
Niedersachsen Schleswig-Holstein Mecklenburg-Vorpommern Hamburg Strompreise: Würde der Norden von neuen Preiszonen profitieren?
Heute will der Verband der europäischen Übertragungsnetzbetreiber eine Studie zu den Strompreiszonen in der EU vorstellen. Möglicherweise wird empfohlen, Deutschland künftig in mehrere Zonen aufzuteilen. Was würde das für Norddeutschland bedeuten?
Für Bürgermeister Joannis Stasinopoulos sind Windräder ein gewohnter Anblick. In seiner Gemeinde Lentföhrden im Kreis Segeberg stehen fünf Anlagen, zwei weitere sind geplant. "Wir produzieren schon jetzt an einem sonnigen Tag mit leichtem Wind das Zwölffache der Strommenge, die wir hier vor Ort benötigen", sagt Stasinopoulos stolz. Und es könnte noch wesentlich mehr Strom sein. Denn häufig stehen die Windräder notgedrungen still. "Sie werden bei starkem Wind immer wieder abgestellt, damit die Spannung im Netz nicht zu hoch ist", erklärt der Bürgermeister. Und das sei natürlich nicht gut. Schließlich sei der Anblick der Windmühlen in der Natur nicht gerade schön. "Und dann stehen sie einfach da und produzieren nicht einmal Strom."

Bürgermeister Stasinopoulos hofft auf günstigere Strompreise für die Norddeutschen.
Und dann springen teure Gaskraftwerke im Süden ein
Häufig ist der Wind in Schleswig-Holstein und im ganzen Norden so stark, dass die Leitungsnetze das große Stromangebot nicht transportieren können. Und dann werden viele Windanlagen im Norden angehalten - nicht nur in Lentföhrden. Der Haken dabei ist: Wenn im Süden Deutschlands der Strombedarf zur gleichen Zeit groß ist, müssen dort teure Gaskraftwerke hochgefahren werden. Dies lässt für den Moment den Börsenstrompreis für Großkunden in ganz Deutschland steigen - auch im Norden, wo eigentlich viel günstiger Strom vorhanden ist. Zudem werden die Windanlagen-Betreiber für die Zwangspause entschädigt. Die Ausgleichszahlungen für die Strom-Produzenten summieren sich: Für das Jahr 2024 kamen so laut Bundesnetzagentur 2,8 Milliarden Euro zusammen. Diese Kosten werden auf die Verbraucher umgelegt.

So könnte die deutsche Strompreiszone in Zukunft aufgeteilt werden: Vier mögliche Varianten, die in einer Analyse der europäischen Strommarkt-Koordinatoren ACER skizziert werden.
Schweden ist schon in Zonen aufgeteilt
Wie könnte der Strommarkt in Deutschland wirkungsvoller geregelt werden? Eine Lösung, die seit Längerem diskutiert wird, sind kleinere Strompreiszonen, wie es sie beispielsweise in Schweden schon gibt. Die EU-Kommission setzte sie dort im Jahr 2011 durch. In Schweden unterscheidet sich nun der durchschnittliche Börsenstrompreis - übers Jahr gesehen - in den einzelnen Zonen teils deutlich. Die EU prüft gerade, ob eine Aufteilung auch in Deutschland für den europäischen Strommarkt vorteilhafter wäre.
Strommarkt-Experte hält kleinere Zonen für sinnvoll
"Heute tut der Strommarkt so, als gäbe es unendlich Möglichkeiten, Strom von allen Ecken Deutschlands in alle anderen Ecken zu transportieren", sagt Strommarkt-Experte Lion Hirth von der Hertie School in Berlin. "Das entspricht aber nicht der physikalischen Wirklichkeit." Zu häufig seien die Netze überfordert. Kleinere Strompreiszonen hingegen würden dafür sorgen, dass der regionale Strompreis den wahren Gegebenheiten entspricht, also dem Angebot und der Nachfrage. "Nur dann kann man das Stromsystem effizient betreiben", meint Hirth. "Das heißt zum Beispiel: Batterien als Stromspeicher oder Kraftwerke und Anlagen für erneuerbare Energien so einzusetzen, dass sie auch wirklich Sinn machen fürs Stromnetz."
Bürgermeister: "Ich wünsche mir eine fairere Lösung"
Ob mehrere Strompreiszonen eine gute Lösung für Norddeutschland wären, vermag der Bürgermeister von Lentföhrden nicht einzuschätzen. Aber er sagt: "Aus meiner Sicht wäre es fairer, wenn die Strompreise im Norden, wo die Wege für den Windstrom kürzer sind, niedriger wären als in anderen Gegenden in Deutschland, wo der Windstrom erst über lange Leitungen hintransportiert werden muss." Ein wenig ärgert Stasinopoulos auch, dass in Bayern vielerorts keine Windräder errichtet werden, weil Anwohner dagegen sind. Immerhin: Seine Gemeinde profitiert finanziell von den Windkraft-Anlagen - durch das Entgelt in Höhe von 0,2 Cent pro eingespeister Kilowattstunde, das für umliegende Gemeinden vorgesehen ist.
