Karl Lauterbach tritt durch eine Tür in einen Konferenzraum

Elektronische Patientenakte Lauterbachs letzter Akt als Minister

Stand: 29.04.2025 06:00 Uhr

Ab heute geht die elektronische Patientenakte bundesweit an den Start. Lauterbach hofft, dass Patientinnen und Patienten dadurch besser versorgt werden. Kritiker bemängeln Sicherheitslücken.

Von Nadine Bader und Birthe Soennichsen, ARD-Hauptstadtstudio

Die größte Überraschung für Hausarzt Nicolas Kahl ist, dass die elektronische Patientenakte (ePA) aus seiner Sicht schon so gut funktioniert. "Das geht ehrlicherweise stabil und ist bei uns auch recht einfach zu nutzen." Der Nürnberger Hausarzt gehört zu den ersten Medizinern, die die ePA in der Praxis getestet haben.

Mitte Januar ist der Startschuss in drei Modellregionen gefallen. In Franken, Hamburg und in Teilen von Nordrhein-Westfalen wird die ePA seitdem in rund 300 Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäusern getestet.

Technisch hat die Umstellung für Kahl und sein Praxisteam gut geklappt. Die Patienten sind hingegen eher schlecht auf den Start der ePA vorbereitet, meint der Hausarzt. Bisher hätten nur die allerwenigsten den aufwändigen Registrierungsprozess durchlaufen, um in ihre digitale Akte zu schauen.

Kahl hätte sich mehr Aufklärung durch die Krankenkassen gewünscht, damit die Patienten besser über ihre Rechte Bescheid wissen. Er kann als Arzt über die elektronische Medikationsliste sehen, welche E-Rezepte in den letzten hundert Tagen eingelöst wurden. "Ich kann aber auch sehen, wenn der Patient die Rezepte gar nicht eingelöst hat. Das heißt, ein bisschen durchsichtiger wird das schon." Diese Transparenz sei den Patienten bislang noch nicht klar.

Die elektronische Patientenakte startet

N.Bader/D.Bliersbach, ARD Berlin, tagesthemen, 28.04.2025 22:15 Uhr

Mehr Sicherheit für Patienten durch Patientenakte

Ähnliche Erfahrungen hat auch die Rheumatologin Stefanie Tatsis im Marienkrankenhaus in Hamburg gemacht. Es funktioniere mittlerweile in der Regel gut, Arztbriefe in die ePA hochzuladen. Darin sind alle Laborwerte und Röntgenbefunde enthalten. Die Ärztin erhofft sich dadurch vor allem mehr Sicherheit für die Patientinnen und Patienten.

Sie muss stark wirksame Medikamente verschreiben. Sollte einer ihrer Patienten aufgrund eines Notfalls in ein Krankenhaus eingeliefert werden, hätten die anderen Ärzte sofort Zugriff auf ihren Arztbrief und damit wichtige Informationen, etwa welche Medikamente der Patient einnimmt.

Auch Hausärzte profitieren davon. Wie Bahman Afzali. Der Allgemeinmediziner ist ein Pionier bei der Digitalisierung, berät auch andere Praxen. In seiner Praxis in Bedburg in Nordrhein-Westfalen hat auch er die ePA getestet. Noch seien die Daten in der ePA zwar etwas durcheinander. Das müsse noch besser werden. "Aber selbst das Chaos, was wir jetzt haben, ist immer noch besser als der Papierstapel, mit dem die Patienten im letzten Jahr noch zu mir gekommen sind", sagt Afzali.

Die beiden Hausärzte und die Rheumatologin aus den drei Modellregionen sind sich einig: Die Testphase war aus ihrer Sicht weitgehend erfolgreich. Auch wenn es zu Beginn noch etwas geruckelt hat, zum Beispiel nicht alle ePAs gleich geladen werden konnten und sie die IT-Systeme in den Praxen und Kliniken anpassen mussten. Dass die Akte nun bundesweit an den Start gehen soll, finden sie prinzipiell gut.

Und noch eine Erfahrung eint die beiden Ärzte und die Ärztin: Kaum einer ihrer Patienten hat sich den Zugang zur ePA bisher freigeschaltet. Dabei kann jeder selbst entscheiden und einstellen, welche Daten in der Akte landen und wie lange eine Praxis Zugriff darauf hat. Einzelne Diagnosen können zum Beispiel für alle Ärzte gesperrt werden oder die Zugriffsdauer auf den Tag der Behandlung beschränkt werden. Dafür müssen die Versicherten aber die ePA-App ihrer Krankenkasse freischalten. Das geht zum Beispiel mit der elektronischen Gesundheitskarte und einem PIN.

