Dabei könnten auch die Schüler oder die Schulkonferenz mit einbezogen werden.
In jedem Fall sei eine stärkere Aufarbeitung des Themas in der Schule "absolut wünschenswert". Im Geschichts- und Sozialkundeunterricht würde zwar über Nationalsymbole und Flaggen gesprochen, "aber oft wird das Thema nicht tiefgründig genug behandelt". Im Sinne eines besseren Verständnis der eigenen Geschichte und der damit einhergehende Verantwortung sollte das Thema "unbedingt behandelt und gern auch lebhaft diskutiert werden".
Dieses Anliegen hat auch der Thüringer Landkreistagspräsident Herrgott. In seinem Landkreis möchte er die Schulleiter dazu anregen, die Flaggen-Diskussion in den Unterricht einzubringen. "Ob und wie dies geschieht, obliegt allerdings den Schulen."
Wer soll die Flaggen vor Schulen hissen?
Der Hausmeister dürfte derjenige sein, der die Flaggen vor Schulen hissen wird. So ist es jedenfalls im Saale-Orla-Kreis angedacht. Aber nicht täglich, sondern im besten Fall einmalig. Kritiker, die schon von einem Fahnenappell wie zu DDR-Zeiten witzeln, beruhigt Landrat Herrgott: "Die Fahnen sollen dauerhaft wehen und nicht täglich neu gesetzt werden." Bei Sturm oder Unwetter müsse dann spontan entschieden werden. "Alles soll lebenspraktisch gelöst werden."
Flaggen-Streit auch Thema im Landtag
Auch im Thüringer Landtag ist ein Streit um das Hissen von Flaggen vor staatlichen Gebäuden entbrannt. Die Regierungsfraktionen von CDU, BSW und SPD und auch die AfD wollen dazu in der nächsten Plenarsitzung am Mittwoch, 18. Juni, einen Antrag beziehungsweise einen Gesetzentwurf einbringen.
CDU-Fraktionschef Andreas Bühl erklärte, die Beflaggung öffentlicher Gebäude sei mehr als ein symbolischer Akt. "Sie macht unsere staatlichen Institutionen sichtbar, steht für demokratische Souveränität und stärkt das Gefühl von Identität, Zusammengehörigkeit und Verbundenheit in unserer Gesellschaft." Er fordert, dass alle Behörden im Freistaat dauerhaft mit der Thüringen-, Deutschland- und Europaflagge ausgestattet werden. Die Europaflagge symbolisiere auch "das Friedensprojekt Europäische Union".
Das BSW sieht noch offene Fragen, etwa beim Geld für Fahnenmasten. Zum genauen Inhalt des Antrags seien die Regierungsfraktionen noch im Austausch. Auch die SPD wollte sich mit Verweis auf koalitionsinterne Abstimmungen nicht weiter äußern.
AfD gegen Europaflagge vor staatlichen Gebäuden
Die AfD, größte Oppositionspartei im Landtag, kritisiert den Plan, auch die Europaflagge dauerhaft vor staatlichen Gebäuden zu hissen. Deutschland habe schon "zu viel Souveränität an die Europäische Union abgetreten".
Im eigenen Gesetzentwurf zur Änderung des Thüringer Gesetzes über die Hoheitszeichen ist daher nur von Deutschland- und Thüringenflagge die Rede. Darüber hinaus enthält der AfD-Entwurf ein "ausdrückliches Verbot" unter anderem "der Beflaggung mit Symbolen nichtstaatlicher Organisationen" oder "sogenannten Pride-Flaggen".

Ein "ausdrückliches Verbot" der Beflaggung mit Regenbogenfahnen fordert die AfD für öffentliche Gebäude. Die anderen Fraktionen diskutieren die dauerhafte Beflaggung mit Thüringen-, Deutschland- und Europaflaggen.
Linke kritisiert Flaggendebatte als "Symbolpolitik"
Die Linke - selbst Regierungspartei von Dezember 2014 bis Dezember 2024 - bezeichnet die Debatten über Flaggen vor öffentlichen Gebäuden als Symbolpolitik.
Es bestehe kein aktueller Anpassungsbedarf der Thüringer Beflaggungsverordnung. Es brauche weder einen Flaggenzwang noch ein Flaggenverbot, sagte der innenpolitische Fraktionssprecher Ronald Hande. Fahnen an Masten würden weder Schulen sanieren, noch für mehr Lehrkräfte sorgen oder Investitionslücken beheben.
Wie sieht es in anderen Bundesländern aus?
Besonders in Sachsen-Anhalt wurden Entscheidungen über die Deutschlandfahne an Schulen stark diskutiert. Im Jerichower Land ging ein entsprechender Beschluss zur Dauerbeflaggung auf einen Antrag der AfD zurück, dem die CDU zustimmte.
Inzwischen hissen fünf Landkreise in Sachsen-Anhalt die Deutschlandflagge vor Dienstgebäuden und Schulen.
Wie geht es jetzt in Thüringen weiter?
Grundsätzlich könnten die Kommunen eigenständig über die Beflaggung an Dienstgebäuden entscheiden, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Diese Kompetenz erstrecke sich aber nicht auf die Gebäude der Landesbehörden.
Aktuell werde etwa an der Staatskanzlei, den Ministerien und dem Landesrechnungshof täglich die Thüringer Landesdienstflagge, die Bundesflagge und die Europaflagge gehisst. Bei den übrigen Landesbehörden geschehe dies nur an ausdrücklich genannten Beflaggungstagen sowie auf besondere Anordnung des Ministerpräsidenten.
Ob sich daran künftig etwas ändern soll, wird am 18. Juni im Thüringer Landtag diskutiert. Danach dürfte das Flaggenthema erneut so manche Kreistage und Stadträte erreichen.
Im Saale-Orla Kreis übrigens, wo bereits die Entscheidung zur dauerhaften Beflaggung gefallen ist, sind bisher weder neue Flaggen gehisst noch gekauft worden. "Das liegt daran, dass wir noch keinen bestätigten Haushalt haben", sagt Landrat Herrgott.
Neben Fahnenmasten seien auch die Flaggen selbst ein Kostenfaktor. Je nach Witterung müssten sie nach ein, zwei Jahren erneuert werden. Die Kosten spielten also durchaus eine Rolle. "Darum warten wir damit noch, bis wir einen Haushalt haben."

Um gut sichtbar zu sein, sind alle Flaggen und Fahnen auf ihn angewiesen: Wind.
MDR (mm,wh)/dpa