
Nordrhein-Westfalen Nach Nadja Abd el Farrags Tod: Welche Rolle spielt Alkohol in NRW?
Nadja Abd el Farrag ist tot. Sie hat offen über ihre Alkoholabhängigkeit gesprochen. Welche Rolle spielt die Sucht in NRW?
Für ihre Biografie wählte sie den Titel "Achterbahn" - und genau so war das Leben von Nadja "Naddel" Abd el Farrag: ein ewiges Auf und Ab. Am 9. Mai ist die ehemalige Moderatorin im Alter von 60 Jahren in Hamburg gestorben.
Abd el Farrag war in den 1990er-Jahren unter anderem als Freundin von Musikproduzent Dieter Bohlen bekannt geworden. Doch hinter dem Glamour verbarg sich schon früh eine andere Wahrheit. Bereits mit 24 Jahren, während ihrer Beziehung mit Bohlen, begann sie heimlich zu trinken.

Dieter Bohlen und Nadja "Naddel" Abd el Farrag im Jahr 2000
Was als heimliche Gewohnheit begann, wurde mit den Jahren zur ernsten Krankheit. Hinzu kam, dass sie Medikamente gegen ADHS nehmen musste. In ihrer Biografie machte sie 2018 öffentlich, dass sie an einer Leberzirrhose erkrankt war.
Ich nahm den Rat des Arztes nur halbherzig an, reduzierte meinen Konsum auf ein bis zwei Gläschen Wein pro Woche und war überzeugt, dass bei diesen geringen Mengen keine Schädigung zu erwarten war. Aber anscheinend war selbst das noch zu viel für meine gestresste Leber, wie die neuesten Werte anzeigten.
Nadja Abd el Farrag
Nach einer Studie der Barmer-Krankenkasse vom Januar waren im Jahr 2023 in NRW etwa 275.000 Menschen wegen Alkoholsucht in ärztlicher Behandlung. Von diesen waren etwa 185.000 Männer und rund 90.000 Frauen alkoholabhängig. Die Erhebung basiert nach Angaben der Kasse auf Daten aller Barmer-Versicherten und sei für die gesamte Bevölkerung repräsentativ.
Das Gesundheitsministerium NRW ergänzt auf WDR-Anfrage, dass 2023 insgesamt 52.749 Menschen wegen Alkoholabhängigkeit im Krankenhaus behandelt wurden.
Regional seien die Fallzahlen in NRW sehr unterschiedlich ausgeprägt, teilt das Gesundheitsministerium mit. Es lasse sich aber "kein eindeutiger Unterschied zwischen ländlichen und städtischen Regionen" festmachen.
Das Landeszentrum Gesundheit hatte 2017 untersucht, wo in NRW besonders viele Menschen wegen "psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol" ambulant behandelt wurden. Demnach fielen vor allem Städte und Kreise mit hoher Bevölkerungsdichte, geringem Einkommen und überdurchschnittlichem Arbeitslosenanteil auf.
Auch "wohlhabende schrumpfende" Städte - dazu gehören etwa Mettmann und der Ennepe-Ruhr-Kreis - und solche mit Universitäten, wo weniger Familien leben, wiesen erhöhte Zahlen von Alkoholkranken auf. Besonders gering dagegen waren die Zahlen in wirtschaftlich wachsenden Regionen - vor allem, wenn das Wachstum auch mit dem Zuzug von Familien verbunden war. Zu diesen Regionen gehören etwa Neuss, Münster oder der Kreis Olpe.
Besonders häufig tritt die Sucht bei Menschen in der zweiten Lebenshälfte auf: Bei rund 53.000 Männern und 25.000 Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren wurde in NRW eine Alkoholsucht diagnostiziert. "Es sind also mehr Männer als Frauen betroffen und das Problem tritt vermehrt in der zweiten Lebenshälfte auf", sagte Barmer-NRW-Sprecher Tobias Klingen am Dienstag dem WDR.
Nach Angaben des Statistischen Landesamts starben im Jahr 2023 in NRW 2.649 Menschen an den Folgen von Alkoholmissbrauch - neuere Daten liegen noch nicht vor. Die Zahl der Todesopfer ist laut Ministerium zuletzt angestiegen.
Allerdings bedeutet das nicht, dass es keine weiteren Todesfälle gab, bei dem Alkoholmissbrauch eine Rolle spielte. Nach den Regeln der Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll ein Arzt bei der Leichenschau nur das "Grundleiden" als Todesursache angeben: Falls ein Verstorbener unter mehreren Krankheiten litt, wird sein Alkoholmissbrauch oft überhaupt nicht registriert.
