
Von Migräneattacken bis Rheuma Wie seriös sind Biowetter-Vorhersagen?
Biowetter-Prognosen sollen zeigen, wie gesundheitliche Beschwerden mit Wetterveränderungen zusammenhängen. Doch Experten zufolge gibt es nur für einen Teil der Fälle eindeutige wissenschaftliche Belege.
Von Migräneattacken über Kreislaufproblemen bis zu Blinddarmentzündungen: Die Liste der Symptome, die häufig dem Wetter zugeschrieben werden, ist lang.
Laut einer Umfrage im Auftrag des Deutschen Wetterdienstes aus dem Jahr 2021 halten sich etwa die Hälfte der Menschen in Deutschland (46 Prozent) für wetterfühlig. Websites von Wetter.com bis Donnerwetter.de bieten deshalb neben klassischen Wettervorhersagen auch sogenannte Biowetter-Prognosen an.
Große Auswahl an möglichen Symptomen
Je nach Region können Nutzende hier nachschauen, ob sich die aktuelle Wetterlage positiv oder negativ auf ihre Gesundheit auswirken wird. Wer allerdings auf verschiedenen Websites schaut, bemerkt schnell, dass die Vorhersagen teilweise weit auseinandergehen.
Dazu kommt, dass je nach Website eine eigene Auswahl von Symptomen auf das Wetter zurückzuführen sein kann. Während der Deutsche Wetterdienst (DWD) sich auf Angaben zu Asthma, Rheuma, Herz-Kreislaufproblemen und allgemeine Beschwerden beschränkt, kann das Wetter laut Donnerwetter.de auch für Blinddarmentzündungen und Neurosen verantwortlich sein.
Wetterempfindlich oder wetterfühlig?
Grundsätzlich müsse man zwischen Wetterfühligkeit und Wetterempfindlichkeit unterscheiden, sagt Bio-Meteorologin Kathrin Graw vom Zentrum für Medizin-Meteorologische Forschung des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Wetterempfindliche Menschen hätten eine Grunderkrankung, die wissenschaftlich nachweisbar vom Wetter beeinflusst werde.
Dazu zählen zum Beispiel Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, die sich bei extremen Temperaturen verschlechtern, wie eine Literaturstudie im Auftrag des DWD schon 2012 zeigte. Auch gilt der Zusammenhang zwischen vermehrtem Pollenflug und Allergien oder Kälte und Asthma-Symptomen als wissenschaftlich gesichert.
Viele Wetterfaktoren beeinflussen die Gesundheit
Wetterfühlige Menschen berichten dagegen meistens eher allgemeine Störungen des Allgemeinbefindens wie Abgeschlagenheit oder Migräne. "Da gibt es sehr viel, was vom persönlichen Empfinden der Menschen abhängt, aber mit Studien nicht eindeutig nachgewiesen werden kann", erklärt Graw.
Manche Studien könnten Effekte nachweisen, andere wiederum nicht. Das liege auch daran, dass viele Studien nur einzelne Wetterfaktoren wie Luftdruck, Feuchte, Temperatur oder Schadstoffbelastung in den Fokus nehmen. So ließen sich Graw zufolge Zusammenhänge schlechter erkennen.
Hinzu komme, dass die Methodik in verschiedenen Studien unterschiedlich und auch der allgemeine Gesundheitszustand nicht bei allen Studienteilnehmenden gleich sei. Insgesamt sei sich die Wissenschaft einig, "dass es das Zusammenspiel von verschiedenen Wetterfaktoren ist, das die Gesundheit beeinflusst", erklärt die Bio-Meteorologin.
Einige Zusammenhänge nicht belegt
Aber bei Biowetter-Prognosen zu Schizophrenie, Blinddarmentzündungen oder Neurosen müsse man vorsichtig sein, sagt Andreas Matzarakis, Bio- und Umweltmeteorologe an der Universität Freiburg.
"Da ist das Datenmaterial sehr dünn", so Matzarakis. Hier von einem gesicherten Zusammenhang zu sprechen und Prognosen zu stellen, wäre ihm zufolge fahrlässig.
Die Erhebung von gesicherten Daten zum Zusammenhang von Wetter und Symptomen sei grundsätzlich eine Herausforderung, weil Wetter neben Vorerkrankungen, Stress, Ernährung und Hormonen nur einer von vielen Faktoren sei, die unser Wohlbefinden beeinflussen.
