Ein 23Jahre alter Angeklagter verbirgt sein Gesicht während des Prozesses vorm Landgericht Berlin hinter einer Akte.

Silvesternacht in Berlin Rakete in Wohnung geschossen - Bewährungsstrafe verhängt

Stand: 09.04.2025 18:01 Uhr

In der Silvesternacht hatte ein Influencer in Berlin eine Rakete in eine Wohnung geschossen. Nun wurde er zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte eine deutlich höhere Strafe gefordert.

Im Prozess wegen eines Raketenschusses auf eine Berliner Wohnung in der Silvesternacht, hat das Berliner Landgericht am Mittwochmittag einen 23-jährigen Influencer wegen Sachbeschädigung zu sechs Monaten Haft verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Haftbefehl gegen den Mann aus dem Westjordanland wurde aufgehoben.
 
Die Richter blieben damit unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Sie hatte zwei Jahre auf Bewährung wegen versuchter schwerer Brandstiftung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung beantragt.

Staatsanwaltschaft hebt fehlerhafte Berichterstattung hervor

Die Berichterstattung der Medien über diesen Fall sei, auch bedingt durch die Mitteilungen der Ermittler, "sehr unterschiedlich gewesen", so der vorsitzende Richter Raphael Neff in der Urteilsbegründung. So sei unter anderem berichtet worden, dass die in Neukölln am späten Silversternachmittag auf der Straße abgeschossene Rakete in dem Wohnhaus der Treptower Straße in ein Kinderzimmer eingeschlagen sei, in dem Licht gebrannt habe. Das sei nicht so gewesen.
 
Ebenso könne man nicht nachweisen, dass der angeklagte Influencer Attaallah Y. mit dem Abfeuern der Silvesterrakete in Kauf genommen habe, Leib und Leben der Hausbewohner zu gefährden, nur um Klicks auf seiner Seite im Internet zu generieren. Das hatte die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen.

Rakete explodiert in Schlafzimmer

Der Influencer hatte am späten Nachmittag des 31. Dezember letzten Jahres eine Feuerwerksrakete in Neukölln abgeschossen. Die Rakete hatte das Fenster einer Wohnung im dritten Stockwerk eines Mietshauses durchschlagen, in der gerade die Familie des Mieters Silvester feierte. Der Feuerwerkskörper war im Schlafzimmer explodiert und hatte durch herumfliegende Überreste und Funkenflug das Mobiliar leicht beschädigt. Der 54-jährige Mieter Emin A. war mit zwei seiner Enkel aus dem Nebenzimmer hinzugeeilt. Brandspuren an der Tapete, einer Bettdecke und einem Teppich sollen entstanden sein. Emin A. hatte keinen Strafantrag gestellt.
 
Nach dreimonatiger Untersuchungshaft wurde der palästinensische Influencer aus Nablus aus der Untersuchungshaft entlassen. Verurteilt wurde er lediglich wegen Sachbeschädigung zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe. Die Kammer urteilte, dass man dem Angeklagten weder eine versuchte gefährliche Körperverletzung, noch schwere Brandstiftung vorwerfen könne.
 
Eine Gutachterin hatte im Prozess berichtet, dass ein geschlossenes und intaktes Berliner doppelglasiges Kastenfenster eine "fast perfekte Kristallstruktur" habe und mühelos den Einschlag einer Silvesterrakete abwehren könne. Davon habe im konkreten Fall auch der Angeklagte ausgehen dürfen, hieß es im Urteil.

Influencer-Video über sechs Millionen Mal aufgerufen

Der angeklagte Influencer sei in Berlin als Tourist aus Ramallah unterwegs gewesen und habe nach den Angaben seines Verteidigers Axel Czapp mit seinen Freunden nur einen Abstecher in die Hauptstadt zum Jahreswechsel machen wollen, um Silvester zu feiern. Ansonsten sei er in ganz Deutschland unterwegs gewesen, um eine Band aus Palästina bei ihren Auftritten in Europa als Influencer zu begleiten. Die Rakete, die er am Tatabend aus seiner Hand abfeuerte und mit dem Handy filmte, habe er zuvor bei dem Spätkauf in der Nähe des Neuköllner Hauses gekauft, in dem der Feuerwerkskörper im dritten Stockwerk dann einschlug.
 
Das vom Angeklagten aufgenommene und auf Instagram eingestellte Video war an einem Tag über 6 Millionen Mal aufgerufen worden auf dem Kanal des Influencers. Sein Mandant sei ein Junge, der sehr spontan sei und Spaß am Leben habe. So sei auch das ins Netz stellen des Videos zu verstehen: "Da wird alles mögliche ins Netz gestellt und danach wird erst im Nachhinein ausgesiebt. Ist das clever? Möglicherweise nicht …", so Verteidiger Czapp exklusiv gegenüber dem rbb.

Symbolbild:Eine Person steht vor Feuerwerk mit Raketen im Arm.(Quelle:picture alliance/Panama Pictures/C.Hardt)
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Influencer Attaallah Y. postete auch Entschuldigung

Bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Videos hatten die Kinder Emin A.s das Überwachungsvideo vom Spätkauf vor dem Haus des Vater als "Fahndungsvideo" ins Internet gestellt, um Y. zu finden. Der hatte sich wenig später gemeldet und war mit zwei Freunden am nächsten Tag in der Wohnung von Familie A. erschienen.
 
Das Video seines Raketenschusses in Neukölln hatte Y. inzwischen gelöscht. Auf seinem Instgramkanal veröffentlichten er allerdings das Video des Familienbesuches bei A. Darauf küsst er Emin A. den Kopf und entschuldigt sich wortreich. Die Familie bietet dem Influencer Tee an. Warum er sich so freundlich verhalten habe, immerhin habe doch Schlimmeres passieren und das ganze Haus abbrennen können? Der Angeklagte habe sich doch entschuldigt und sogar Geld abgeboten, sagte Emin A. als Zeuge im Prozess aus. In jeder Familie könne doch so etwas den jungen Leuten passieren. Wenn sie sich entschuldigten, sei es doch jetzt gut.

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Festnahme am Flughafen Berlin Brandenburg

Nachdem das Raketenvideo im Netz von millionenfach aufgerufe wurde, war Attaallah Y. auch zur Polizei gegangen, kurz bevor er am 4. Januar den laut Verteidiger schon im Dezember 2024 gebuchten Rückflug von Berlin aus habe antreten wollen, so Verteidiger Czapp. Doch auf dem Polizeiabschnitt 18 hatte man das Deutsch des Influencers nicht verstanden und die inzwischen eingeleitete öffentliche Fahndung nach ihm nicht bemerkt. So war Y. am Tag darauf am Flughafen festgenommen worden und saß seitdem in Untersuchungshaft.
 
Vor dem Gerichtssaal entschuldigte sich Attaallah Y. zum wiederholten Mal für seine Tat. Die Zeit in Untersuchungshaft sei schrecklich gewesen. "Ich möchte mich bei allen entschuldigen, die ich mit meiner Tat verletzte oder die mein Video sehen mussten!"
 
Während die Verteidigung zufrieden ist mit dem Urteilsspruch, behält sich die Staatsanwaltschaft noch vor, gegen die Entscheidung in Revision zu gehen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 09.04.2025, 06:00 Uhr