Archivbild:08.04.2025, Berlin: Sahin Sezer (2.v.r.), Vorsitzender Richter am Amtsgericht, steht beim Prozess wegen einer Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira im Kriminalgericht Moabit.(Quelle:dpa/B.v.Jutrczenka)

Urteil gegen 24-Jährigen Drei Jahre Haft nach Angriff auf jüdischen Studenten

Stand: 17.04.2025 18:39 Uhr

Wenige Monate nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurde 2024 ein jüdischer Student in Berlin attackiert. Ein Ex-Kommilitone gestand die Tat, bestritt aber ein antisemitisches Motiv. Nun gibt es ein Urteil.

  • Urteil geht über Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus
  • Drei Jahre Haft wegen gefährlicher Körperverletzung
  • Gericht sieht antisemitische Gesinnung bei Angeklagtem
  • Richter will mit Urteil andere Menschen "von solchen Straftaten abhalten"
  • Urteil ist noch nicht rechtskräftig

Nach der Attacke auf einen jüdischen Studenten in Berlin-Mitte ist ein 24-Jähriger zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Das Amtsgericht Tiergarten sprach den damaligen Kommilitonen des Opfers am Donnerstag der gefährlichen Körperverletzung schuldig.
 
Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der frühere Lehramtsstudent der Freien Universität (FU) den jüdischen Studenten Lahav Shapira aus antisemitischer Gesinnung heraus geschlagen und getreten hat. Laut Anklage hat der 24-jährige seinen damaligen Kommilitonen am 2. Februar 2024 unvermittelt mit der Faust niedergeschlagen und getreten. Shapira erlitt eine komplexe Mittelgesichtsfraktur und eine Hirnblutung. Er musste mehrfach operiert werden. Es habe eine "abstrakte Lebensgefahr" für Shapira bestanden, die Gewalttat hätte potenziell tödlich enden können, hieß es vom Gericht.

08.04.2025, Berlin: Der Angeklagte steht mit seinem Rechtsanwalt Ehssan Khazaeli (l) beim Prozess wegen einer Attacke auf den j¸dischen Studenten Lahav Shapira im Kriminalgericht Moabit.(Quelle:dpa/B.v.Jutrczenka)
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Richter: "Müssen andere Menschen von solchen Straftaten abhalten"

Wer so eine Gesinnung zeige, lege "die Axt an unsere Werteordnung", sagte der Vorsitzende Richter Sahin Sezer bei der Urteilsbegründung. Es gehe um Generalprävention. "Wir müssen andere Menschen von solchen Straftaten abhalten." Angesichts des enormen Anstiegs antisemitischer Straftaten in Deutschland müssten die Menschen darauf vertrauen können, dass der Rechtsstaat durchgreife.
 
Das frühe Geständnis des Angeklagten sah das Gericht zwar als strafmildernd an. Letztlich sei der Tatbestand jedoch so eindeutig, dass das kaum zu berücksichtigen sei, so Sezer. Er warf der Verteidigung eine "Salamitaktik" und den Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr vor. Auch die Kickbox-Erfahrung des Angeklagten habe sich strafverschärfend ausgewirkt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Antisemitismusbeauftragter: "gutes und gerechtes Urteil"

Shapira sagte, er sei "froh, dass es vorbei ist und das antisemitische Motiv erkannt wurde." Auch der beim Prozess anwesende Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, wertete es als "gutes und gerechtes Urteil". Antisemitismus bleibe nicht ungeahndet.
 
Mit seinem Urteil ging das Gericht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von zwei Jahren und vier Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung gefordert. Es handele sich um einen "antisemitischen Gewaltexzess", sagte Staatsanwalt Tim Kaufmann am Donnerstag in seinem Plädoyer vor dem Amtsgericht Tiergarten.
 
"Er wusste, was seine Schläge und Tritte bewirken können", sagte Staatsanwalt Kaufmann mit Blick auf die Kampfsporterfahrung des Angreifers. Die Intensität des Angriffs sei immens gewesen. Er hätte lebensgefährliche Folgen haben können.

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Angeklagter bestreitet antisemitisches Motiv

Der in Berlin geborene Angeklagte, dessen Eltern aus dem Libanon stammen, hatte vor Gericht die Gewalt gestanden und dafür um Vergebung gebeten. Den Vorwurf eines antisemitischen Motivs für den Angriff wies der 24-Jährige jedoch zurück. Das Gericht hatte zu Prozessbeginn deutlich gemacht, dass die Motivation ein zentraler Punkt des Verfahrens sei.
 
In seinem Schlusswort kurz vor dem Urteil entschuldige er sich persönlich bei Shapira. "Es tut mir leid, dir Schmerzen zugefügt zu haben." Sein Verteidiger plädierte wegen vorsätzlicher Körperverletzung auf eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie eine Geldauflage.

Zufällig in Bar getroffen

Der Angeklagte und das Opfer begegneten sich am 2. Februar 2024 zufällig in einer Bar in Berlin-Mitte. Als der jüdische Student das Lokal verließ, folgte der 24-Jährige ihm nach eigenen Angaben. Er habe Shapira dessen Agieren in einer Whatsapp-Gruppe von Studierenden der FU vorgeworfen und dass dieser Plakate an der FU abgerissen habe, hieß es in seinem Geständnis. Dann sei es zum Streit gekommen - und er habe zugeschlagen. Dabei habe er seine Kampfsporterfahrung unterschätzt, so der 24-Jährige.
 
Laut Urteil wurde der jüdische Student von seinem früheren Kommilitonen mit der Faust niedergeschlagen. Als er blutend am Boden lag, folgte mit voller Wucht ein Tritt ins Gesicht.

Sendung: rbb 88.8, 17.04.2025, 18:00 Uhr