Kritik an fehlender Auswahlmöglichkeit

Manuel Atug von der Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen bemängelt, dass die Versicherten keine Möglichkeit haben, einzelne Dokumente nur bestimmten Ärzten zur Verfügung zu stellen. "Heißt, meine Zahnärztin, meine Heilpraktikerin, jeder kann dann auf psychologische Informationen, auf irgendwelche Röntgenbilder, auf irgendwelche Gutachten, auf Protokolle, auf die ganzen Abrechnungsdaten komplett zugreifen, obwohl der Bedarf nicht gegeben ist", sagt Atug. Der scheidende Bundesgesundheitsminister verweist hingegen darauf, dass Patienten bestimmte Befunde, etwa bei psychiatrischen Erkrankungen, aber komplett löschen können.

Seit Mitte Januar haben rund 70 Millionen gesetzliche Versicherte eine elektronische Patientenakte bekommen. Die Krankenkassen haben nach und nach digitale Akten aller Versicherten angelegt, die nicht aktiv widersprochen haben. Das haben etwa fünf Prozent der Versicherten getan. Nutzen können die Akte aber bisher erst wenige Menschen. Das soll sich jetzt ändern. Ab sofort kann die digitale Akte in ganz Deutschland befüllt werden, verpflichtend soll es für Kliniken und Arztpraxen aber erst ab Oktober werden.

Chaos Computer Club legt Sicherheitsmängel offen

Dass sich der Zeitplan für den Start der ePA noch mal verschoben hat, liegt auch an Sicherheitsmängeln, die der Chaos Computer Club (CCC) öffentlich gemacht hatte. Die Experten des CCC hatten Ende vergangenen Jahres demonstriert, wie es zum Beispiel theoretisch möglich wäre, auf sämtliche elektronischen Patientenakten zuzugreifen. Dafür hatten sie sich illegal Zugang zur Telematikinfrastruktur (TI) verschafft, über die die ePA läuft. Etwa indem sie ohne viel Aufwand an gültige Praxisausweise und Gesundheitskarten Dritter gelangen konnten. Diese Sicherheitslücken seien inzwischen behoben, sagt der geschäftsführende Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Einem bundesweiten Start stehe also nichts mehr im Wege.

Bianca Kastl, IT-Sicherheitsexpertin vom Chaos Computer Club, sieht das anders. Man habe zwar versucht, die gröbsten Sicherheitslücken zumindest zu erschweren. Der Abruf von 70 Millionen elektronischen Gesundheitsakten auf einen Schlag sei nun sicherlich sehr schwer. In der ePA gebe es aber noch sehr viele andere Probleme, die sie aufgezeigt hätten. Die seien nicht alle erledigt.

Lauterbach: "Zeitenwende in der Digitalisierung"

Für Lauterbach ist es neben der Krankenhausreform das wichtigste Projekt. Er nennt es eine "Zeitenwende in der Digitalisierung". Ähnlich begeistert ist der Chef der Techniker Krankenkassen, Jens Baas. Er spricht von einem "Scheideweg", ob die elektronische Patientenakte jetzt zum Erfolg wird oder nicht.

Bei Sicherheitsbedenken wägt der TK-Chef ab: Zwar gebe es keine absolute Sicherheit, aber auch analoge Daten seien nicht sicher. In eine Praxis einzubrechen und dort Aktenordner zu klauen sei einfach. Eine elektronische Patientenakte zu hacken hingegen sehr viel schwerer. "Von daher würde ich sagen, das Sicherheitsniveau ist jetzt so, dass ich mich damit wohlfühlen würde, auch meine eigenen persönlichen Daten dort reinzugeben und dass man es unseren Versicherten empfehlen kann."

"Es wird sicherlich ruckeln"

Seit rund zwei Jahrzehnten wird in Deutschland an der Akte gearbeitet. Bisher war die ePA keine Erfolgsgeschichte. Ob sich das nun ändern wird? "Die meisten Ärzte haben 20 Jahre lang nur gesehen, dass nichts funktioniert", sagt der digital-affine Hausarzt Afzali aus NRW. Das könnte sich nun ändern. "Es öffnet sich plötzlich so ein starker Digitalisierungswille. Das war nett zu beobachten in den letzten drei Monaten."

Wenn die Akte heute bundesweit an den Start geht, könnte der Frust in einigen Praxen und Kliniken zunächst wieder groß sein. Es wird sicherlich ruckeln, wenn auf einmal nicht mehr nur 300 Tester, sondern Tausende auf das System zugreifen. Zwar konnten während der Modellphase einige Fehler behoben werden, aber ob die Akte funktioniert, hängt zusätzlich auch an der IT der einzelnen Praxis oder des Krankenhauses. Ob die ePA wirklich zur Erfolgsgeschichte wird, ist längst noch nicht ausgemacht.