Wind im Norden, Solar im Süden
In Norddeutschland stehen viel mehr Windräder als im Süden. Im Ruhrgebiet, Baden-Württemberg und Bayern stehen kaum welche. Zwar ist deutschlandweit mehr Solar- als Windleistung installiert, insbesondere im Süden - die Unterschiede zwischen den Regionen sind jedoch kleiner. Somit entsteht an windreichen Tagen mit wenig Sonne günstiger Strom vor allem an den Küsten und muss dann zu den Industriegebieten im Inland gelangen.
Was zeigen die Karten?
Die Karten zeigen die installierte Spitzenleistung von Windrädern und Solaranlagen auf Land – also wie viel Strom diese Anlagen unter idealen Bedingungen erzeugen könnten. In der Realität wird diese Leistung aber nur selten erreicht.
Wie viel Strom tatsächlich produziert wird, hängt stark vom Standort ab: Windräder erzeugen in Norddeutschland im Schnitt deutlich mehr Strom als gleich starke Anlagen in Bayern. Bei Solaranlagen ist es umgekehrt - sie liefern in Süddeutschland meist mehr Strom als im Norden.
Würde der Strompreis für Privathaushalte sinken?
Ob eine Neuregelung der Strompreiszonen zu geringeren Preisen für Endverbraucher führen würde, ist nicht ausgemacht. "Um das als privater Haushalt zu merken, müsste man schon sehr genau hinschauen", sagt Experte Hirth. "Ich würde mal tippen, der Strompreis in Norddeutschland würde in der geteilten Zone ungefähr um einen Cent pro Kilowattstunde sinken." Im Moment liege der Strompreis ungefähr bei 30 Cent.
Größere Auswirkungen könnten neue Zonen für Großabnehmer haben, für die die Strombörse maßgeblich ist, wo der aktuelle Strompreis alle Viertelstunde neu festgelegt wird. Vielfach lautet die Sorge: Bei einer Aufteilung des Strommarktes in Deutschland könnte eine Folge sein, dass Industrie-Unternehmen im Süden und Westen mehr für ihren Strom zahlen müssten. Deshalb haben sich auch sechs Bundesländer aus diesen Regionen gegen eine Aufteilung ausgesprochen. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht, dass an der einheitlichen Strompreiszone festgehalten werden soll.
"Das ist ein Missverständnis in der Politik"
Lion Hirth meint dazu: Diese Sicht der Politik gehe an der Realität vorbei. "Im Kern handelt es sich um ein Missverständnis. Bei Interessen-Vertretern und vielen Politikern hat sich der Eindruck festgesetzt, dass es darum geht, den Süddeutschen etwas wegzunehmen, um es den Norddeutschen zu geben. Aber darum geht es überhaupt nicht. Das ist überhaupt nicht das, was eine Strompreiszone bewirkt." Vielmehr gehe es darum, in jedem Moment das Stromsystem effizienter zu betreiben. "Und so würden langfristig alle davon profitieren", meint Hirth.
Eine Strompreiszone - auch Stromgebotszone genannt - ist ein Gebiet mit einem einheitlichen Börsenstrompreis. Das heißt: Wer in Deutschland Strom an der Börse kauft, zahlt überall gleich viel - egal ob der Strom in Kiel, München oder Greifswald verbraucht werden soll. Die Börsenstrompreise sind nicht gleichzusetzen mit den Endkunden-Preisen, die Privathaushalte zahlen. Schließlich kommen zum reinen Strompreis noch vom Staat erhobene Lasten wie Netzentgelte und Stromsteuer hinzu. Zudem verdient der Stromanbieter mit. Der reine Strompreis macht nicht einmal die Hälfte der Stromkosten im Privathaushalt aus.
Aktuell bildet Deutschland zusammen mit Luxemburg eine Zone. Bis zum Jahr 2018 gehörte auch Österreich dazu. Schweden wurde auf Drängen der EU-Kommission im Jahr 2011 in vier Zonen aufgeteilt, in denen sich die durchschnittlichen Börsenstrompreise teils deutlich unterscheiden. Ansonsten orientieren sich die Strompreiszonen der EU weitgehend an den Landesgrenzen. Neben Schweden gibt es in drei weiteren Staaten mehrere Gebotszonen: In Dänemark bestehen zwei, in Norwegen fünf und in Italien sogar sechs Zonen.
Das hängt mit dem zunehmenden Anteil von Wind- und Sonnenenergie am deutschen Strommix zusammen. Dadurch kommt es zu Schwankungen im Angebot und bei den Preisen: Je nach Wetterlage wird mehr oder weniger Strom produziert. Wenn zum Beispiel in den Windparks im Norden und auf See sehr viel Strom erzeugt wird, können die Netzleitungen in Richtung Süden überlastet sein. Bei hoher Nachfrage im Süden müssen dann Gaskraftwerke einspringen. Das kann phasenweise zu höheren Strompreisen an der Börse führen. Und das Thema wird noch dringender: Deutschland hat gesetzlich beschlossen, den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch von aktuell etwas mehr als 50 Prozent auf mindestens 80 Prozent bis zum Jahr 2030 zu erhöhen. Hinzu kommt: Die zunehmende Elektrifizierung der Sektoren Verkehr, Industrie und Wärme führt dazu, dass sich der Strombedarf in Deutschland bis 2045 wahrscheinlich verdoppeln wird.
