
Welternährungspreis Wie eine Brasilianerin die Landwirtschaft verändert
Brasiliens Landwirtschaft hat keinen guten Ruf: Rodung von Wäldern, massenweise Pestizide und Kunstdünger. Dabei ist Brasilien mittlerweile auch führend bei biologischen Alternativen - dank Mariângela Hungria.
Alles begann mit einem Geschenk ihrer Großmutter: Mit acht Jahren bekam Mariângela Hungria das Buch "Mikrobenjäger" von ihrer Oma geschenkt und war fasziniert von diesen winzigen Organismen, die man mit bloßem Auge nicht sehen konnte, die aber dennoch so eine große Rolle in Ökosystemen spielen konnten.
"Meine Großmutter arbeitete oft mit mir im Garten", erinnert sie sich im Videocall mit der ARD. "Sie erklärte mir Dinge über Sauerstoff, Photosynthese, Bakterien und Pilze. Ich habe schnell gemerkt, dass ich damit arbeiten wollte." Allerdings im Bereich der Lebensmittelproduktion, "um einen Beitrag zur Bekämpfung des Hungers zu leisten".

Mariângela Hungria ist Agraringenieurin und erforscht biologische Alternativen zu chemischen Düngemitteln.
Auszeichnung mit Welternährungspreis
Ein halbes Jahrhundert später wird die brasilianische Wissenschaftlerin für ihre Arbeit mit dem Welternährungspreis ausgezeichnet. Er gilt als Nobelpreis der Landwirtschaft und ehrt Personen, die die Lebensmittelproduktion revolutioniert haben.
Dabei hatte zu Beginn ihrer Karriere, in den 1970er-Jahren, kaum einer an ihrer Forschung geglaubt - nur die EMBRAPA, die staatliche brasilianische Agrarforschungsgesellschaft investierte in die junge Wissenschaftlerin, vier Jahrzehnte lang. Für Hungria ist das wichtig zu betonen. "Der private Sektor investiert nur in Forschung, die kurzfristig Rendite abwirft", sagt sie.
"Chemikalien, Chemikalien, Chemikalien"
Bio war damals ein Nischenthema. Es war die Zeit der "Grünen Revolution". Angesichts des Bevölkerungswachstums stellten sich Wissenschaftler die Frage: Wie sollen wir in Zukunft die Menschheit ernähren? Ziel war, die Nahrungsmittelproduktion zu steigern. "Das Credo hieß: Chemikalien, Chemikalien, Chemikalien, die ja damals auch tatsächlich die Landwirtschaft revolutioniert hatten."
Indem sie die großflächige Produktion von Getreide und Grundnahrungsmitteln ermöglichten, mit Hilfe des intensiven Einsatzes von gentechnisch verändertem Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden.
Enzym wandelt Sticktstoff für Pflanzen um
Mariângela Hungria dagegen erforscht gezielt biologische Alternativen zu chemischen Düngemitteln, vor allem bei der Mais-, Soja- und Bohnenproduktion. Wie, fragte sie sich, können Mikroorganismen Pflanzen dabei unterstützen, Nährstoffe besser aufzunehmen?
Ein Beispiel: biologische Stickstofffixierung. Stickstoff ist in der Luft zwar reichlich vorhanden, Pflanzen können ihn aber nicht einfach so aufnehmen. Hungrias Methode nutzt Bakterien, die mithilfe eines Enzyms Stickstoff so umwandeln, dass Pflanzen ihn für ihr Wachstum nutzen können.
"Gäbe es diesen natürlichen Prozess nicht, müssten wir chemische Düngemittel verwenden, deren Produktion viel Energie verbraucht - etwa sechs Barrel Öl pro Tonne produziertem Stickstoff", sagt sie. Die biologische Alternative dagegen schade der Umwelt nicht, es werden keine Treibhausgase freigesetzt und, ein zentraler Punkt, sie sind für die Bauern auch billiger.
Ukraine-Krieg als Treiber für Bio?
Heute werden solche biologischen Produkte auf mehr als 40 Millionen Hektar in Brasilien eingesetzt - das ist eine Fläche mehr als doppelt so groß wie die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche Deutschlands. Dadurch, so die Zahlen von EMPRABA, sparen Landwirte jährlich bis zu 25 Milliarden US-Dollar an Betriebsmittelkosten ein. Gleichzeitig werden mehr als 230 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent-Emissionen pro Jahr vermieden.
Zwar sei Brasiliens Landwirtschaft nach wie vor von chemischem Dünger abhängig, doch die biologischen Produkte würden zunehmend an Boden gewinnen, sagt die Agraringenieurin. Das habe auch mit der Pandemie und dem Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun.
Brasilien ist, als einer der größten Agrarproduzenten der Welt, wirtschaftlich abhängig von der Agrarindustrie. Diese wiederum braucht Unmengen Kunstdünger und der wird zu 85 Prozent importiert - vor allem aus Russland. "Schon während der Pandemie hatte es enorme Lieferengpässe gegeben", erinnert sich Hungria, "nun geriet die Landwirtschaft in Panik. Die Sorge: Wir kommen nicht mehr an genug Dünger".
Für biologische Produkte ergab sich daraus jedoch eine Chance, sagt die Wissenschaftlerin: "Landwirte, die zuvor nicht an deren Wirkung glaubten, begannen, sie zu verwenden." Die biologischen Alternativen waren nicht nur verfügbar, sie waren auch billiger und reduzierten die Abhängigkeit der Landwirte von der Preisepolitik großer Chemiekonzerne. "Das führte zu einer regelrechten Explosion auf den Markt."
"Wir brauchen mehr Forschung"
Brasilien sei inzwischen führend bei biologischen Produkten, doch nach wie vor machten die im Vergleich zu chemischen Mitteln nur zehn Prozent aus. Zum Vergleich: In Deutschland landete 2023 laut Statistischem Bundesamt fünfmal so viel organischer Dünger auf den Äckern wie synthetischer sogenannter mineralischer Dünger - allerdings hat Brasilien mit rund 250 Millionen Hektar 15-mal so viel landwirtschaftliche Nutzfläche wie Deutschland.
Was sich Mariângela Hungria für die Zukunft wünscht? "Ich wäre gerne 30 Jahre jünger", sagt sie und lacht. "Heute können wir durch neue Techniken und Methoden so viel mehr Dinge erreichen als früher." Dazu bräuchte es aber mehr Investitionen in Forschung, wünscht sich die Trägerin des diesjährigen Nobelpreises der Landwirtschaft - leider werde in ihrem Heimatland genau da zunehmend gekürzt.