Das französische Atom-U-Boot "Le Triomphant" (Archivbild vom 15.02.2009)
weltspiegel

Französischer Atomschirm Nukleare Abschreckung für ganz Europa?

Stand: 27.04.2025 06:03 Uhr

Im der Hafenstadt Cherbourg baut Frankreich seine Atom-U-Boote. Sie dienen zur nuklearen Abschreckung des Landes. Präsident Macron will den Schutz auf ganz Europa ausdehnen. Das gefällt vielen hier nicht.

Man kann ihm den Stolz im Gesicht ablesen, wenn Xavier Ruelle auf dem Turm des U-Bootes Le Redoutable - auf deutsch, "das Furchterregende" steht. Zwanzig Jahre lang ist er auf solchen Atom-U-Booten als Marineoffizier gefahren. Heute führt Ruelle Besucher durch das Innenleben des ausgemusterten Redoutable. Das U-Boot wurde zum Museum umfunktioniert. Es liegt im Hafen der Stadt Cherbourg im Nordwesten Frankreichs, unweit der gewaltigen Naval-Werft, wo Frankreichs Atom-U-Boote gebaut werden.

Viele Einwohner Cherbourgs schätzen vor allem die sicheren Arbeitsplätze auf der Marinewerft, von denen hier viel abhängt. Atomkraft und atomare Rüstung - in Cherbourg ist beides vor allem mit wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten verbunden.

Symbol militärischer Unabhängigkeit

Die atomare Abschreckung Frankreichs stützt sich maßgeblich auf diese Art von U-Booten, die mit je 16 Atomraketen bestückt sind. Aktuell sind vier davon auf den Weltmeeren im Einsatz. Zwar verfügt die Armee auch über weitere atomare Marschflugkörper, die von Rafale-Jets getragen werden, aber die U-Boote sind das stärkste Symbol der militärischen Unabhängigkeit Frankreichs.

Das Leben an Bord ist entbehrungsreich: Monatelang getrennt von der Familie, kein Tageslicht auf engem Raum. Er habe als U-Boot-Offizier Opfer für seine Heimat gebracht, sagt Xavier:

 "Wir opfern Lebensqualität für diese wichtige Mission. Für Frankreich. Und nur für Frankreich.

Ein Vorschlag, der an Bedeutung gewonnen hat

Nur für Frankreich? Sein Präsident, Emanuel Macron, sieht das inzwischen anders: Er schlägt vor, mit dem französischen Atomschirm in Zukunft auch befreundete Länder wie etwa Deutschland zu schützen. Der Vorschlag ist nicht ganz neu - doch seitdem die Europäer, nicht zuletzt Deutschland, um die Verlässlichkeit der USA bei ihrer Verteidigung fürchten, hat er an Bedeutung gewonnen.

Inzwischen diskutieren Militärstrategen, unter welchen Voraussetzungen Frankreich zur atomaren Schutzmacht auch für andere europäische Staaten werden könnte. Was vor Kurzem noch von vielen als Hirngespinst eines nach militärischer Größe strebenden Präsidenten abgetan wurde, erscheint inzwischen als ein ernsthaftes Szenario.

Und mit Friedrich Merz würde Deutschland wohl bald erstmals einen Bundeskanzler bekommen, der das französische Angebot begrüßt und diskutieren will.

Zu Hause findet Macron weitaus weniger Unterstützung. Zwar hat er deutlich gemacht, dass der Oberbefehl über den Einsatz französischer Nuklearwaffen immer allein beim französischen Präsidenten bleiben soll. Doch schon allein die von ihm ausgelöste Debatte stößt auf heftigen Widerspruch sowohl im rechten als auch im linken politischen Lager.

So etwa bei Anhängern der linken Partei La France Insoumise in Cherbourg. Dass die Atomflotte, die in ihrer Heimatstadt gebaut wird, in Zukunft auch europäische Nachbarn schützen könnte, davon halten sie wenig.

"Das sind Verteidigungswaffen. Und das sind Waffen, die nur im Fall eines Angriffs auf unser Land, auf unsere Interessen eingesetzt werden können", sagt Alexandre Dubois. Seine politische Mitstreiterin Montaine Harzo fügt hinzu, dass Macron diesen Vorschlag nur mache, "weil er Interesse daran hat, die internationale Lage für sich zu nutzen." Zuhause habe er ja nicht mehr viel Unterstützung.

 

"Psychologisch ist das nicht dasselbe"

Ähnlich sehen das Xavier Ruelle und  die anderen U-Boot-Veteranen aus Cherbourg. Sie treffen sich regelmäßig in einer Bar oder einem Café in der Stadt. Dann erzählen sie von früher und debattieren die weltpolitische Lage. Und obwohl diese Herrenrunde alles andere als politisch links einzuordnen ist: Auch sie zweifeln am Vorschlag von Präsident Macron, den französischen Nuklearschirm auszuweiten - und liegen damit ziemlich nah bei den jungen Linken.

"Wir sind bereit, für unsere atomare Abschreckung einiges auf uns zu nehmen", sagt Xavier,  "aber wenn man jetzt hört, das soll geteilt werden mit Deutschland, Dänemark, den Niederlanden oder wem auch immer. Ja, würden wir machen, weil wir Europäer sind. Aber psychologisch ist das nicht dasselbe."

Und für Richard Leseur, mit 74 Jahren der älteste in der Runde und großer Verehrer von General de Gaulle, ist klar: "De Gaulle hatte es so nicht vorgesehen. Die echten Gaullisten haben die atomare Abschreckung für die Unabhängigkeit Frankreichs geschaffen."

Am Ende aber sind sich trotzdem alle einig: Sie bleiben loyale Soldaten. Würden der Präsident und die Politiker entscheiden, mit der französischen Atomflotte auch europäische Nachbarn zu verteidigen, gäbe es für sie nichts mehr zu diskutieren. Dann gelte nur: Befehl ist Befehl.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtet die ARD-Sendung "Weltspiegel" am 27. April 2025 um 18:30 Uhr.