
Mecklenburg-Vorpommern Schleswig-Holstein Nach Tod eines Babys: Neues Verfahren um Rettungseinsatz
Im Januar 2017 ruft eine schwangere Frau wegen starker Schmerzen den Rettungsdienst, dieser schickt nicht sofort einen Notarzt. Das Kind kommt mit erheblichen Gesundheitsproblemen zur Welt und stirbt ein Jahr später an den Folgen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat am Donnerstag die Klage eines Elternpaares aus Nordwestmecklenburg verhandelt. Darin ging es um einen Rettungseinsatz und mögliche Versäumnisse von Rettungsleitstellen in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Nach dem Tod ihres Kleinkindes hatten die Eltern durch mehrere Instanzen wegen des Vorwurfes der Amtspflichtverletzung gegen mehrere Kreise und Städte geklagt. Der BGH hat den Fall nun an das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein zurückverwiesen. Dieses soll ein Sachverständigengutachten einholen, um zu klären, ob der Notruf der Eltern es erfordert hätte, sofort einen Rettungswagen zu schicken.
Notruf wurde mehrfach weitergeleitet
Im Januar 2017 hatte das Paar den Notruf gewählt, weil die werdende Mutter einen Monat vor dem Geburtstermin unter starken Schmerzen litt und ins Krankenhaus musste. Der Notruf wurde mehrfach weitergeleitet, denn der Rettungsdienst in der Region deckt teilweise beide Bundesländer ab. Der Notruf ging zunächst bei der Rettungsleitstelle Bad Oldesloe ein, die ihn an die Leitstelle Schwerin weiterreichte. Aus Schwerin ging der Notfall nach Lübeck, deren Leitstelle schließlich einen Rettungswagen schickte.
Baby stirbt an den Folgeschäden der Geburt
Die Frau brach schließlich zusammen und kam anderthalb Stunden nach dem Notruf in die Lübecker Uniklinik. Im Krankenhaus wurde eine vorzeitige Plazentaablösung festgestellt. Das Baby wurde dort per Notkaiserschnitt zur Welt gebracht. Wie die Ärzte berichteten, hatte das Kind im Bauch schon zuvor zu wenig Sauerstoff bekommen und kam mit einer Hirnschädigung zur Welt. Der Junge starb gut ein Jahr später an den Folgeschäden.
Eltern klagen gegen Kreise und Städte in MV und SH
Weil sich die Hilfe damals durch die lange Meldekette verzögert habe, klagten die Eltern wegen des Verdachts der Amtspflichtverletzung. Die Eltern zogen in den vergangenen acht Jahren gegen insgesamt fünf Landkreise und kreisfreie Städte in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern vor Gericht. Demnach werfen die Kläger unter anderem dem Landkreis Nordwestmecklenburg und der Stadt Lübeck vor, nicht sofort einen Notarzt losgeschickt zu haben. Sie kritisieren außerdem, dass beim Austausch zwischen den Leitstellen Informationen verloren gegangen seien. Damit hätten nach Ansicht der Eltern die Kreise und Städte ihre Amtspflichten verletzt. Sie fordern Schadenersatz und Schmerzensgeld, waren damit in Vorinstanzen gescheitert.
Klagen durch mehrere Vorinstanzen
Vor dem Landgericht Lübeck hatte die Klage der Eltern keinen Erfolg, auch eine Berufung in Schleswig scheiterte zunächst. Das dortige Gericht bezog sich auf den Indikationskatalog der Bundesärztekammer für den Notarzteinsatz und sah demnach keine Versäumnisse seitens der Leitstellen. Es sei nicht zu erkennen gewesen, dass sofort ein Notarzt geschickt werden musste. Auch die Weiterleitung des Notrufes wurde vom Gericht 2023 nicht beanstandet und habe den "Schaden" nicht verursacht. Der BGH begründete sein Urteil nun damit, dass das Oberlandesgericht nicht genügend Informationen zur Notwendigkeit des sofortigen Notarzteinsatzes eingeholt habe.
Eltern erscheint Situation nach wie vor "unwirklich"
Vor Gericht ließen die Eltern des Jungen durch ihren Anwalt mitteilen, die gesamte Situation - von der Schwangerschaftskomplikation, über das Verhalten der Rettungskette bis zum Verlust ihres Jungen - erscheine ihnen noch immer "unwirklich". Medizinische Notfälle könnten passieren, "aber alles, was danach geschah, hätte uns nicht passieren dürfen" und solle auch in Zukunft niemandem mehr passieren, hieß es.
Umkehr der Beweispflicht möglich
Der Bundesgerichtshof gab dem OLG Schleswig-Holstein außerdem Hinweise für das weitere Verfahren. Das Gericht solle sich, wenn es Verletzungen der Amtspflicht bei den Leitstellen feststelle, außerdem fragen, ob diese die Gesundheitsschäden des Kindes verursacht haben. In diesem Fall könne laut BGH die Beweislast umgekehrt werden. Dann müssten die Kreise und Städte nachweisen, dass mutmaßliche Fehler der Disponenten in den Leitstellen die Schäden nicht verursacht hatten.
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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 15.05.2025 | 07:30 Uhr