Blick auf die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt.

Sachsen-Anhalt "Deutsch denken": "AfD versucht, Deutungshoheit über Kulturbegriff zu erlangen"

Stand: 14.05.2025 17:59 Uhr

Ein neues Markenzeichen für Sachsen-Anhalt und ein "Stolz-Pass": Die rechtsextremistische AfD hat mit ihrem Antrag schon vor der eigentlichen Debatte im Landtag für Aufsehen gesorgt. Hans-Thomas Tillschneider (AfD) will Sachsen-Anhalt zum "Sehnsuchtsort aller deutschen Patrioten" machen. Eine Expertin analysiert: Es geht der AfD darum, eine Deutungshoheit über den Kulturbegriff zu erlangen.

Von Engin Haupt, MDR SACHSEN-ANHALT

Deutsch und Stolz, diese beiden Wörter sollen Sachsen-Anhalt künftig definieren – zumindest, wenn es nach der AfD geht. Einen entsprechenden Antrag hat die Fraktion am Mittwoch in den Landtag eingebracht. Hans-Thomas Tillschneider (AfD) erklärte am Rednerpult: "Wenn es uns gelingen sollte, ab September 2026 mit einer AfD-Landesregierung diese Deutsch-denken-Kampagne umzusetzen, werden wir einen ganz neuartigen Volksbildungstourismus schaffen und Sachsen-Anhalt zum Sehnsuchtsort aller deutschen Patrioten machen."

Die AfD will den aktuellen Landesslogan "#modendenken" durch "#deutschdenken" ersetzen. Zusätzlich soll ein sogenannter "Stolz-Pass" eingeführt werden. Das soll, so die Idee der AfD, eine Stempelkarte sein. Für Besuche bestimmter, von der AfD ausgewählter historischer Stätten soll es dann Stempel geben. Je mehr Stempel man sammelt, desto günstiger könne der Eintritt bei weiteren Besuchen werden. Klassenfahrten zu Gedenkstätten sollen derweil gestrichen werden.

Hans-Thomas Tillschneider im Landtag von Sachsen-Anhalt.

AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider will Sachsen-Anhalt zum "Sehnsuchtsort aller deutschen Patrioten" machen. (Archivbild)

Kritik schon vor der Landtagsdebatte

Das Thema sorgte bereits in den Tagen zuvor bundesweit für Aufsehen. So berichteten unter anderem "Welt", "Stern" und "Tagesspiegel" darüber. Noch bevor das Thema im Landtag diskutiert wurde, äußerten sich mehrere Kulturstiftungen aus Sachsen-Anhalt zu dem AfD-Vorhaben. Für die Stiftungen "reiht sich die Instrumentalisierung historischer Persönlichkeiten in die bisherigen Vorstöße der AfD ein, die deutsche Nationalgeschichte im Sinne ihres identitären Kulturkampfs zu vereinnahmen."

Porträt Vanessa Kanz

Vanessa Kanz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik der Universität Magdeburg.

So will die AfD mit ihrem Antrag auch Klassenfahrten zu Gedenkstätten streichen. Vanessa Kanz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Germanistische Linguistik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Es geht der AfD nicht darum, historische Ereignisse aus Sachsen-Anhalt zu thematisieren, sondern darum, eine Deutungshoheit über den Kulturbegriff zu erlangen." Die AfD versuche dabei unter anderem, die Verbrechen des Nationalsozialismus auszublenden.

Wissenschaftlerin zu AfD-Sprache: Abgrenzung zu Anderen

Das Adjektiv "deutsch" sei isoliert und für sich nicht problematisch, erklärte Kanz. Im Grunde verweise "deutsch" zunächst auf den Staat Deutschland. In der Gebrauchsweise der AfD besitze das Adjektiv jedoch eine weitere, bewertende Bedeutungskomponente: "Das Deutsch-Sein fällt mit einer Aufwertung gegenüber Anderen und mit einer Abgrenzung zu diesen Anderen zusammen." Menschen, Kulturen und Traditionen, die nicht diesem Verständnis von "deutsch" entsprächen, schließe die AfD aus, sagte Kanz.

Es geht der AfD darum, eine Deutungshoheit über den Kulturbegriff zu erlangen. Vanessa Kanz, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg |

In Sachsen-Anhalt stuft der Verfassungsschutz den AfD-Landesverband bereits seit 2023 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein. Anfang dieses Monats wurde die Partei auch bundesweit entsprechend eingestuft – unter anderem, weil die AfD bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe ausschließe. Die Partei klagt gegen diese Einstufung. Der Verfassungsschutz bezeichnet die AfD deshalb bis zur Gerichtsentscheidung öffentlich nicht mehr als gesichert rechtsextremistisch – ein übliches Verfahren.

Deutliche Ablehnung des AfD-Antrages

In der Debatte am Mittwoch wurde schnell deutlich, was die restlichen Fraktionen von dem Vorhaben der AfD hielten. "Dieser Unsinn ist ja nicht auszuhalten", rief der SPD-Politiker Andreas Schmidt schon während der Rede Tillschneiders in den Raum. Grünen-Abgeordneter Wolfgang Aldag bezeichnete die Vorhaben der AfD als "Schwachsinn". Bildungsministerin Eva Feußner (CDU), die Kulturminister Rainer Robra (CDU) vertrat, sagte der AfD: "Bevor Sie über 'modern denken' oder 'deutsch denken' reden, bitte künftig einmal nachdenken."

Holger Hövelmann (SPD, Sachsen Anhalt)

Für die SPD äußerte sich Holger Hövelmann zu dem Antrag der AfD. (Archivbild)

Und auch SPD-Redner Holger Hövelmann richtete sich direkt an die AfD-Fraktion: "Wenn Sie unbedingt Stempel sammeln wollen, erwerben Sie die Harzer Wandernadel und gehen Sie im Harz wandern. Wenn Sie sich richtig anstrengen, schaffen Sie es auch zum Wanderkaiser. Verschonen Sie uns aber bitte mit Ihren Fantasien zur Wiederkehr des Kaiserreiches." Der Antrag wurde von allen Fraktionen außer der AfD abgelehnt.

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MDR (Engin Haupt)