Ein Kind spielt im Sandkasten einer Kita.

40 Jahre Deutsche Umweltstudie Wie Schadstoffe im Körper entdeckt wurden

Stand: 22.06.2025 08:37 Uhr

Blei im Blut, Weichmacher im Urin: Die Deutsche Umweltstudie liefert seit 40 Jahren wichtige Daten zu Schadstoffen. Nur dank dieser konnten viele verboten werden. Ein Blick zurück - und nach vorne.

Von Hellmuth Nordwig und Sylvaine von Liebe, BR

Mehr als 200 Substanzen hat jeder Mensch im Körper, die dort nicht hineingehören. Weichmacher aus Plastik zum Beispiel, ganze Plastikteile, Schwermetalle, die von Farben stammen, Lösungsmittel von Holzfurnieren oder Flammschutzmittel von Teppichböden.

"Wir haben bestimmt so 100.000 Chemikalien im Gebrauch. Und ein erheblicher Teil davon landet auch bei uns im menschlichen Körper", sagt Marike Kolossa vom Umweltbundesamt (UBA). Wir atmen Schadstoffe ein oder essen sie unwissentlich mit. Und auch über die Haut gelangen Chemikalien in unseren Körper.

Wie viele gefährliche Substanzen der Mensch von Alltagsgegenständen und der Umwelt genau aufnimmt, ist noch längst nicht bekannt. Doch dass viele Chemikalien im menschlichen Körper landen und die Gesundheit gefährden, ist heute den meisten Menschen bewusst.

Einen erheblichen Anteil daran haben wohl die Messungen, die Forschende seit nunmehr 40 Jahren durchführen und in regelmäßigen Abständen in der "Deutschen Umweltstudie zur Gesundheit (GerES)" veröffentlichen.

Die erste Umweltstudie

Im Jahr 1985 war das noch ganz anders. Ein Umweltministerium war in weiter Ferne. Die Menschen machten sich Sorgen über sauren Regen, das Waldsterben, das Gift Dioxin in der Luft und die zunehmenden Autoabgase.

War diese Bedrohung nur gefühlt oder real? Genau dieser Frage gingen Fachleute des damaligen Bundesgesundheitsamtes vor vier Jahrzehnten nach und starteten mit der ersten bundesweiten Datenerhebung dieser Art - dem sogenannten Umwelt-Survey, wie die Studie damals hieß.

Viel Blei im Blut

Dafür entnahmen sie freiwilligen Versuchspersonen - aus ländlichen wie städtischen Regionen der gesamten Bundesrepublik - Proben aus Blut, Urin und Haaren. Ziel war es damals, den Anteil von etwa einem Dutzend Schwermetallen, darunter Quecksilber, Kadmium und Blei, in den entnommenen Proben zu messen.

Von Blei, ein Schwermetall, das das Nervensystem schädigt und die Fortpflanzung beeinträchtigt, fanden die Experten bei den Probanden so viel im Blut, dass sie erschraken. Eine Menge, bei der Tiere schon die ersten Vergiftungserscheinungen zeigten, wie sie herausfanden. Schnell war klar: Das Blei landete im Blut der Menschen, weil Blei damals noch Benzin zugesetzt wurde.

Verbot von Blei als Folge

Die Politik reagierte auf die Messergebnisse: Im Jahr 1988 kam ein Verbot für Blei im Normalbenzin, im Jahr 2000 eines für Superbenzin.

Es folgten viele weitere Verbote aufgrund der für die Deutsche Umweltstudie durchgeführten Messungen. So sind etwa Trinkwasserrohre aus Blei mittlerweile verboten, Holzschutzmittel sind heute frei von krebserregenden Lösungsmitteln und Kinder dürfen von Zahnärzten keine Amalgamfüllungen mehr erhalten, weil diese Quecksilber freisetzen. Auch, dass bestimmte Weichmacher, sogenannte Di(2-ethylhexyl)-phthalate (DEHP) in Kinderspielzeug und Babyartikeln seit fast zwei Jahrzehnten verboten sind, geht auf Ergebnisse in der Deutschen Umweltstudie zurück.

Bis zum Verbot dauert es

Verbote durchzusetzen sei ein harter Kampf, beklagen Expertinnen und Experten wie Kolossa, die die aktuelle Deutsche Umweltstudie leitet. Im Prinzip hätte Europa die beste Chemikalien-Gesetzgebung der Welt, aber Verbote dauerten viel zu lange, sagt sie.

Nach dem Willen der EU soll die Umwelt in den Mitgliedsstaaten eigentlich bis 2050 schadstofffrei sein. Von diesem im Rahmen des "European Green Deal" ausgerufenen Ziel ist man derzeit jedoch weiter weg als noch vor ein paar Jahren. Durch die vielen Krisen in der Welt werden derzeit andere politische Prioritäten gesetzt.

Die Entwicklung der Belastung mit Schadstoffen

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Belastung mit vielen Schadstoffen zwar deutlich zurückgegangen. In Fabriken und Autos sorgen zum Beispiel längst Filteranlagen für eine bessere Luft mit weniger Schadstoffen. Auch Menschen setzen sich aufgrund des größeren Bewusstseins freiwillig weniger Schadstoffen aus als noch vor 40 Jahren. So ist das Rauchen im Auto oder in der Wohnung für viele heute tabu. Ebenso das Streichen mit gesundheitsgefährdenden Lacken oder Farben.

Doch es gibt neue Probleme: Die meisten Menschen versprühen zwar keine Insektenschutzmittel mehr, viele dafür aber Duftstoffe, die Allergien auslösen können. Auch Plastik ist heute viel verbreiteter als noch vor Jahrzehnten. Von 1950 bis 2023 ist die weltweite Kunststoff-Produktion von zwei Millionen Tonnen auf mehr als 400 Millionen Tonnen - also ums 200-fache - angestiegen. Und weltweit gesehen steigt sie nach wie vor jedes Jahr weiter an. Die in Plastik oft enthaltenen Weichmacher und andere Inhaltsstoffe sind gesundheitsschädlich.

Und auch die sogenannten PFAS, die "Ewigkeitschemikalien", die etwa in Koch-Pfannen und in bestimmten Kleidungsstücken eingesetzt werden und die weder in der Natur noch im Körper abgebaut werden können, belasten die Gesundheit. Von einigen der darin enthaltenen Stoffe weiß man, dass sie zum Beispiel das Immunsystem schwächen. Und auch wer Fast Food isst, hat mehr Schadstoffe, nämlich Pestizide im Blut, als derjenige, der sich von Bio-Nahrungsmitteln ernährt.

Wie die aktuelle Studie abläuft

Demnächst soll die neueste Untersuchung der Deutschen Umweltstudie veröffentlicht werden. Anders als noch 1985 suchten die Forschenden diesmal nach insgesamt 200 Chemikalien im Blut und Urin von diesmal 1.500 Teilnehmern. Dazu sammelten sie noch Luftproben und den Staubsaugerbeutel aus den Wohnungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein. Anschließend erfolgten Befragungen der Testpersonen zu ihrem Lebensstil. Eine erhebliche Datenmenge kam so zusammen, die derzeit noch ausgewertet wird.