Redispatch ist ein anderes Wort für Engpass-Management. Gemeint ist ein Engpass im Stromnetz. Ein typischer Fall: Wenn im Norden mehr Windstrom produziert wird, als die Netze transportieren können und die Nachfrage im Süden hoch ist, kann ein Engpass im Stromnetz entstehen. Um das Stromnetz stabil zu halten, greifen dann die Netzbetreiber ein: Sie weisen die Windparks an, ihre Einspeisung zu drosseln - während Erzeuger im Süden ihre Einspeisung hochfahren müssen. Das heißt: Im Süden werden (Gas-)Kraftwerke angeworfen. Die Anlagen-Betreiber werden für diese Eingriffe entschädigt. Die Kosten zahlen die Stromkunden über die Netzentgelte. Für das Jahr 2024 ergab sich nach Angaben der Bundesnetzagentur eine Summe von 2,8 Milliarden Euro.
Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt dazu in seiner Analyse "Strommarktdesign der Zukunft": "Eine große, einheitliche Gebotszone mit vielen Marktteilnehmern sorgt für hohe Liquidität im Stromhandel." Zudem führe ein einheitliches Marktgebiet dazu, dass sich innerhalb Deutschlands die jeweils kostengünstigsten Erzeugungstechnologien durchsetzen. Das senke die Strombeschaffungskosten.
Einige Länder wie Schweden beschweren sich, dass für Deutschland nur eine Strompreiszone gilt. Dies würde die Preise in anderen EU-Ländern zu manchen Zeiten in die Höhe treiben. Aktuell untersucht die europäische Agentur der Energieregulierungsbehörden Acer in Zusammenarbeit mit dem Verband europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E), ob die Aufteilung der EU in die derzeitigen Strompreiszonen noch zeitgemäß ist. Resultat soll eine Empfehlung für einen zukünftigen Zonen-Zuschnitt sein. Darüber beraten dann die EU-Mitgliedsstaaten.
Für Deutschland werden auf EU-Ebene verschiedene Zuschnitte geprüft: Im Gespräch sind zwei, drei, vier oder sogar fünf Zonen.
Die wichtigste Folge wäre wohl: Über das Jahr gesehen würden Unterschiede im Strompreis zwischen den Zonen entstehen. Experten gehen davon aus, dass dann Industrie-Betriebe im Süden Deutschlands durchschnittlich mehr für ihren Strom an der Börse zahlen müssten. In welchem Maße, ist aber schwer abzuschätzen. Die regionalen Preisunterschiede könnten außerdem Auswirkungen auf die räumliche Ansiedlung von Industrie, Erneuerbare-Energie-Anlagen, Speichern und Elektrolyseuren zur Wasserstoff-Gewinnung haben. Die Auswirkungen auf Privathaushalte sind unklar: Aber zwei Studien, die die Auswirkungen auf die gesamten Stromkosten (inklusive Netzentgelte) im Jahr 2035 betrachten, kommen zu dem Ergebnis, dass der durchschnittliche Strompreis durch eine Teilung der Strompreiszone sinken würde.
Die zukünftige schwarz-rote Bundesregierung lehnt eine Änderung in ihrem Koalitionsvertrag ab. Dort heißt es: "Die Koalition hält an einer einheitlichen Stromgebotszone fest." Auch sechs Ministerpräsidentinnen und -präsidenten von südlichen und westlichen Bundesländern lehnen eine Aufteilung ab. Die CSU befürchtet Nachteile für die Industrie in Bayern. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will die einheitliche Zone beibehalten. Ein Argument: "In kleineren Gebotszonen können Strombeschaffungskosten steigen, da in den einzelnen Zonen weniger - und damit auch weniger günstige - Optionen zur Verfügung stehen." Zudem bringe "die hohe Komplexität" einer Neueinteilung viele Unwägbarkeiten mit sich. Zu den Kritikern einer möglichen Neuregelung gehören auch die Bundesnetzagentur, der Verband der erneuerbaren Energien (BEE) und der Verband kommunaler Unternehmen (VKU).
Deutschland wird voraussichtlich einer Neuordnung der Strompreiszonen auf EU-Ebene nicht zustimmen. Damit ist das Thema aber nicht vom Tisch: Falls im Laufe des Jahres 2025 keine einstimmige Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten zustande kommt, trifft die EU-Kommission innerhalb von sechs Monaten eine endgültige Entscheidung über den künftigen Zuschnitt der Strompreiszonen. Dies wäre nach jetzigem Zeitplan spätestens im Frühjahr 2026 der Fall.
Dieses Thema im Programm:
NDR Info | Aktuell | 28.04.2025 | 07:38 Uhr