
Vor Gazastreifen abgefangen Durfte Israel die "Madleen" stoppen?
Einige der Aktivisten rund um Greta Thunberg haben Israel bereits verlassen. Zuvor hatte die Marine das Segelschiff mit Hilfsgütern an Bord abgefangen. War dieses Vorgehen rechtmäßig?
Kurz vor dem Ziel, der Küste von Gaza, war das Segelschiff "Madleen" mit der schwedischen Aktivistin Greta Thunberg an Bord von der israelischen Marine abgefangen worden. Das Bündnis Freedom Flotilla Coalition, das für die Organisation der Schiffsreise verantwortlich war, sprach von einem eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht.
Die israelische Regierung wiederum hat den Schritt damit begründet, dass die Zone vor der Küste des Gazastreifens für nicht autorisierte Schiffe gesperrt sei.

Die Aktivistin Greta Thunberg bei ihrer Ankunft am Flughafen Stockholm
Seeblockade seit 2007
Grundsätzlich gilt, dass sich in Friedenszeiten alle Schiffe auf hoher See frei bewegen dürfen. Daran hat die israelische Armee die "Madleen" vor der Küste des Gaza-Streifens gehindert.
Aber: Schon 2007 hatte Israel im Zuge des Konflikts mit der Terrororganisation Hamas eine Seeblockade vor der Küste Gazas verhängt - insbesondere um zu verhindern, dass auf dem Seeweg Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt werden.
Solche Seeblockaden sind nach dem Völkergewohnheitsrecht bei internationalen militärischen Konflikten unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt.
Internationaler bewaffneter Konflikt?
Eine davon ist, dass der Konflikt zwischen zwei verschiedenen Staaten stattfindet. Allerdings: Das palästinensische Gebiet wird von der internationalen Staatengemeinschaft bisher nicht als Staat anerkannt. Dennoch bestehe zwischen Israel und Gaza ein internationaler bewaffneter Konflikt, meint Völkerrechtsprofessor Christoph Safferling von der Universität Erlangen-Nürnberg.
"Jedenfalls ist Gaza als autonom, als selbstständig genug anzuerkennen, um dem Gebiet Staatlichkeit zuzusprechen. Und deshalb sind aus meiner Sicht die Regeln für internationale bewaffnete Konflikte anwendbar."
Rechtsprofessor Valentin Schatz, Experte für internationales Seerecht an der Leuphana Universität Lüneburg, verweist in diesem Zusammenhang auf die Einschätzung der Vorverfahrenskammer I des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag.
"Wenn sie sich beispielsweise den Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu anschauen, den die Vorverfahrenskammer erlassen hat, dann sehen sie, dass die Kammer im Hinblick auf Gaza zumindest auch von einem internationalen bewaffneten Konflikt zwischen Israel und Palästina ausgeht."
UN-Bericht 2011: Seeblockade ist zulässig
Es ist nicht das erste Mal, dass Aktivistinnen und Aktivisten versuchen, die Blockade Israels auf See zu durchbrechen. Bei einer Aktion im Jahre 2010 hatten israelische Soldaten das türkische Schiff "Mavi Marmara" vor der Küste des Gazastreifens gestürmt, wobei zehn türkische Staatsbürger ums Leben kamen.
Der Vorfall schlug hohe Wellen und wurde schließlich von den Vereinten Nationen (UN) untersucht. Auch die Expertinnen und Experten der Kommission kamen 2011 zum Schluss, dass es sich um einen internationalen bewaffneten Konflikt handelt.
Der damalige Einsatz der israelischen Marine, so der UN-Bericht, sei "maßlos und unangebracht" gewesen, die Seeblockade selbst hingegen aber "rechtmäßig und angemessen".
Einsätze müssen verhältnismäßig sein
Im sogenannten "San Remo Manual", einem international anerkannten Regelwerk, ist festgehalten, welche Voraussetzungen für eine Seeblockade gelten. So muss die Blockade verhältnismäßig sein. Die Auswirkungen, gerade für die Zivilbevölkerung, dürfen nicht außer Verhältnis zum militärischen Gewinn stehen.
Verboten ist, wenn die Blockade allein den Zweck hat, die Zivilbevölkerung auszuhungern. "Das ist hier aus meiner Sicht aber nicht der Fall," sagt Rechtsprofessor Christoph Safferling übertragen auf die Situation in Gaza. "Es geht Israel darum, die militärische Sicherheit zu gewährleisten und zu verhindern, dass die Hamas Waffen und Raketen bekommt über diesen Seeweg. Das ist Sinn und Zweck der Blockade, und nicht das Aushungern der Bevölkerung."
Deshalb dürfe Israel im Falle von ernstgemeinten Hilfslieferungen nicht einfach pauschal auf die Seeblockade verweisen, so Safferling. "Wenn Angebote kommen, Hilfsgüter über die See nach Gaza zu bringen, müsste die Blockade das entsprechend zulassen. Mit der Konsequenz: Dann darf man die Schiffe kontrollieren. Aber man darf sie nicht daran hindern, Gaza anzusteuern und die Hilfslieferungen abzusetzen."
War das Aufbringen der "Madleen" rechtmäßig?
Mit Blick auf die schlimme humanitäre Situation in Gaza geht Seerechtsexperte Valentin Schatz deshalb davon aus, dass die israelische Armee die "Madleen" nicht hätte stoppen dürfen.
Die Blockade führe nicht zuletzt im Zusammenspiel mit den weiteren Maßnahmen Israels in Gaza dazu, dass die Zivilbevölkerung von Hilfslieferungen abgeschnitten wird. Dies sei unverhältnismäßig, so Schatz.
"Aufgrund der Rechtswidrigkeit der Blockade, soweit sie die Lieferung von essenziellen Hilfsgütern betrifft, dürfte das Abfangen des Segelschiffs ebenfalls rechtswidrig gewesen sein."
Experten sind uneins
Völkerrechtler Safferling hingegen kommt zu dem Schluss, dass das Aufbringen der "Madleen" nicht gegen internationales Recht verstoßen hat. Aus seiner Sicht habe es sich nicht um eine großangelegte Hilfsaktion, sondern - zumindest vorrangig - um eine PR-Maßnahme gehandelt.
"Wenn eine Hilfsorganisation kommt und sagt: Wir haben Tausende Tonnen Hilfsgüter für die Bevölkerung in Gaza, dann wird Israel sich schwertun, sich dagegen zu wehren. Es muss auch sichergestellt sein, dass die Verteilung durch eine unabhängige Organisation gewährleistet wird. All das ist aber bei diesem Segelschiff überhaupt nicht der Fall gewesen. Insoweit war das keine ernstzunehmende Hilfslieferung."
Das israelische Außenministerium teilte mit, die Regierung werde sich um die Verteilung kümmern. "Die winzige Menge an Hilfsgütern auf der Jacht, die nicht von den 'Promis' aufgebraucht wurde, wird nun über echte Hilfskanäle in den Gazastreifen gebracht." Am Ende könnte die UN den konkreten Fall untersuchen lassen. Ob es dazu aber kommen wird, ist bislang völlig unklar.