
Hoffen auf Industriestrompreis Stille im Stahlwerk
Das traditionsreiche Stahlwerk in Henningsdorf leidet unter den hohen Strompreisen. Die Produktion ruht, Mitarbeiter sind in Kurzarbeit. Ist ein Industriestrompreis die Lösung?
Wenn Toni Dietrich seinen Arbeitplatz betritt, befällt ihn ein beklemmendes Gefühl, wie er es beschreibt. Denn womöglich bleibt es von nun an immer so ruhig im Elektrostahlwerk Hennigsdorf. "Die Stille in der dunklen Halle ist fast schon beängstigend. Keine Kollegen, kein Maschinenlärm, einfach Ruhe", berichtet Dietrich.
Rund 680 Beschäftigte sind seit Anfang des Jahres auf Kurzarbeit gesetzt, die Produktion ruht. Das bedeutet für die Beschäftigten rund ein Drittel weniger Geld - und nichts zu tun, bis auf Reinigungs- und Wartungsarbeiten an wenigen Tagen im Monat.
Dietrich ist Betriebsrat im Werk. Er muss zusehen, wie Kollegen seit Wochen das Weite suchen. "Circa 50 Leute haben schon gekündigt oder ihre Verträge aufgelöst."
Hunderte Millionen Kilowattstunden Strom
Die Gründe für die Kurzarbeit laut Dietrich: gefallene Nachfrage, Konkurrenzdruck aus China und vor allem der hohe Strompreis. Das Werk frisst enorm viel Strom, mehrere Hundert Millionen Kilowattstunden im Jahr. "Die Stromkosten liegen höher als die Personalkosten", sagt Dietrich.
In der Vergangenheit seien auch schon Nachtschichten gefahren worden, weil dann der Strom günstiger gewesen ist. Wie genau sich die gestiegenen Preise für Elektrizität auf das Geschäftsmodell ausgewirkt haben, lässt sich nur erahnen. Der Betreiber, der italienische Riva-Konzern, hält sich derzeit mit öffentlichen Äußerungen zurück.
Forderungen nach Industriestrompreis
Dafür sprechen Betriebsrat und die Gewerkschaft IG Metall. Sie fordern vehement die Einführung des viel diskutierten Modells "Industriestrompreis". Dabei würden Unternehmen mit einem besonders hohen Stromverbrauch einen künstlich gesenkten Marktpreis zahlen. Die Differenz zum eigentlich aufgerufenen Preis der Stromerzeuger zahlen dann entweder andere Verbraucher oder - mittels staatlicher Subventionen - die Steuerzahler.
Das Modell ist nicht unumstritten, die voraussichtliche Koalition aus CDU und SPD hat sich noch nicht endgültig entschieden, ob der Industriestrompreis kommt. In Hennigsdorf verfolgen sie die Debatte angespannt. "Wir waren sehr erfreut, dass das im Wahlkampf so schnell diskutiert wurde. Aber irgendwann muss halt auch konkret was passieren", sagt Dietrich. Doch auch nach den Koalitionsverhandlungen vernehme er: hauptsächlich Stille.
1917 begann die Stahlproduktion in Hennigsdorf, 1992 übernahm der Riva-Konzern die DDR-Anlagen, investierte seitdem einen dreistelligen Millionenbetrag. Dietrich erinnert sich an bessere Zeiten. Selbst bis in die USA habe man einst exportiert. "Daran ist heute gar nicht mehr zu denken." Er sagt trocken: "Dafür sind wir nicht mehr konkurrenzfähig genug."
Abwärme für die Stadt, Schlacke für den Straßenbau
Dafür aber relativ umwelt- und klimaschonend. Dietrich spricht von einer "Kreislaufwirtschaft", wenn er die Hennigsdorfer Produktionsmethode beschreibt. Man produziere mit Strom statt mit direkt klimaschädlichem Koks oder Gas. Und: "Wir recyclen Stahl, unsere Abwärme kriegen die Stadtwerke, die Schlacke landet im Straßenbelag. Unser Werk ist nachhaltig."
Stefanie Jahn von der IG Metall ist regelrecht bestürzt über die Notlage im Stahlwerk Hennigsdorf. Dass es gerade ein Elektrostahlwerk trifft, sei "tragisch". Diese seien schließlich eine CO2-arme Alternative zu auf Kohlebasis betriebenen Koks-Hochöfen und Gas-Stahlwerken. Und, anders als die Zukunftsvision einer wasserstoffgespeisten Stahlindustrie, schon heute im industriellen Maßstab vorhanden. Jahn beklagt: "Das sind die Standorte, die wir haben wollen!"
Auch sie sieht die hohen Strompreise - neben der niedrigen Nachfrage und dem staatlich subventionierten Billigstahl aus China - als Hauptursache für die existenzgefährdende Lage. Auch sie fordert, dass die Bundespolitik hilft: "Der Industriestrompreis ist ein wichtiger Teil der Lösung."
Brandenburger Standortnachteil
Dann erläutert sie noch einen paradox anmutenden Effekt, den die deutsche Energiewende im Fall Hennigsdorf hervorgebracht hat. Das vergleichsweise klimafreundliche Elektrostahlwerk leide ausgerechnet darunter, dass der Ausbau von Solar- und Windkraftwerken in dem ostdeutschen Flächenland besonders stark vorangetrieben wurde.
Denn der so erzeugte Strom muss verteilt werden. Dafür werden Netze ausgebaut, die Kosten dafür zahlen derzeit überdurchschnittlich die regionalen Stromabnehmer. Also dort, wo besonders viele Windräder und Solarparks gebaut werden. Jahn resümiert trocken: "Brandenburg hat den Standortnachteil, dass wir mit die höchsten Strompreise haben - durch die Netzentgelte für Erneuerbare Energien."
Akuter Fachkräftemangel?
Jahn kann sich vorstellen, dass mittels Industriestrompreis die Voraussetzungen geschaffen werden, dass Hennigsdorf wieder in Produktion geht. Doch mit jedem Tag wird ein anderes Problem größer: Die auf Kurzarbeitergeld gesetzten Mitarbeiter würden sich andere Jobs suchen. "Diese Fachkräfte werden gesucht", so Jahn. "Ich befürchte, dass es dann einen akuten Fachkräftemangel gibt." Betriebsrat Dietrich bestätigt: besonders Elektriker seien am Arbeitsmarkt begehrt.
Dietrich sagt, er und seine Kollegen hätten aber noch Hoffnung, dass es weitergeht. Eigentlich wollten sich die meisten Kollegen gar nicht so intensiv mit politischen Themen wie einem Industriestrompreis beschäftigen. Er sagt: "Die Leute wollen einfach nur arbeiten."