Und im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Die Barmer-Studie zeigt große regionale Unterschiede. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen liegt der Anteil alkoholkranker Menschen um mehr als ein Drittel über dem Bundesschnitt (1,7 Prozent). Dort wurden 2023 jeweils etwa 2,6 Prozent und 2,3 Prozent der Bevölkerung wegen Alkoholsucht behandelt.
NRW hingegen liegt mit einem Anteil von 1,5 Prozent unter dem Bundesschnitt. Gemeinsam mit Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz weist NRW damit die niedrigste Rate aus. "Die erheblichen regionalen Unterschiede bei Alkoholsucht lassen sich nicht allein medizinisch erklären", so die Barmer-Angaben. "Auch soziale und demografische Aspekte spielen vermutlich eine wichtige Rolle."
Welche Gesundheitskosten entstehen in NRW durch Alkoholsucht?
Dafür gibt es keine Zahlen, teilte das NRW-Gesundheitsministerium am Dienstag dem WDR mit: "Eine Analyse ausdrücklich für Nordrhein-Westfalen liegt nicht vor." Das Ministerium verwies auf das Jahrbuch Sucht 2025 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS). Darin werden demnach "die direkten und indirekten Kosten des Alkoholkonsums in Deutschland insgesamt auf rund 57 Milliarden Euro beziffert".
Was unternimmt NRW bei der Prävention?
Die Antwort des Gesundheitsministeriums: "Die Landesfachstelle Prävention der Suchtkooperation NRW befasst sich gezielt mit der Verbesserung und Weiterentwicklung der Suchtprävention in Nordrhein-Westfalen." Darüber hinaus unterstützen demnach Fachkräfte die Präventionsarbeit der örtlichen Sucht- und Drogenberatungsstellen.
Ein Angebot der Landesfachstelle sei zum Beispiel der "ALK-Parcours". Dieser ermögliche es, Schülerinnen und Schülern der 7. bis 9. Jahrgangsstufen aller Schulformen eine interaktive Auseinandersetzung mit dem Thema Alkoholkonsum. Auch Eltern als Bezugspersonen gehören zu dieser Zielgruppe.
Darüber hinaus gebe es für die Suchtprävention im Alter das Modul "Stark bleiben – Suchtfrei alt werden" der Landeskampagne "Sucht hat immer eine Geschichte", das ebenso dazu anregen soll, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Tut die Politik genug gegen Alkoholsucht?
Daran gibt es Zweifel. Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks (BR), die im Januar veröffentlicht wurden, wollte die Ampelkoalition laut Koalitionsvertrag zwar strengere Regeln für Alkoholwerbung durchsetzen. Konkrete Schritte hat die Regierung jedoch nicht unternommen.
Das Gesundheitsministerium ignorierte demnach eine eigens beauftragte Studie, die ein komplettes Werbeverbot für Alkohol empfahl. Die Frage, weshalb die fertige Studie nicht, wie zunächst vorgesehen, auf der Webseite des Ministeriums veröffentlicht wurde, beantwortete die damalige Regierung nicht
Deutschland ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein Hochkonsumland für Alkohol. Der WHO-Direktor für Gesundheitsförderung, Rüdiger Krech, sagte dem BR: "Es gibt neun Millionen Menschen, die ein wirkliches Alkoholproblem in Deutschland haben. Und die Politik tut leider viel zu wenig."
Ob die neue schwarz-rote Bundesregierung das ändern möchte, ist unklar. In ihrem Koalitionsvertrag steht zwar, dass "geeignete Präventionsmaßnahmen" ergriffen werden sollen, um insbesondere Kinder und Jugendliche vor "Alltagssüchten" zu schützen, von Alkohol ist darin aber nicht explizit die Rede.
Habe ich ein Alkoholproblem?
Wer seinen Alkohol-Konsum selbst einschätzen möchte, kann das mit einem Online-Fragebogen des Bundesinstituts für Öffentliche Gesundheit tun. Es geht darum, die Trinkgewohnheiten zu beurteilen und das persönliche Risiko abzuschätzen.
Die sechs Fragen des Tests sind für erwachsene, gesunde Frauen und Männer zusammengestellt. Sie können hier online beantwortet werden:
Unsere Quellen:
- NRW-Gesundheitsministerium
- Barmer-Krankenkasse
- Information der Universitätsmedizin Mainz
- Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD
- Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit
- BR-Recherche zur Alkoholwerbung
- Berichte des Landeszentrums Gesundheit NRW
- Nachrichtenagenturen dpa und epd