
Venezuela Wahlen im Land der leeren Häuser
In den vergangenen Jahren hat ein Viertel der Bevölkerung Venezuela verlassen. Von denen, die im autoritär geführten Land geblieben sind, haben viele resigniert. In diesem Klima finden heute Parlaments-und Regionalwahlen statt.
Wahlplakate sieht Mairín Reyes von dem Fenster ihrer Wohnung aus nicht, erzählt sie am Telefon. Ein persönliches Treffen mit ihr in Caracas war nicht möglich - ausländischen Journalisten werden derzeit keine Visa ausgestellt, um direkt aus Venezuela zu berichten.
Von Wahlkampagnen war kaum etwas zu spüren, ist auch von anderen Kontakten zu hören. Dabei finden in Venezuela heute Parlaments- und Regionalwahlen statt.
In einigen Mittelschichtsvierteln in der Hauptstadt Caracas fehlt es inzwischen aber teils auch an den Wählern, an die sich politischen Botschaften richten könnten. Denn viele Bewohner haben in den vergangenen Jahren das Land verlassen - insgesamt etwa acht Millionen Venezolaner, und damit knapp ein Viertel der Bevölkerung des Landes.
"Manchmal sieht man, dass sie es eilig hatten"
Oft haben sie ihren gesamten Hausrat zurückgelassen - ihre Bücher- und Schallplattensammlungen, das Klavier oder die komplette Garderobe mit allen Schuhen. Mairín Reyes hält sich regelmäßig in den verlassenen und verstaubten Wohnungen auf. Sie hat daraus ein Geschäft gemacht.
Sie räumt die Wohnungen für ihre ehemaligen Besitzer aus, verkauft die Sofaecke, Gläser, spendet das, was im Kleiderschrank hängt, und verkauft am Ende oft auch die Immobilie. "Die Wohnungen sind in dem Zustand, in dem die Leute sie zurückgelassen haben. Manchmal sieht man, dass sie es eilig hatten. Letztens habe ich eine Tasse Kaffee vorgefunden, wo der vertrocknete Kaffeesatz noch drin war. Die Person hatte offenbar keine Zeit mehr, sie zu spülen", erzählt Reyes.
Die meisten Kunden würden sie bitten, ihre alten Fotos einzuscannen, aber sie suchten oft auch ihre Papiere wie etwa Geburtsurkunden. "Einer bat mich auch mal, nach einem gemalten Bild seines Sohnes zu suchen, der jetzt aber auch schon 40 Jahre alt ist", sagt die Geschäftsfrau.
Das sei oft nostalgisch, aber gerade, wenn es um die Wohnungen von Freunden ginge, sei es manchmal auch sehr traurig: "Zum Beispiel bei einer sehr guten Freundin - ich war so oft bei ihr zu Hause." Das sei sehr emotional gewesen - aber es sei auch sehr befriedigend, helfen zu können, sagt Reyes. "Und das ist letztlich ja auch das Ziel meiner Arbeit."
Kritik an der Regierung traut sich kaum jemand
Viele ihrer Kunden seien nach Europa gegangen, die meisten nach Spanien, aber auch nach Chile oder Panama. Warum die Leute gehen, darüber spreche sie nicht mit ihnen, betont sie - ob aus politischen, wirtschaftlichen oder anderen Gründen. "Ich will nichts von Politik wissen. Aber das soll nicht heißen, dass ich nicht eine verantwortungsbewusste Bürgerin bin", sagt sie mit Nachdruck.
Sich politisch zu äußern, Kritik an der Regierung zu üben, das traue sich kaum jemand, sagt Phil Gunson, Venezuela-Experte der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group. Nach der Präsidentenwahl vor rund zehn Monaten war die Regierung repressiv gegen Demonstranten vorgegangen, die zu Tausenden im ganzen Land auf die Straße gegangen waren.
Die weitgehend regierungstreue Wahlbehörde hatte den autoritären Amtsinhaber Nicolás Maduro ungeachtet internationaler Kritik und Betrugsvorwürfen der Opposition offiziell zum Sieger erklärte. Die Opposition hatte behauptet, eigentlich 67 Prozent der Stimmen für ihren Kandidaten bekommen zu haben. Bei den Protesten kamen mehr als 20 Menschen ums Leben, mehr als 2.000 Demonstranten wurden festgenommen.
Teile der Opposition boykottieren die Wahl
Für die Parlaments- und Regionalwahlen deuten Prognosen und Umfragen auf eine niedrige Wahlbeteiligung hin, was vor allem auf die politische Frustration und die Spaltung der Opposition zurückgeführt wird.
Innerhalb der Opposition gehen die Meinungen darüber auseinander, ob eine Wahlteilnahme unter den derzeitigen Bedingungen sinnvoll ist. Die Vorsitzende der liberalen Partei Vente Venezuela, Maria Corina Machado, ruft zum Boykott auf.
"Ich könnte eine Liste von 100 Dingen aufstellen, die die Bedingungen aus wahltechnischer Sicht zu einer Barbarei machen. Sie verstoßen gegen venezolanische Gesetze, sie verstoßen gegen die venezolanische Verfassung, gegen internationale Normen", sagte Machado. Es sei keine echte Wahl, denn die Stimmen der Menschen entschieden nichts.
Regierungsbündnis wird wohl wieder siegen
Der ehemalige Präsidentschaftskandidat Henrique Capriles will an den Wahlen mit seiner kurzfristig zugelassenen neuen Gruppierung namens Unión y Cambio teilnehmen. Capriles war eigentlich für 15 Jahre von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen worden, weil ihm angebliche Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung öffentlicher Mittel vorgeworfen wurden.
Seine plötzliche Zulassung gilt als unerwartete Wende in der Regierungspolitik. Beobachter spekulieren über Dialoge zwischen Maduro und Capriles' Oppositionsflügel.
Auch bei den anstehenden Parlaments- und Regionalwahlen kann von transparenten, freien und fairen Wahlen keine Rede sein. Aufgrund des oppositionellen Teilboykotts und der vermutlich niedrigen Wahlbeteiligung ist mit einem deutlichen Sieg des Regierungsbündnisses zu rechnen.
Präsident Maduro gibt sich sowieso gelassen. Nach wie vor hat er auch die Unterstützung des mächtigen Militärs.