
Krieg im Nahen Osten "Freiheit lässt sich nicht herbeibomben"
Wie kann sich die Lage im Nahen Osten mittelfristig verbessern? Den Menschen in der Region wäre mehr Demokratie und Freiheit zu wünschen, meint Moritz Behrendt. Doch herbeibomben, wie jetzt auch im Iran, lassen sich diese Werte nicht.
Wir verändern das Gesicht des Nahen Ostens - was Israels Premierminister Benjamin Netanjahu als Verheißung ankündigt, klingt für die meisten Menschen in der Region wie eine Bedrohung.
Dafür bedarf es keines Blickes in die Zukunft - die Gegenwart ist dystopisch genug. Im Süden des Libanon liegen ganze Dörfer in Trümmern, im Gazastreifen sind mehr als 50.000 Menschen getötet worden, mehr als 100.000 haben Verletzungen erlitten, die ihr Leben und ihre Zukunft dauerhaft beeinträchtigen werden. Im Iran haben vermutlich Hunderttausende Einwohner die Hauptstadt Teheran verlassen, auf israelische Städte fliegen Raketen, und im ganzen Land müssen Menschen ihre Nächte in Bunkern verbringen.
Geopolitische Schneise der Verwüstung
Für viele Menschen ist die Veränderung des Gesichts des Nahen Ostens keine geopolitische Frage, sondern die, ob sie die nächsten Tage in Sicherheit und in ihren eigenen vier Wänden erleben können. Vor allem im Gazastreifen sind die Sorgen noch existenzieller: Wo bekommen die Bewohner morgen etwas zu essen her? Falls es für sie überhaupt ein Morgen gibt.
Auch geopolitisch haben die letzten beiden Jahre eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Eine Annäherung zwischen Israel und arabischen Staaten, wie etwa Saudi-Arabien, ist in immer weitere Ferne gerückt, dass irgendwann ein palästinensischer Staat entsteht, ist utopischer denn je.
Wadephuls unbeholfener Auftritt
Quasi als Kollateralschaden ist das Völkerrecht unter Beschuss geraten, und der Westen, insbesondere Deutschland, hat in weiten Teilen der Welt massiv an Glaubwürdigkeit verloren.
Symbolisch dafür steht der unbeholfene Auftritt des neuen Außenministers Johann Wadephul bei seiner Reise durch die arabische Welt. Die iranische Antwort auf den israelischen Angriff verurteilte er prompt, für israelische Angriffe auf den Iran und andere Staaten fand er Rechtfertigungen. Das machte deutlich, warum die Bundesrepublik hier inzwischen ausschließlich als verlässlicher Partner Israels wahrgenommen wird.
Vorwurf der Doppelmoral
Zwei Anmerkungen, damit kein falscher Eindruck entsteht: Erstens: Für die blutigen Umwälzungen im Nahen Osten ist keineswegs alleine Israel verantwortlich: Auslöser war das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023. Für die brutale Ermordung von Zivilisten darf es keine Rechtfertigung geben, sie rechtfertigt aber auch nicht die Tötung von Zivilisten in Gaza, im Libanon oder im Iran.
Zweitens: Die arabischen Staaten können Deutschland und dem Westen mit Recht Doppelmoral vorwerfen, wenn über Werte und die Beibehaltung der regelbasierten internationalen Ordnung gesprochen wird. Ihre Argumentation steht allerdings auf äußerst dünnem Eis. Just an dem Tag, an dem Außenminister Wadephul in Riad war, richtete Saudi-Arabien einen kritischen Journalisten hin.
Den Menschen in der Region ist mehr Freiheit zu wünschen
Und wenn sich arabische Regierungen gegen eine Destabilisierung der Region durch Israel aussprechen, dann geht es ihnen in erster Linie darum, ihre eigene autoritäre Herrschaft abzusichern. Stabilität an sich ist kein Wert, der gegen eine Neuordnung des Nahen Ostens spricht. Den Menschen in der gesamten Region ist nicht nur mehr Sicherheit zu wünschen, sondern auch - ganz klar - mehr Freiheit.
Das gilt im Besonderen für den Iran - ein Ende der Diktatur dort wäre eine gute Nachricht. Aber daran, dass sich Demokratie und Freiheit von außen herbeibomben lassen, bestehen große Zweifel. Der Einmarsch der USA im Irak 2003 führte zum damals gewünschten Regimewechsel in Bagdad. Die Folge waren Bürgerkrieg, Chaos und der Aufstieg der Terrororganisation "Islamischer Staat". So weit muss es jetzt nicht kommen - die Zukunft ist offen.
Also, was bleibt als Ausblick? Die vage Hoffnung, dass sich die Lage im Nahen Osten mittelfristig verbessert, wenn das theokratische Regime im Iran geschwächt ist oder sogar gestürzt wird. Genauso wahrscheinlich ist jedoch die Aussicht, dass es noch schlimmer wird.