Karsten Brandt, Geschäftsführer von Donnerwetter.de, zufolge stützen sich die Prognosen der Website auf eine "umfangreiche und teils historische Sammlung an Biowetter-Literatur" sowie Datenerhebungen über Google Trends und Nutzungsdaten der eigenen Webseite. Für den Nachweis des Zusammenhangs zwischen Wetteränderungen und Blinddarmentzündungen sowie Neurosen nennt er das Buch "Wetterfühligkeit. Vorbeugen und behandeln" von Hermann Trenkle aus dem Jahr 1989.
Die Vorhersagen des DWD beruhen laut Kathrin Graw auf der aktuellen medizinischen Studienlage. Mithilfe eines Modells werden jeden Tag die Prognosen für verschiedene Regionen Deutschlands berechnet und von einem Biometeorologen überprüft.
"Jeder Mensch reagiert anders"
Grundsätzlich sollten Nutzende Kathrin Graw zufolge nicht blind auf Biowetter-Prognosen vertrauen. Denn die stimmten nicht für jede Person gleichermaßen. "Weil der Gesundheitszustand individuell unterschiedlich ist und daher jeder Mensch auf das gleiche Wetter unterschiedlich reagiert".
Deshalb würde sie auch nicht jedem empfehlen, täglich ins Biowetter zu schauen. Das könnte nämlich bei manchen Menschen durch psychologische Faktoren wie negative Erwartung zu Beschwerden führen. "Und dann bekommt man vielleicht Kopfschmerzen, die man ohne diese Informationen nicht hätte."
Wetterempfindlichen Menschen dagegen könnten wissenschaftlich belegte Prognosen helfen, ihren Alltag zu planen und Belastungen zu vermeiden.
Training gegen Wetterfühligkeit
Wer gesund ist, aber das Gefühl hat, sich bei Wetterwechseln schlechter zu fühlen, kann die Anpassungsfähigkeit des eigenen Körpers an Wetterwechsel auch gezielt trainieren, sagt Andreas Matzarakis.
Dazu gehöre vor allem Bewegung, ausreichend Schlaf und eine gesunde Ernährung. Auch duschen mit heißen und kaltem Wasser oder Kneippbäder können dem Biometeorologen zufolge helfen.
Hitze als Gesundheitsgefahr
Von Wetterfühligkeit zu unterscheiden sind dagegen gesundheitliche Probleme, die in Folge von sehr hohen Temperaturen auftreten können. Hitze sei in Deutschland aktuell die gefährlichste Folge des Klimawandels mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit, sagt Julia Schoierer.
Sie arbeitet bei ecolo - einer Agentur für Ökologie und Kommunikation und leitet die AG für Globale Umweltgesundheit und Klimawandel am Klinikum der LMU München. Ihr zufolge verschlechterten sich zum Beispiel bereits bestehende chronische Erkrankungen bei Hitze.
Höhere Belastung durch Klimawandel
"Wir sehen aber auch zum Beispiel häufigere Notfallkontakte, mit mehr Krankenhauseinweisungen und Besuchen bei den niedergelassenen Ärzten, aber auch mehr Rettungsdiensteinsätze", so Schoierer. Hitze wirke sich negativ auf Schwangerschaften und das Geburtsgewicht von Babies aus. "Und wir sehen eine erhöhte Mortalität bei Hitze-Ereignissen – insbesondere bei Menschen im hohen Lebensalter."
Die vom Klimawandel verursachten Wetteränderungen hätten aber noch weitere Folgen. "Aufgrund veränderter und länger andauernder Vegetationszeiten gibt es eine erhöhte Belastung für Pollenallergiker", erklärt Julia Schoierer. "Und wir haben eine erhöhte Belastung für Menschen mit Lungenerkrankungen aufgrund von zunehmenden Luftschadstoffen."
Maßnahmen für Betroffene
Um sich gegen die Folgen dieser Entwicklungen zu schützen, könnten Betroffene verschiedene Maßnahmen ergreifen. "So zum Beispiel mit ihrem behandelnden Arzt vor dem Sommer besprechen, ob eine Medikamentenanpassung bei Hitze notwendig ist."
Anders als bei Wetterfühligkeit rät Schoierer bei Hitze nicht dazu, den Körper durch Bewegung oder Aufenthalt im Freien zu trainieren. Im Gegenteil sei es wichtig, sich so wenig wie möglich der Hitze auszusetzen. "Also versuchen, den Wohnraum kühl zu halten, Unternehmungen anzupassen, Anstrengungen zu vermeiden und ausreichend zu trinken."